Die Serie »Ripley«, basierend auf der Figur von Patricia Highsmith

Schillernde Doppeldeutigkeit

Dem Roman »Der talentierte Mr. Ripley« von Patricia Highsmith folgend inszeniert die Miniserie »Ripley« in elegantem Schwarzweiß die Titelfigur Tom als Charakter zwischen Licht und Schatten.

Ein Mann betritt eine Kapelle in Neapel und hält wie versteinert vor einem Gemälde an; auf seinem Gesicht zeigt sich eine abgründige und zugleich erhabene Faszination. Das Gemälde stammt von Michelangelo Merisi da Caravaggio, ist betitelt mit »Die sieben Werke der Barmherzigkeit«, und das Gesicht gehört dem Schauspieler Andrew Scott, der in Steven Zaillians neuer Miniserie »Ripley« den gleichnamigen Betrüger aus den berühmten Kriminalromanen von ­Patricia Highsmith verkörpert. Wenige Sekunden genügen der Kamera, um im Gesicht Scotts beziehungsweise Thomas »Tom« Ripleys jene Ergriffenheit einzufangen, an die sich wohl jeder erinnern kann, der schon einmal aus der trubeligen Via dei Tribunali in die Kapelle des Pio Monte della Misericordia gestolpert ist und sich plötzlich dem großem Werk des italienischen Künstlers – und Mörders – gegenübersah.

Die Kamera tastet sodann Details des Bildes ab, die durch entsprechende Tonuntermalung zum Leben zu erwachen scheinen und so mit filmischen Mitteln die ästhetische Erfahrung der Kunstbetrachtung evozieren. Die Malerei Caravaggios erweist sich als Leitmotiv der Serie. So spiegelt sich das Verhältnis von Licht und Dunkelheit, das große Thema des italienischen Malers, nicht nur in den Filmbildern der Serie selbst, die in Schwarzweiß gehalten und schon darum stets am Spiel von Licht und Schatten interessiert sind. Auch im Charakter Ripleys streiten helle und dunkle Anteile, eine freundliche Kultiviertheit und eine abgründige Bereitschaft, für die eigenen Inter­essen zum Äußersten zu gehen, miteinander.

Die Serie berauscht sich gemeinsam mit ihrem Helden an der Schönheit Italiens, den brüchigen Oberflächen alter Gemäuer, den glatten, marmornen Prachthallen der Banken und Bahnhöfe.

Aufgrund einer Verwechslung wird der in eher bescheidenen Verhältnissen im New York der sechziger Jahre lebende Trickbetrüger zunächst von einem wohlhabenden Unternehmer beauftragt, dessen Sohn Richard »Dickie« Greenleaf (Johnny Flynn) in Italien ausfindig zu machen und zur Heimkehr zu überreden. Ripley findet ihn in dem kleinen Ort Atrani an der Amalfiküste, wo er sich mit seiner Freundin Marjorie, genannt »Marge« (Dakota Fanning), dem süßen Leben und halbherzigen Gehversuchen in der Malerei widmet. Obwohl Dickie sich – aufgrund der Verwechslung – keiner Begegnung mit Ripley entsinnen kann, nimmt er ihn zu Marges Missfallen in seiner großzügigen Villa auf und lässt ihn bereitwillig an ihrem Leben teilhaben.

Die drei leben in den Tag, unternehmen Ausflüge, rauchen, trinken Kaffee und erklimmen immer wieder die steilen Treppen, die aus dem kleinen Ort zur Villa führen. Während Dickie mit seiner Malerei nicht so recht vorankommt, kämpft Marge mit einer Schreibblockade – sie ­arbeitet an einem Roman über den Küstenort. Ripley studiert den Lebensstil und die Gepflogenheiten der beiden ebenso genau wie ihr Verhältnis zueinander, durch seine Mitarbeit an Marges – offenbar wenig erfolgversprechendem – Roman kann er schließlich auch ihr Vertrauen gewinnen.

Sorgfältige Betrachtungen italienischer Kunstwerke

Die Serie berauscht sich gemeinsam mit ihrem Helden an der Schönheit Italiens, von den brüchigen Oberflächen alter Gemäuer über die glatten, marmornen Prachthallen der Banken und Bahnhöfe bis zu den immer wiederkehrenden sorgfältigen Betrachtungen italienischer Kunstwerke. In perfekt komponierten, glasklaren Bildern fängt Robert Elswits Kameraarbeit sie ebenso gekonnt ein wie die beunruhigenden Nuancen auf den Gesichtern der Post- und Bankbeamten, Hotelrezeptionisten und Ripleys selbst, die die Serie zu einer kunstvollen Hommage an den Film Noir machen. Später kommen die durchdringend blickenden italienischen Ermittler hinzu, denn das idyllische Leben der drei vermeintlichen Bohemiens weicht schon bald einem fesselnden doppelten Spiel voller Intrigen, Täuschungen und Verwechslungen.

