Eine Partei wirbt zur Europawahl mit dem ewigem Leben

Schwamm drüber

Vor 500 Jahren war ordentlich was los: Die Bauernkriege toben, Thomas Müntzer hält seine berühmte Fürstenpredigt, Martin Luther tritt aus seinem Orden aus, der französische König Franz I. zieht über die Alpen und erobert Mailand, Vasco da Gama wird Vizekönig von Indien, Spanien erobert Mexiko, Tecún Umán, der letzte Maya-König, stirbt. Es gibt in Europa zu jener Zeit aber nur zwölf Hunderassen. Cocos Rasse gibt es noch gar nicht.

Das klingt wie aus einer anderen Zeit, und das ist es auch. Und doch sind es nur 20 Generationen, die uns von diesen Geschehnissen 1524 trennen. Also meine Ur(×18)großeltern haben den ganzen Schlamassel noch erlebt. Die Pygmäengrundel, ein winziger Fisch, wird maximal 59 Tage alt, doch in einem Jahr kann diese Art sieben Generationen hervorbringen. Mal 500 gerechnet, sind das 3.500 Generationen. Als die Ur(×3493)großeltern der heutigen Pygmäengrundeln am Great Barrier Reef herumgründelten, dauerte es noch 250 Jahre, bis 1770 der britische Seefahrer James Cook und die Besatzung der »Endeavour« vor Australien unfreiwillig dieses Korallenriff entdeckten – als ihr Schiff dort auf Grund lief. Das ist nur 250 Jahre her, also gerade mal zehn menschliche Generationen, für meine Urgroßmutter nur sieben, also so viele Generationen wie der Pygmäengrundler in nur einem Jahr durchläuft.

In den vergangenen 500 Jahren hat sich viel verändert, aber manches auch nicht: Pogromstimmung gegen Juden, wohin man blickt, Russland expandiert, die Bauern sind auf Krawall gebürstet. Dafür gibt es heutzutage weltweit über 1.000 Hunderassen, alle in den vergangenen 500 Jahren erst herangezüchtet. Und in Hongkong nimmt ein Angestellter eines großen Konzerns an einer Videokonferenz teil, unterhält sich dort mit seinen Kollegen, und der Finanzchef fordert ihn dabei auf, 23 Millionen Euro auf diverse Konten zu überweisen. Nachdem er das erledigt hat, stellt sich heraus, die ganze Videokonferenz war ein Deepfake; gab’s gar nicht; die Videos und Stimmen: alle gefälscht.

Wie wird die Menschheit in 500 Jahren leben? Die Frage stellt sich, weil derzeit eine Partei für Stimmen zur Europawahl wirbt, die das Altern abschaffen möchte. Das ist nicht so abwegig, wie es klingt: Im Meer der Antarktis leben Exemplare der Riesenschwamm­art Anoxycalyx joubini bereits seit 10.000 Jahren und es ist kein Ende in Sicht. Aber ganz ehrlich: Was ist das für ein Leben, 10.000 Jahre im Eiswasser auf derselben Stelle hocken? Da möchte man nicht tauschen. Und doch: Das Altern aufhalten, das reizt. Aber in welchem Alter soll das Altern stoppen? Mein Alter wird sich wohl nicht mehr rückgängig machen lassen, befürchte ich, und möchte ich, falls diese Partei an die Macht kommt, wirklich in einer Welt mit lauter Anfang 20jährigen Instagram-Junkies leben? Generation Z for ever? Dann kann ich auch gleich beim Riesenschwamm einziehen.