Freitag, 26.05.2023 / 22:51 Uhr

Iran und und die neue Führung der Hamas

Von
Gastbeitrag von Yaakov Lappin

Ismael Hanniyeh in Teheran, Bildquelle: IRNA

Die Hamas und der Iran teilen das Ziel, Israel mit einem Ring von Feinden zu umzingeln, wobei dem stellvertretenden Politbürochef der Hamas, Saleh al-Arouri, eine gewichtige Rolle zukommt.

 

Der stellvertretende Leiter des Politbüros der Hamas, Saleh al-Arouri, der sich derzeit im Libanon aufhält, hat sich ebenso wie der Iran zum Ziel gesetzt, Israel mit Raketen- und Terrorbasen zu umgeben. Dieses gemeinsame Interesse hat es al-Arouri ermöglicht, ein neues Niveau der Zusammenarbeit zwischen seiner sunnitisch-islamistischen Terrorgruppe und dem radikalen schiitischen Regime in Teheran zu erreichen.

»Er ist tatsächlich eine der starken Personen innerhalb der Hamas. Ich würde sogar sagen, dass er zu den drei führenden Köpfen der Bewegung gehört«, meint Michael Milshtein, ehemaliger Oberst der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Leiter des Palestinian Studies Forum am Moshe Dayan Center für Nahost- und Afrikastudien an der Universität Tel Aviv und leitender Wissenschaftler am Institute for Policy and Strategy der Reichman-Universität in Herzliya. 

Milshtein zufolge ist al-Arouri im Namen der Hamas für des Westjordanland einschließlich Jerusalem zuständig. Darüber hinaus koordiniere er die Aktivitäten der Hamas mit anderen Mitgliedern der »Achse des Widerstands« und sei für einen großen Teil der militärischen Operationen der Hamas im Ausland verantwortlich, so Milshtein, der früher auch Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten im militärischen Geheimdienst der IDF war. Al-Arouri schaffe es laut Milshtein, »taktische militärische Aktivitäten zu leiten, aber auch strategisch zu denken und im Grunde zwischen den beiden Welten zu ›schwimmen‹«.

Wie David Hacham, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des MirYam-Instituts und ehemaliger Berater von sieben israelischen Verteidigungsministern in arabischen Angelegenheiten sowie früherer IDF-Oberst erklärte, trat al-Arouri Anfang der 1990er Jahre, während der ersten Intifada, den Milizen der Hamas bei: »Er war für den Aufbau des militärischen Flügels der Hamas in der Westbank verantwortlich. Für seine Aktivitäten saß er 18 Jahre lang in einem israelischen Gefängnis.«

Nach seiner Entlassung sei al-Arouri nach Syrien gegangen und habe sich dort niedergelassen. »Später, im Jahr 2012, verließ er Syrien nach dem Ausbruch des dortigen Bürgerkriegs und übersiedelte in die Türkei, wo er das Hamas-Hauptquartier leitete.« Aufgrund von israelischem und amerikanischem Druck auf die Türkei, sei er »2015 dann zusammen mit den meisten Hamas-Führungsmitgliedern im Ausland nach Katar gezogen. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Malaysia kam er im Libanon an, von wo aus er derzeit operiert.«

Im Jahr 2014 zerstörte das israelische Militär Saleh al-Arouris Wohnhaus im Dorf Aroura in der Nähe von Ramallah in der Überzeugung, dass er an der Entführung und Ermordung von drei israelischen Teenagern in der Westbank beteiligt gewesen war.

Junge Generation

Al-Arouri repräsentiert nach Ansicht israelischer Beobachter ebenso wie der Hamas-Chef im Gazastreifen, Yahya Sinwar, die jüngere Generation in der Hamas-Führung. Beide verfügen über operative Erfahrung, haben lange Haftstrafen verbüßt, sprechen Hebräisch und sind – im Gegensatz zu Mitgliedern der älteren Hamas-Generation wie Khaled Mashaal – mit Israel vertraut, so David Hacham.

