Dienstag, 31.10.2023 / 00:48 Uhr

Antisemitismus: Und ewig grüßt das Murmeltier

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: Wikimedia Commons

Völkermord, Nazivergleiche und schrille Töne gehören seit Jahrzehnten zu jedem Nahostkonflikt, an dem Israel irgendwie beteiligt ist.

 

Fasst alles, liest und hört man heute genau so. Wer heute erstaunt ist, wo der ganze Hass, die Sprechblasen etc. herkommt, muss irgendwo an einem ganz fernen Ort der Welt die letzten Jahrzehnte verbracht haben.

Denn bei jedem Nahostkrieg, an dem Israel beteiligt ist, geht die immer gleiche Leier los, die ganzen offenen Briefe, Artikel, Demoslogans wiederholen sich ebenso wie Angriffe auf Synagogen und jüdische Einrichtungen. Ewig grüßt das antisemitische Murmeltier. Die folgenden Zeilen stammen aus einem Artikel von mir, den ich im Mai 2002 an dieser Stelle publizierte:

"José Saramagos Äußerung, Israels Vorgehen in den Palästinensergebieten sei durchaus mit Auschwitz und Buchenwald vergleichbar, kommentierte der israelische Historiker Tom Segev kürzlich mit den Worten, dieser Vergleich klinge, als hätte der portugiesische Literaturnobelpreisträger ihn von der Innentür einer öffentlichen Toilette abgeschrieben.

Spätestens seit die israelische Armee in fast alle palästinensischen Städten einmarschierte und dort unverhältnismäßig brutal auch gegen Zivilisten vorgeht, sind offenbar öffentliche Bedürfnisanstalten zur Inspirationsquelle für politische Verlautbarungen geworden. Konfliktparteien, die sonst von UN-Blauhelmsoldaten getrennt werden müssen, sind sich ihrer Empörung einig: Während der türkische Premier Bülent Ecevit Israel des »Völkermordes« an den Palästinensern anklagt, verabschiedet das griechisch-zypriotische Parlament eine Resolution, die den »Genozid Israels« scharf verurteilt. Es scheint, als wären beide einem zuvor veröffentlichten Aufruf der kommunistischen türkischen DHKC gefolgt: »Wir appellieren an alle revolutionären, patriotischen, progressiven und demokratischen Organisationen, an alle Anti-Imperialisten, Anti-Amerikaner, an alle Islamisten und an alle, die für Freiheit, Brot und Gerechtigkeit sind. Es ist an der Zeit, die gemeinsame Wut der Völker gegen die imperialistisch-zionistischen Angriffe zu mobilisieren.«

Einige der derart Angesprochenen kühlten umgehend ihr völkisches Mütchen an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen in Europa, andere entladen ihre Empörung (noch) in diversen Aufrufen und Petitionen an ihre Regierungen. Hinter Norbert Blüms Forderung, Israels »hemmungsloser Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk« müsse sofort gestoppt werden, der Wolfgang Gehrcke (PDS) eifrig hinzufügte, Sharon folge eben seinem »Hang zu biblischer Rache«, sammeln sich von den »nationalen Anarchisten« bis zur DKP, vom Gutmenschen bis zum Globalisierungsgegner alle, die dafür stehen, dass Deutschland ein so »gründlich zivilisiertes Land« (Antje Vollmer) ist. Die Demonstration »Solidarität mit Palästina« in Berlin am 13. April dürfte so zum zweiten »Aufstand der Anständigen« geraten; wenn die Politprominenz dort nicht ihre Grußworte abliefert, dann nur aus der traditionellen Rücksicht aufs Ausland, die in diesem Falle niemand mehr zu nehmen bräuchte. Das Redneraufgebot könnte man sich so vorstellen: Nach der Verlesung einer Solidaritätserklärung von Ecevit könnte Jürgen W. Möllemann sich erneut unter dem Beifall der versammelten Antiimperialisten als potenzieller Selbstmordattentäter outen: »Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt. Und ich würde das (...) auch im Land des Aggressors tun.« Jamal Karsli von den Grünen dürfte dann noch einmal wiederholen, dass die »israelische Armee Nazi-Methoden anwendet«, Horst Mahler das Wesen der »judäo-amerikanischen Weltherrschaft« erklären und zu guter Letzt Ernst Herbst von den DKP-nahen »Freunden Palästinas« die Menge auffordern: »Fallen wir den Mördern - Sharon und seiner demokratisch gewählten Junta - in den Arm.«"