In Ecuador hat die Vizepräsidentin die Amtsenthebung des Präsidenten beantragt

Krise mit Ansage

Mit ihrem Antrag auf Amtsenthebung von Präsident Daniel Noboa hat Vizepräsidentin Verónica Abad für eine politische Krise in Ecuador gesorgt. Sie wirft Noboa »geschlechtsspezifische politische Gewalt« vor und gefährdet dessen Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr.

Die Chemie zwischen Ecuadors unternehmerfreundlichem Präsidenten Daniel Noboa und seiner Vizepräsidentin Verónica Abad war nie sonderlich gut. Im Wahlkampf für das Parteibündnis Acción Democrática Nacional (Nationale Demokratische Aktion, ADN) traten sie kaum je zusammen auf. Nach dem überraschenden Wahlsieg des Gespanns im Oktober vergangenen Jahres blieb ihr Verhältnis extrem angespannt, der schwelende Konflikt ist nun offen ausgebrochen. Bereits am 8. August hat die streitbare neoliberale Vizepräsidentin einen Antrag auf Amtsenthebung Noboas beim Wahlgericht eingereicht, wie am Mittwoch vergangener Woche bekannt wurde. Abad wirft dem amtierenden Präsidenten »geschlechtsspezifische politische Gewalt« vor. Die Regierung ­reagierte umgehend und bezeichnete Abads Initiative als »Putschversuch«.

In der Klageschrift sagt Abad, die Sympathien für rechte Politiker wie die ehemaligen Präsidenten der USA und Brasiliens, Donald Trump und Jair Bolsonaro, zeigten, wes Geistes Kind Noboa sei. Dieser habe »meine Beteiligung als Frau an den politischen Entscheidungen des Staates eingeschränkt« und versucht, sie »vollständig aus dem öffentlichen Leben des Landes zu entfernen und die in der Verfassung verankerte politische Figur der Vizepräsidentin praktisch zum Verschwinden zu bringen«. Ein Vorwurf, der nicht so einfach zu entkräften ist, denn die Vize­präsidentin wurde vom Präsidenten kaum zwei Wochen nach ihrem Amtsantritt vom 23. November ins weit entfernte Ausland geschickt, um dort in der Botschaft zu arbeiten. Als Sondergesandte lebt Abad seit Dezember in ­Israel, wo sie zwischen Israel und der Hamas vermitteln soll.

Als Sondergesandte lebt Ecuadors Vizepräsidentin Abad seit Dezember in Israel, wo sie zwischen Israel und der Hamas vermitteln soll. Für Abad ist das ein politisches Abstellgleis.

Abad sieht sich durch die Entsendung nach Israel auf das politische Abstellgleis geschoben. Das wirft sie Noboa nun vor, fordert dessen Amtsenthebung und die anderer Beteiligter, wie der Außenministerin Gabriela Sommerfeld sowie der Beraterin des Prä­sidenten, Diana Jácome. Sommerfeld etwa habe Abads Urlaubsanträge nicht genehmigt und ihre diplomatischen Leistungen kritisiert. Für alle, die Abad politisch kaltgestellt hätten, fordert sie in der Klageschrift ein vierjähriges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter und eine Geldstrafe in Höhe von 70 Monatsgehältern.

Der Antrag könnte die von Noboa angestrebte Wiederwahl gefährden, wenn die Gerichte ihn annehmen. Doch das ist derzeit nicht sicher. Der Sohn des erzkonservativen Milliardärs und Magnaten der Bananenindustrie, Ál­varo Noboa, hat kürzlich seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im 
Februar 2025 angekündigt. Für einen erfolgreichen Wahlkampf benötigt der mit 36 Jahren bisher jüngste Präsident des Landes politische Erfolge und kein Verfahren, das ihm die Kandidatur vereiteln könnte.

Die Popularität Noboas sinkt

Ohnehin lassen die Erfolge seiner Politik bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf sich warten, trotz weitreichender Befugnisse für Polizei und Justiz im Kampf gegen die Narco-Kartelle. Das hat dazu beigetragen, dass die Popularität Noboas sinkt. Im April hatte die Regierung ein Verfassungsreferendum und eine Volksbefragung abgehalten. Neun der elf Referenden wurden verabschiedet; die Wahlbeteiligung lag bei rund 72 Prozent. Die genehmigten Maßnahmen ermöglichen es der Armee, Operationen mit der Polizei auszuführen, ohne dass zuvor der Ausnahmezustand ausge­rufen werden muss.

Faktisch hat Noboa den Kartellen – Schätzungen gehen von 28 verschiedenen aus – im Land den Krieg erklärt. Für diese in Mexiko gescheiterte Strategie, die dem Land Abertausende von Toten und Verschwundenen und eine verheerende Menschenrechtsbilanz bescherte, hat Noboa immer noch eine Bevölkerungsmehrheit hinter sich.