Michael Milshtein beschreibt al-Arouri als wichtiges Bindeglied zwischen der Hamas und anderen Mitgliedern des radikal-islamistischen Lagers, welche die Existenz Israels bekämpfen. So sei al-Arouri, wie Milshtein erläuterte, beispielsweise maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass die Hamas im April dieses Jahres 34 Raketen vom Libanon aus auf den Norden Israels abgefeuert hat.

Al-Arouris einzigartige Rolle wird laut Milshtein durch zwei Faktoren ermöglicht: »Der eine ist sein Standort in Beirut und der andere sein grundlegender Ansatz zur energischen Förderung des Dschihads in verschiedenen Bereichen. Vor allem in der Westbank und in der neueren Arena Libanon. Das macht ihn zu einem Favoriten für Teheran und die Hisbollah. Dabei ist er an dem Aufbau und der Pflege strategischer Beziehungen beteiligt, aber auch in praktischer Aktivitäten wie Waffenbeschaffung, Ausbildung, Organisation, militärischer Zusammenarbeit und involviert.«

Hacham warnte davor, dass al-Arouris Ziel, die Fronten gegen Israel zu vereinen, in direktem Widerspruch zu Israels wesentlichem Interesse stehe, die verschiedenen Schauplätze den getrennt zu halten. Während Israel insbesondere versuche, die Differenz zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland aufrechtzuerhalten, wolle die Hamas hingegen eine möglichst enge Verbindung zwischen den verschiedenen Konfliktgebieten – Gaza, der Westbank, Jerusalem, dem arabischen Sektor in Israel und dem Libanon – herstellen 

Die den Gazastreifen beherrschende Terrorgrube sei daran interessiert, »die effektive Kontrolle über die Hebel für eine Eskalation erlangen«, so der ehemalige Ministerberater. »Die Hamas ist bestrebt, sich die Fähigkeit zu sichern, die Situation an den diversen Schauplätzen einzeln oder gemeinsam zu einem den Umständen entsprechenden Zeitpunkt eskalieren lassen zu können«, fügte er hinzu.

Milshtein zufolge wirken sich al-Arouris intensive Bemühungen günstig dabei aus, seinen Status als Führer innerhalb der Hamas zu festigen, der in der Lage ist, den Dschihad zu aufrechtzuerhalten und der einen Weg gefunden hat, die verschiedenen Schauplätze gegen Israel in Stellung zu bringen.

»Ich würde Saleh al-Arouri und Yahya Sinwar als zwei Hälften eines Ganzen beschreiben. Jeder ist für einen anderen wichtigen Tätigkeitsbereich der Hamas verantwortlich. Sie haben dasselbe Konzept, und ich glaube, dass beide strategisch eng miteinander koordiniert sind«, vermutete Milshtein.

Dass Israel es bisher vermieden hat, al-Arouri zu eliminieren, hat eine Reihe von Gründen, wie David Hacham erklärte: Erstens habe er einen Großteil der vergangenen fünfzehn Jahre in souveränen Staten verbracht, von denen einige diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten. Zweitens haben frühere gezielte Tötungen gezeigt, dass Anführer in Terrorgruppen schnell ausgetauscht werden, und drittens besteht die Sorge, seine Eliminierung führe zu einer verstärkten Motivation für terroristische Racheanschläge auf israelische Ziele oder löse gar eine größere Eskalation aus.

Nichtsdestotrotz könnte al-Arouri durchaus ein zukünftiges Ziel für ein Attentat werden. »Gezielte Tötungen sind die Hauptsorge der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihads (PIJ)«, sagte Hacham, kurz bevor Israel in der Nacht vom 8. auf den 9 Mai mit der Liquidierung von drei hochrangigen PIJ-Kommandeuren im Gazastreifen seine Operation Schild und Pfeil startete.

 

Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate und auf deutsch bei Mena-Watch. (Übersetzung von Alexander Gruber.)