Lässt sich wie auch seine Freundin Marge von Ripley hinters Licht führen: Dickie Greenleaf (Johnny Flynn)

Lässt sich wie auch seine Freundin Marge von Ripley hinters Licht führen: Dickie Greenleaf (Johnny Flynn)

Bild:
Netflix

Aufgrund des gelegentlich sonderbaren Verhaltens Ripleys beginnen Dickie und Marge, sich in seiner Gegenwart unwohl zu fühlen. Als der junge Maler ihn bei einem Bootsausflug in San Remo in Abwesenheit Marges bittet, bald abzureisen, sieht dieser sich zu seinem ersten Mord veranlasst. Marge gegenüber lässt Rip­ley es so aussehen, als habe Dickie sie verlassen. Schließlich setzt er sich selbst nach Rom ab und eignet sich nach und nach die Identität und das Vermögen seines Opfers Dickie an. Es beginnt ein Verwirrspiel, bei dem die Ermittler mal im Dunkeln tappen und mal der Wahrheit ganz nahe kommen, doch immer wieder scheitern sie am Einfallsreichtum und Charisma des jungen Amerikaners.

Andrew Scott brilliert nicht zuletzt in jenen Momenten, in denen seine Figur beobachtet und antizipiert, lauscht und seine nächsten Schritte plant. In seinem Ausdruck deutet sich dabei eine Anstrengung an, die den Zuschauer zu eigenen Spekula­tionen verleitet, die wie jene der Ermittler mal ins Leere führen und mal die Wahrheit berühren, sie aber nur selten durchdringen.

Ripley schreckt auch vor Mord nicht zurück

Dankenswerterweise nimmt sich die Serie Zeit und entfaltet ihre Intensität gerade im Vagen, Langsamen und schillernd Doppeldeutigen. Das gilt für die ausführliche Einführung der Figuren und die Darstellung ­ihrer Charaktere und der libidinösen Konstellation, die immer unklarer werden lässt, wer hier eigentlich wen begehrt. Es gilt in besonderem Maße auch für die Momente, in denen Ripley bei seiner Arbeit gezeigt wird. Da ist das Einstudieren der Rolle Dickies, da sind die Selbstgespräche, mit denen er sich auf Begegnungen vorbereitet, und da ist eine schier endlose Szene nach dem zweiten Mord, in der man ihn detailliert bei der Reinigung des Tatorts, der Entsorgung der Leiche und dem Beseitigen der Spuren beobachten kann.

Atmosphärisch getragen wird »Rip­ley« daneben von den Gesichtern des auch über den grandiosen Andrew Scott hinaus perfekt gewählten Casts (unter anderem John Malkovich), den kunstvoll komponierten Bildern und den sorgsam gewählten italienischen Klassikern von Mina bis Rita Pavone, die die musikalische Untermalung stellen. So ist es ein ästhetischer Genuss, dem jungen Betrüger bei seiner Reise durch halb Italien – sie führt über Rom und Palermo zu einem Palazzo in Venedig – zu folgen und immer tiefer in sein Doppelleben einzutauchen.

Dickies Freundin Marge Sherwood (Dakota Fanning)

Dickies Freundin Marge Sherwood (Dakota Fanning)

Bild:
Netflix

Dass Ripley, um dieses aufrechtzuerhalten, auch vor Mord nicht zurückschreckt, lässt sich bereits nach seinem Besuch in der neapolitanischen Kapelle erahnen, als er aufgeregt Dickies Schilderung des Lebens und der Verbrechen Caravaggios lauscht. Neben die Bedeutung von dessen Malerei für das cineastische Verhältnis von Licht und Schatten tritt so Ripleys Faszination für die abgründige Biographie des Malers, in der sich wiederum die Anziehungskraft des fiktiven Trickbetrügers auf den Zuschauer spiegelt.

Diese komplexen Kompositionen, in denen nichts nur für sich selbst steht, sondern alles auf etwas anderes verweist und das Verhältnis von Blick, Projektion und Bild immer wieder neu erkundet wird, lassen »Ripley« aus dem Serienrepertoire von Netflix deutlich herausstechen. Am Ende ist es auch ein Bild, das dem Betrüger doch noch zum Verhängnis werden könnte. Doch auch hier begnügt sich die Serie mit einer Andeutung, was darauf hoffen lässt, dass Andrew Scott in naher Zukunft abermals die Rolle des Tom Ripley annehmen könnte. Sie steht ihm ausgesprochen gut.

»Ripley« (USA 2024) kann bei Netflix ­gestreamt werden.