Sein Ziel ist es, die Kar­telle, die nicht nur den Koka­inschmuggel in Richtung Europa und die USA, sondern auch den Verkauf von Kokain im Land organi­sieren – teilweise direkt vor den Schulen –, mit militärischer Gewalt zurückzudrängen. Noboa hatte im Januar den Ausnahmezustand aus­gerufen und 22 Banden als »terroristische« Organisa­ti­o­nen bezeichnet. Auch über die rund 36 Haftanstalten des Landes will der Staat die Kontrolle zurückgewinnen. Dort wurden in der Vergangenheit Auftragsmorde, Erpres­sungen und vieles mehr geplant, wodurch die Kartelle ihren Einfluss auf Politiker, die Justiz und unterschiedliche Wirtschaftssektoren ausgebaut hatten.

Kakaomarkt im Visier der organisierten Kriminalität

Insbesondere der Handel mit und die Produktion von Kakao hat spätestens mit dem seit einem guten Jahr ­anhaltenden Anstieg des Kakaopreises auf mittlerweile mehr als 8.000 US-Dollar pro Tonne die Aufmerksamkeit der organisierten Kriminalität erlangt. Mehrere Sattelschlepper mit Kakaobohnen wurden in den vergangenen Wochen überfallen, Wachleute angeschossen. Die nur langsam sinkende Mordrate und die prekäre Sicherheitslage haben dazu beigetragen, dass der Rückhalt für Noboa sinkt und die Zahl der Auswanderungen hoch ist.

Dem Umfrageinstitut Comunica­liza zufolge würden im Augenblick noch 32 Prozent der befragten Ecua­do­ria­ner:in­nen Noboa ihre Stimme bei den Wahlen 2025 geben. Für Noboa sind das schlechte Nachrichten; derzeit bringt er nur die Amtszeit des ehemaligen Prä­sidenten Guillermo Lasso zu Ende, der einem Misstrauensvotum zuvorgekommen war und Neuwahlen ausgeschrieben hatte.

Zu Noboas sinkender Popularität trägt auch bei, dass er die Wirtschaft des Landes trotz Wachstums nicht wie versprochen ankurbeln konnte. Nur drei von zehn Ecuadorianer:innen im erwerbsfähigen Alter haben dem Nachrichtenportal Infobae zufolge eine so­zialversicherungspflichtige Beschäftigung, die Unterbeschäftigung, aber auch die fehlenden Perspektiven erhöhen die Auswanderung.

Flexibilisierung von Arbeitsverträgen

Mangelhafte Sozialpolitik attestiert der ecuadorianische Koordinator der Bananenarbeitergewerkschaft Astac, Jorge Acosta, der Regierung. Er kritisiert, dass im Referendum vom April auch eine Frage zur Abstimmung gestanden habe, die mit der Sicherheitspolitik nichts zu tun hatte.

Zustimmung wollte die Regierung Noboa damals für die Flexibilisierung von Arbeitsverträgen einholen, die auch befristet erlaubt werden und stundenweise Arbeit möglich machen sollten, wogegen die Gewerkschaften des Landes erfolgreich eintraten. Acosta war dabei eine treibende Kraft. Er wirft dem Präsidenten ein doppeltes Spiel vor: »Im Wahlkampf nahm Daniel Noboa öffentlich Abstand von Arbeitsverträgen auf Stundenbasis. Als Prä­sident aber nahm er die Legalisierung solcher Verträge als Frage ins Referendum auf. Das ist unglaubwürdig.«

Politik im Interesse der eigenen Familie

Nicht nur in Gewerkschaftskreisen der Vorwurf um geht, dass Noboa Politik im Interesse der eigenen Familie mache. Dazu passt, dass der in den USA ausgebildete Präsident genauso wie seine Familie und viele Großunternehmer des Landes der Umweltbewegung Yasunidos zufolge kaum oder gar keine Steuern zahlen. Das sei ein Grund für die hohe Staatsverschuldung des Landes, denn jedes Jahr gingen dem Fiskus rund sieben Milliarden US-Dollar verloren, so Pedro Bermeo, Koordinator von Ya­su­ni­dos. Seiner Ansicht nach ist die hartnäckige ökonomische Krise zu weiten Teilen hausgemacht, ein zentrales Problem sei die omnipräsente Korruption.

Daran hat sich unter Daniel Noboa wenig geändert, auch wenn es einige Ermittlungsverfahren gegen Staatsanwälte und Richter gibt, die mutmaßlich mit den Kartellen kooperiert haben. Es läuft auch ein Verfahren gegen den amtierenden Minister für Verkehr und öffentliche Arbeiten, Roberto Luque. Einer Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft zufolge habe Luque ein türkisches Unternehmen beauftragt, das schwimmende Kraftwerke vermietet, bevor die öffentliche Ausschreibung erfolgt sei. Das sei ein Indiz für Korruption im Amt, so der Bürger Marlon Pasquel Espín, der die Anzeige Mitte Mai stellte. Für den Präsidenten und sein Kabinett, die händeringend nach Wegen aus der Energiekrise des Landes suchen, die zu großflächigen Stromabschaltungen geführt hatte, sind diese Schlagzeilen alles andere als hilfreich. Gleiches gilt für die, die ­Vizepräsidentin Verónica Abad gerade macht.