Zur Klärung der Frage: Was ist ein „Ex-Muslim“?
So wie jede ritualisierte Namensfindung, die nicht im Handgemenge entstanden, sondern einer behilflichen Werbeagentur entsprungen sein muss, die gekonnt Sozialfiguren eifrig in Szene setzt, ist die Selbstbezeichnung „Ex-Muslim“ befremdlich und erstaunlich zugleich.
Als politische Identität ist er aus den aktuellen Diskussionen rundum den Islam nicht mehr wegzudenken. Man müsste ihn heute wohl erfinden, hätte der „Ex-Muslim“ sich nicht bereits erfunden, und sich gekonnt in Szene gesetzt. Was er erzählt, ist erstaunlich berechenbar. Man hat, was er erzählt, schon mindestens einmal gehört.
Ist der „Ex-Muslim“ vielleicht sogar die Verschmelzung von Kunst und Politik, um performativ zu demonstrieren, wie bunt und vielfältig die Welt inzwischen geworden ist, dass in ihr sogar „Ex-Muslime“ anzutreffen sind?
Zunächst ist der „Ex-Muslim“ eine ungewöhnliche Spielmarke im Karneval der Identitäten, der heute unverzichtbar geworden ist, um in der Öffentlichkeit „gehört“, „gelesen“ und „anerkannt“ zu werden, seitdem alle auf die buntscheckigsten Identitäten schwören. Denn was soll das auch schließlich besagen – „Ex-Muslim“ zu sein und sich als solcher zu identifizieren – außer das Mitmachen in den Identitätspolitiken kundzutun, nur eben bloß als ganz engagierte Sozialfigur?
Gibt es „Ex-Christen“, „Ex-Juden“, gar „Ex-Buddhisten“? Ist der „Ex-Muslim“ vielleicht sogar die Verschmelzung von Kunst und Politik, um performativ zu demonstrieren, wie bunt und vielfältig die Welt inzwischen geworden ist, dass in ihr sogar „Ex-Muslime“ anzutreffen sind? Vieles spricht dafür. Schließlich ist der „Ex-Muslim“ auch eine inszenierte Selbstvermarktung, die im Modus der narzisstischen Selbstdarstellung operiert und die gängigen marktkompatiblen Attribute mitbringt, die heute stark nachgefragt sind, um auf dem Markt der Singularitäten zu bestehen. Heute will jeder anders sein als die Anderen, und wer nicht auffällt, geht unter. Heute will jeder auch ganz besonders sein. Insbesondere der „Ex-Muslim“, der immer zur Stelle ist, sobald es um den Islam geht. Er kommt, wie gerufen, und erzählt, was alle bereits kennen und bestätigt bekommen wollen.
Im deutschsprachigen Raum taucht der „Ex-Muslim“ vermutlich um 2006/2007 auf, als sich ganz der Kampagnenpolitik verpflichtet unter dem Motto „Wir haben abgeschworen“ der „Zentralrat der Ex-Muslime e.V.“ gründete. Die „Ex-Muslime“ spielen seitdem nicht die Rolle des Geistes, der stets verneint, sondern die des Zeitgeistes, der sich dem Markt der vielfältigsten Identitäten verschrieben hat und den diskursiven Vorlieben der Öffentlichkeit folgt. Offensichtlich ist der „Ex-Muslim“ dem Islam, nicht so wie er erhofft hat, entkommen, sondern ihm noch stärker verbunden als ihm gemeinhin lieb sein dürfte.
Leben als Ex
Man kennt derlei tragische Beziehungen, die folgenschwere Nachwirkungen auf das psychische wie soziale Leben haben aus den kitschigen Liebesromanen, die in Bahnhofsbuchhandlungen verkauft werden, und immer Abnehmer finden. Die Stereotype, die in diesen Romanen zum Einsatz kommen und das Publikum dort abholen sollen, wo es steht sind bekannt: Der berüchtigte Ex, der mit der Trennung nicht umzugehen weiß, und changierend zwischen Schwärmereien und Hasstiraden über die vergangene Beziehung auffällt und einfach nicht loslassen kann; die anhängliche Ex, die über den Kummer nicht hinweg kommt, und stets die Nähe des Ex aufsucht und Liebes- oder Hasshymnen auf ihn verfasst, weil ein Leben ohne ihn unvorstellbar geworden ist; der verbitterte Ex, der demonstrativ und selbstbezüglich nur noch Schlechtes zum Tratschen anzubieten hat und mit Hassbotschaften triumphiert, weil ihm die Distanz fehlt.
