Eine Leiche im Keller

Guatemala: In Mexiko Exilierte wollen Druck machen. Die Führungsschicht der Ex-Guerilla bereitet sich auf die Integration in den Staat vor

Mehr als 10 000 Flüchtlinge aus Guatemala leben derzeit noch im mexikanischen Exil. Doch im Gegensatz zur internationalen Aufmerksamkeit von 1992, als Rigoberta Menchu zur Friedensnobelpreisträgerin gekürt wurde, interessiert sich heute kaum jemand für sie. Ardigua, die Interessenvertretung der über ganz Mexiko verstreuten Exilanten, will noch in diesem Monat verstärkt Druck auf die Regierung Guatemalas ausüben. Die Lebensumstände der Flüchtlinge haben sich dramatisch verschlechtert, nachdem Hilfsorganisationen wie die mexikanische COMAR oder die UNHCR ihre Hilfen weitgehend eingestellt haben.

Eine für März geplante Rückkehr von rund 500 Flüchtlingen nach Guatemala wurde im letzten Moment abgesagt, weil die Besitzerin der Finca, auf der sich die Exilierten ansiedeln wollten, vom Verkauf zurückgetreten war. Die im Abkommen zwischen Flüchtlingsorganisationen und guatemaltekischer Regierung vom 8. Oktober 1992 ausgehandelten Garantien, die im endgültigen Friedensabkommen Ende 1996 bestätigt wurden, sind nur in einem sehr begrenzten Rahmen eingehalten worden. Ardigua hat angekündigt, sie würde "auch andere Maßnahmen" ergreifen, sollte im September keine Rückkehr möglich werden.

Vor neun Monaten, am 29. Dezember 1996, unterzeichneten die guatemaltekische Regierung unter dem Präsidenten Alvaro Arzœ und die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) das Vertragswerk zu dem sogenannten festen und dauerhaften Frieden, der der guatemaltekischen Gesellschaft von nun an beschert sein soll. Die Guerilla demobilisierte ihre annähernd 3 000 Kämpferinnen und Kämpfer und erhielt dafür die zweifelhafte Rolle, als Juniorpartner die Politik der Regierung Arzœ zu legitimieren: Das heißt vielfältige Modernisierungsbestrebungen in allen Bereichen der staatlichen Administration sowie eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Der Modernisierungswille Arzœs steht dabei in einigen Aspekten im Widerspruch zu den traditionellen Herrschaftseliten, der Landoligarchie und Teilen des Militärs, die sich kaum anderes von den Friedensabkommen versprechen können als eine Einbuße an politischer und wirtschaftlicher Macht. Auf der anderen Seite trifft Arzœ auf eine URNG, deren Repräsentanten sich anscheinend so schnell wie möglich in den Staatsapparat integrieren wollen.

Kristallisationspunkt dieses latenten Bündnisses ist der Entführungsfall der Großindustriellen Olga de Novella im Oktober letzten Jahres, bei dem zwei Mitglieder des verantwortlichen Guerillakommandos festgenommen worden waren. Um den kurz vor Beendigung stehenden Friedensprozeß nicht mit dem Vorfall zu belasten, wurde nach geheimen Verhandlungen zwischen der Guerilla, der Regierung und der Mission der Vereinten Nationen für Guatemala (MINUGUA) de Novela gegen einen der festgenommenen Guerilleros ausgetauscht. Daß der Fall bis heute weithin Beachtung findet, liegt an zwei Aspekten: Einerseits gelangte die Geschichte an die Öffentlichkeit und wurde von den reaktionärsten Kräften aus Militär und Oligarchie genutzt, die Friedensverhandlungen zumindest vorübergehend zu torpedieren. Diese mußten für zwei Wochen ausgesetzt werden, bis sich die Generalkommandantur der URNG zu dem Fall geäußert hatte und Gaspar Ilom, ein Chefkommandant, dem die Entführung angelastet worden war, vom Verhandlungstisch zurückgetreten war.

Zum andern ist bis heute der Verbleib des zweiten in diesem Zusammenhang festgenommenen Guerillero unklar, der seit dem 19. Oktober 1996 als verschwunden gilt, nach seiner Festnahme jedoch gefoltert und ermordet worden sein soll. An ihren früheren Kampfgefährten wollten sich jedoch weder die Chefs der URNG erinnern, noch die Regierung oder der Direktor von MINUGUA, Jean Arnault. Der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchungskommission wurde bislang nicht nachgekommen; vertreten wird sie von Menschernrechtsorganisationen und Organisationen gegen Straffreiheit für die in dem 36 Jahre lang andauernden Bürgerkrieg in Guatemala begangenen Verbrechen. URNG und die Regierung Arzœ scheinen sich bereits auf zukünftige Koalitionen auf dem parlamentarischen Parkett vorzubereiten und haben dementsprechend wenig Interesse an einer Aufklärung der Hintergründe des Vorfalls. Die ehemalige Guerilla ist auf dem Weg, sich als Partei zu konstituieren, einige ihrer führenden Mitglieder werden bereits in öffentliche Ämter berufen.

Für einen großen Teil der ehemaligen Kämpfer und Kämpferinnen der Guerilla sieht die Zukunft dagegen wenig rosig aus. Etwa 500 von ihnen blieben länger als die vorgesehene Zeitdauer in den Demobilisierungslagern, da sie weder Familie haben noch über einen anderen Ort der Rückkehr verfügten. Ihre Zukunft liegt vermutlich im informellen Sektor, oder sie finden sich in dem Heer der landlosen Bauern und Saisonarbeiter wieder. Dort steht es ihnen frei, für die Einhaltung der Friedensverträge und für eine gerechtere Landverteilung zu kämpfen.

Im Rahmen der Abkommen ist die Schaffung eines Katasters vorgesehen, welches illegale Landnahmen insbesondere durch hohe Militärs während der Kriegsjahre rückgängig machen könnte. Bereits geschaffen wurde eine Abteilung zur Lösung von Landkonflikten und ein Landfonds, der treuhänderisch Land zur Vergabe an organisierte Bauern verwaltet. Die brisante Landfrage beschäftigt selbstredend auch die Agrar-Oligarchie, die sich allen Veränderungen in dieser Hinsicht verweigert. Der Präsident der Landwirtschaftskammer erklärte im Juli, daß niemand mehr in Land investieren wolle, wenn es keine Eigentums-Garantie gebe. Die Großgrundbesitzer hätten zudem reichlich investiert, um ihr Eigentum zu schützen - in private Sicherheitspatrouillen.

Im Rahmen der Fotoausstellung "In der Hand der Massen muß ein Schwert sein" über die guatemaltekische Guerilla findet am 26. September, 19.30 Uhr, eine Film- und Diskussionsveranstaltung zur Situation der guatemaltekischen Flüchtlinge mit der Solidaritätsorganisation CAREA statt. Galerie Olga Benario, Weserstr. 5, Berlin-Neukölln