Die Gaza-Protestcamps an deutschen Universitäten haben viel von Ersatzreligion an sich.

 

Die obige Aufnahme*, die ich ich gestern auf dem  neu errichteten Gaza-Camp auf dem Theodor W. Adorno Platz der Frankfurter Uni machte, belegt sehr treffend, was mein Eindruck schon seit Monaten ist: Gaza ist zu einer Art Ersatzreligion geworden, an die die Leute inbrünstig glauben. Glaube und eine weiße Wand, auf die jede/r projizieren kann, was gerade auf dem Herzen liegt.

Deshalb werden auch solche Glaubenssätze, die jenseits aller Politik angesiedelt sind, verbreitet. Hier erscheint Gaza, wie der ewige Allmächtige. Reales Leiden, reale Menschen vor Ort sind dabei völlig uninteressant. Wie in fast jeder Religion geht es hier um ein kosmisches Ringen zwischen Gut und Böse, von dessen Ausgang auch ALLES abhängt.

Man muss an den Genozid glauben, darf nichts hinterfragen, sonst könnte man sich als Ungläubiger erweisen. Die Keffiyeh ist heute auch nicht mehr ein verkorkstes Symbol für politischen Widerstand, sondern eher so etwas wie eine Mönchskutte oder Nonnentracht, die Zugehörigkeit zur religiösen Gruppe markiert.

Auffällig ist die Abwesenheit von Ikonen, ja fast ein durchgesetztes Bilderverbot, was an der Natur der Sache liegt, denn die Hamas hat sich de facto ja unsichtbar gemacht und Haniyah Bilder taugen nun so gar nicht zum Guevara oder Arafat Ersatz.

Interessant wie sehr das sich dem Weltbild der kosmischen Krieger im Nahen Osten angleicht und doch in Europa ganz zeitgemäß wirkt. Denn die, egal ob von Al Qaida, dem IS, der Hamas oder den Regierenden in Teheran wähnen sich ja auch in einem heilig kosmischen Krieg, bei dem es ganz eschatologisch zugeht und diesseitige Dinge und Fragen ganz unwichtig sind angesichts des Ewigen, um das man kämpft.

Gaza, das ist das Gute, das leidet und gequält wird - auch das das ein immer wieder kehrendes religiöses Motiv - und Israel das Böse, das es quält. Gaza ist quasi Jesus in unserer Zeit. Und das macht diese ganze Bewegung so ungeheuer problematisch, denn in ihr aktualisieren sich ganz alte europäische Traditionen, in denen die Juden als Jesusmörder eine zentrale Rolle spielten. By the way, viele Islamisten haben diese Idee inzwischen übernommen, schließlich ist Jesus der zweitwichtigste Prophet im Islam, während in der Szene daran gearbeitet wird aus Jesus sozusagen den ersten Palästinenser zu machen.

In all den langen Jahren, in denen ich nun politisch aktiv war, ist mir noch kein derart unpolitischer Protest untergekommen. Dagegen war selbst die Friedensbewegung, die auch diese religiösen Züge hatte, sehr diesseitig verankert.

Vermutlich würde es helfen, um diese Bewegung zu verstehen, man versuchte sie wirklich ganz in solche religiösen Begriffen zu fassen.

Dazu passend kommt gerade diese Meldung aus Teheran:

Iranian Supreme Leader Ali Khamenei met Wednesday with Hamas leader Ismail Haniyeh, who visited Tehran as the Palestinian terror organization’s representative at the funeral for Iran’s president Ebrahaim Raisi after he died in a helicopter crash.

“The divine promise to eliminate the Zionist entity will be fulfilled and we will see the day when Palestine will rise from the river to the sea,” Khamenei told Haniyeh during a meeting at his office.

The Hamas politburo chief responded: “God willing we will see that day together.”

(*Ursprünglich stammt das Zitat von Rosa Luxemburg und stammt aus ihrer letzten Publikation, bevor sie ermordet wurde.)