Dem Publikum gefällt eine solche Showeinlage auch noch, weil es auch nichts anderes kennt.
Diese Typen sind dem Alltag entnommen, jeder kennt es: Entweder man idealisiert und schwärmt; oder man wertet ab und ist voller abgehalfterter Emotionen, die unbeherrschbar werden. Dass Affekte – wenn es um eine geistige Arbeit geht, wie die Kritik es ist –, dabei sehr kontraproduktiv sind, scheint nebensächlich zu sein. Denn sie entsprechen einer Zeit, die von der Mobilisierung der Affekte lebt und auf eine Vergeistigung der Affekte im Regelfall verzichtet. Dabei fällt jenen, die sich als den äußersten Kontrapunkt zum Islam setzen nicht auf, dass sie auf dem Fahrwasser destruktiver Beziehungen fahren. Den „Ex-Muslimen“ fällt auch nichts Besseres ein als in einer Mischung aus gewagtem Kalkül und billiger Reklame die Klaviatur zu spielen, die nur noch Lärm und Langeweile erzeugt und darum befremdlich ist. Dem Publikum gefällt eine solche Showeinlage auch noch, weil es auch nichts anderes kennt. Es hat gehört, was es hören wollte, und fühlt sich in seiner Meinung bestätigt. Da kommt der „Ex-Muslim“ wie gerufen.
Negativ fixiert
Es gibt unter „Ex-Muslimen“ eine Islamfixierung, die sonst zur Hellhörigkeit aufschreckt, wenn dies Spinner mit Koran und Gebetskette in der Hand im Kämmerlein tun. Dieses erstaunliche Schweigen hierüber ist verräterisch und bedarf einer Klärung. Schließlich wird dem „Ex-Muslim“ qua Status als ein „Ex“ eine bedeutungsschwangere Authentizität zugesprochen, die nur er beanspruchen könne als Abtrünniger. Dieses Expertentum besitzt er aber nicht, und kann es auch nicht einlösen. Nicht nur, weil Identitäten dies grundsätzlich nicht hervorbringen, sondern auch schon allein deswegen, weil das Ausbleiben von kritischem Abstand den „Ex-Muslim“ geradezu charakterisiert. Schon allein die Selbstbezichtigung, „Ex-Muslim“ zu sein, zeugt davon, dass sich da niemand lösen konnte, wie vermutet, sondern sich bloß negativ identifiziert, und den Islam wie Kaugummi am Schuh kleben hat und ihn einfach nicht loswird.
Doch der „Ex-Muslim“ hängt am Islam und kann ohne ihn auch nicht mehr leben.
Somit bleibt der „Ex-Muslim an seinem Objekt – dem Muslim-sein – hängen, und entledigt sich ihm nicht. Das würde nämlich bedeuten, sich in das Leben zu werfen, es zu genießen und sein Glück wie jeder andere auch zu suchen, wenn die neue Freiheit gelebt, und der Islam wirklich ad acta gelegt wird, sich mit ihm also nicht beschäftigt wird.
Doch der „Ex-Muslim“ hängt am Islam und kann ohne ihn auch nicht mehr leben. Er muss sich mit ihm befassen, sich an ihm reiben, zwanghaft und ritualisiert; nicht um sich von ihm zu befreien, und Ruhe zu finden, sondern sich in ihm endgültig zu verlieren. Fatal wird diese Flucht in die negative Identität als „Ex-Muslim“ in Zeiten, die vorbehaltloses Bekenntnis zu irgendetwas und die rücksichtslose Anpassung an irgendetwas erfordern.
Autoritäre Charaktere
Seit einigen Jahren tauchen auch unter „Ex-Muslimen“ vermehrt Spinner auf, die sonst aus den Studien zum autoritären Charakter bekannt waren. Stereotypes Denken ist hier vorherrschend, aus einer tragischen Familiengeschichte wird eine große Kulturgeschichte. Am Muslim wird bloß abgearbeitet, was der „Ex-Muslim“ mühsam bereits hinter sich gelassen haben will. Distanzierung ist das nicht, sondern das Abarbeiten an einem befremdlichen alten Ich, das nur noch anwidern muss. Nicht selten finden sich unter „Ex-Muslimen“ darum diese autoritären Charaktere, die dem Publikum bloß bestätigen, was die jeweilige politische Gemeinde hören will. Entsprechend hat jede Gemeinde seinen „Ex-Muslim“ und kann bei Bedarf auf ihn verweisen und zurückgreifen. Während der eine „Ex-Muslim“ unter die Gürtellinie geht, und mit Reflexionsausfällen und Beleidigungen wild gestikulierend und polternd drauflosredet, findet der andere Gefallen daran, als besondere bemitleidenswerte Spezies sich zu präsentieren. Man kennt diese ulkigen Rollen aus den entsprechenden Sendungen, die irgendwelche Aussteiger aus Sekten und Shows präsentieren, die selbstverständlich in den schwärzesten Farben, die es nur gibt malen. Schlau wird man aus solchen Ritualen der Unterhaltungsbranche nicht, die auf Emotionen setzt und rührende Geschichten produziert von Aussteigern, die ganz offensichtlich eine Rechnung offen haben. Wer will es ihnen auch verübeln.
