Silke Opfer, Mitglied im Linken Bündnis im Marburger Asta

»Keine linke Geschichte«

Sind Studis revolutionärer als der Rest der Gesellschaft?

Nein. Das sieht man auch hier bei dem Streik. Viele wollen einfach nur ihre Pfründe verteidigen.

Welche Pfründe?

Ich meine damit, daß StudentInnen eher die Privilegierten dieser Gesellschaft sind, aber mehrheitlich kaum bereit sind, diese Tatsache zu reflektieren. Das würde heißen, über die gesellschaftliche Funktion von Hochschulen und damit über die eigene Rolle als potentieller zukünftiger Teil der Elite in diesem System nachzudenken.

In einem Flugblatt werden den Studierenden reaktionäre Tendenzen vorgeworfen.

Ich denke, daß man das für Teile der jetzt aufbrechenden Streikbewegung sagen kann. Es gibt viele StudentInnen, die von Politik nichts wissen wollen - daß sie trotzdem politisch handeln, ist ja klar.

Wäre es besser, sie würden nicht streiken? Wäre das weniger reaktionär?

Man kann nicht von den StudentInnen sprechen. Es hat sich ja in den letzten Tagen auch herausgestellt, daß sich durch diese ganze Bewegung auch linke Leute finden, die vorher nie miteinander diskutiert haben. Das öffnet natürlich auch Perspektiven. Ich würde deshalb nicht sagen, die Linke kann mit diesem Streik überhaupt nichts anfangen. Aber es ist nicht so, daß dieser Streik an sich eine linke Geschichte ist.

Wie agieren denn Linke in der Streikbewegung im Gegensatz zu der Masse der Leute?

Ich kann da nur etwas zu Marburg sagen. Hier gab es zum Beispiel dieses Flugblatt nach der ersten Vollversammlung, das unter anderem die starken antifeministischen Tendenzen kritisierte, die Polemik gegen eine quotierte Redeliste. Mit dieser Kritik hat die Linke minimale Standards durchgesetzt. Wir hatten gestern eine VV, die sehr viel ruhiger ablief und auf der die quotierte Redeliste nicht mehr umstritten war, wo es dazu auch keine blöden Sprüche mehr gab.

Ansonsten hat die Linke auf der Demo am Mittwoch - es war mit 8 000 Leuten die größte Demo in Marburg seit Jahren - Transparente mitgebracht und versucht, sich damit an die Spitze zu stellen. Auf dem Fronttransparent stand dann zum Beispiel: "Freiheit für die politischen Gefangenen weltweit". Das ist natürlich sehr fragwürdig, weil die Demo keine linke Demo war. Aber das war so eine Provo-Aktion, die zeigt, wo die Konfrontationslinien zwischen den linken und den anderen Studis verlaufen.

Findest du es falsch, daß sich der Protest an unmittelbar spürbaren sozialem Abbau entzündet?

Ich finde natürlich nicht falsch, wenn StudentInnen dagegen demonstrieren, daß ihre Lebensentwürfe durch ein neues Hochschulrahmengesetz zerstört werden. Aber ich denke, wenn es nicht auch weitergehende Forderungen gibt, dann können solche Bewegungen auch in eine falsche Richtung gehen. Das hat es ja schon öfter gegeben, daß das ganze nationalistische Tendenzen bekommt. Gerade wenn es darum geht, einzig und allein Privilegien zu verteidigen, und die eigenen Forderungen nicht in einen weitere Rahmen gestellt werden.

Die Marburger Streikerklärung stellt doch die Situation an den Unis in einen Zusammenhang mit der "Ausweitung von Wettbewerb" und Sozialabbau auch für AsylbewerberInnen. Das klingt nicht nach der Verteidigung von Pfründen.

Ja, das ist verabschiedet worden, allerdings gegen großen Widerstand in der VV. Es gab auch eine Zusatzerklärung von ausländischen StudentInnen, die auch verabschiedet wurde, die unter anderem die Abschaffung der AusländerInnengesetze forderte. Aber all diese Forderung spielen in der Streikbewegung kaum eine Rolle.