Dieses Geschäftsmodell lebt ausschließlich von der richtigen Herkunft, dem stereotypen Denken und dem politisch korrekten Standpunkt des Interessentenkreises.
Als authentische Stimme verleiht der „Ex-Muslim“ schließlich einem vermeintlich zur Verschwiegenheit gedrängtem und zur Unkenntnis verdammtem Publikum seine Stimme und erntet hierfür viel Anerkennung und Lob. Vermutlich könnte man solch ein Bedürfnis nach einem Publikumsjoker links wie rechts liegen lassen, läge es nur allein am Drang nach Bestätigung und Bewunderung. Man könnte aber auch sich mühen und fragen, was der politische wie psychische Gewinn sein soll, sich unbedingt als „Ex-Muslim“ zu identifizieren und herumreichen zu lassen.
Ein Geschäftsmodell
Denn naturgemäß sollte Verdacht auf sich derjenige ziehen, der als Charaktermaske auf die Bühne tritt und seine politische Identität als solche zum Besten gibt. Der authentische „Ex-Muslim“ ist auf der Bühne dabei so tückisch wie der affektierte Rapper, der ein Publikum bedienen muss, das seine Zeilen bereits auswendig gelernt hat und mit dem Kopf nickt, sobald Zeile für Zeile Altbekanntes zum Besten gegeben wird. Schließlich hat das Publikum bezahlt und will lediglich unterhalten werden. Statt Langeweile und Gähnen, herrscht vornehmlich Selbstzufriedenheit. Alles läuft nach Plan.
Dem Bühnenstar nicht unähnlich ist der „Ex-Muslim“ entsprechend unterwegs: Er tritt selten im Modus der Publikumsbeschimpfung auf, hinterfragt und reflektiert nicht die öffentliche Meinung, liefert nicht Unerhörtes, sondern ist primär als bestellte Stangenware unterwegs, der nach Wunsch Horrorgeschichten liefert. Dieses Geschäftsmodell lebt ausschließlich von der richtigen Herkunft, dem stereotypen Denken und dem politisch korrekten Standpunkt des Interessentenkreises. Darum muss insbesondere die Affektivität des Publikums bedient und bestärkt werden, und wenn nicht, sind die enttäuschten Buh-Rufe, wenn der Star nicht einhält, was er verspricht gewiss.
Das Publikum soll schließlich mitleiden, sich an den Familientragödien der „Ex-Muslime“ ergötzen, sich als Helfer in Not in Solidarität üben und sich entsprechend im Guten wie im Schlechten beim „Ex-Muslim“ fühlen dürfen. Dabei sein ist alles, man hat ja auch sonst keine Sorgen. Das Publikum soll aber auch in diesen dürftigen Zeiten gemeinschaftlich Triebabfuhr leisten, und bereits als Kritik halten dürfen, wenn affektgeladene Impulse als vornehmes Recht mit Kritik verwechselt werden. Die besondere Affektiertheit des „Ex-Muslim“ wird alsdann wertgeschätzt. Er tritt wie ein Verbandsfunktionär auf, der bloß vorgefertigte Meinungen abliefert.
In solchen Zeiten ist Mut einzig in einer längst vergessenen Disziplin angebracht: Ent-täuschung anzetteln. Davon wollen „Ex-Muslime“ bislang nichts wissen. Sie gefallen sich in dubiosen Rollen als entweder Berichterstatter, Insider oder Experte und sind entsprechend umtriebig und heiß nachgefragt. Wer bei YouTube nach „Ex-Muslim“ sucht, wird daher auf Suchangebote wie folgende stoßen: „ex muslime packen aus“; ex muslime schockieren; „ex muslime berichten“; „ex muslime jetzt wird mit dem Islam abgerechnet“. Aufklärung klingt anders.