Das Tuntenhaus in Berlin kämpft gegen seine Verdrängung

Die Tunten müssen bleiben

Das letzte queere Hausprojekt Berlins ist bedroht: Das berühmte Tuntenhaus in Prenzlauer Berg wurde verkauft. Die Bewohner:innen befürchten die Verdrängung und fordern das Vorkaufsrecht.

Den linken, schmutzigen Prenzlauer Berg der neunziger Jahre gibt es längst nicht mehr. Einst ein subkultureller Treffpunkt von Künstlern, Schriftstellern und der linken Hausbesetzerszene, wurde der Berliner Ortsteil über die vergangenen Jahrzehnte zum Inbegriff der Gentrifizierung. Entlang der eng bebauten Straßenzüge finden sich nun gutsortierte Delikatessengeschäfte neben kleinen Designerboutiquen. Vegane Cafés laden unter stattlichen Bäumen zum Verweilen ein, während Touristen die restaurierten Gründerzeitfassaden bestaunen.

In den Prenzlauer Berg zieht man, wenn man Kinder und Einkommen hat, heißt es. Tagsüber dominieren hier chic gekleidete junge Kleinfamilien das Straßenbild, am Abend werden diese durch Grüppchen alkoholisierter junger Leute abgelöst. Sie durchstreifen in den späten Stunden die Straßen rund um die U-Bahnstation Eberswalder Straße auf der Suche nach einer Bar, die noch freie Sitzplätze hat. Die Mieten steigen immer weiter, Subkultur schwindet. Zahlreiche alternative Orte mussten in den letzten Jahren der anhaltenden Gentrifizierung weichen.

Die turbulente Geschichte des Tuntenhauses begann in der Mainzer Straße in Friedrichshain im Mai 1990.

In der Kastanienallee 86 befindet sich das einzig explizit queere Hausprojekt der Stadt, das sogenannte Tuntenhaus. Doch auch dessen Fortbestand steht seit einigen Wochen auf dem Spiel. Denn Mitte Februar wurde eines der letzten alternativen Projekte im Prenzlauer Berg verkauft; an wen und zu welchem Preis, ist allerdings nicht bekannt. Bis Mitte Mai könnte der Bezirk das Haus noch retten, indem er Gebrauch von seinem Vorkaufsrecht macht.

Die turbulente Geschichte des Tuntenhauses begann in der Mainzer Straße in Friedrichshain im Mai 1990. Dort besetzten Schwule ein Wohnhaus. Nach der gewaltvollen Räumung wichen die verdrängten Bewohner auf das heutige Haus im Prenzlauer Berg aus. Das Wohnprojekt wurde bald durch Mietverträge mit der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (heute: Gewobag) legalisiert und 2004 an die Eigentümergesellschaft Kastanienallee 86 GbR verkauft.

Derzeit wohnen 36 Personen in dem Gebäude, einige schon von Beginn an. Während sich im Vorderhaus neben Wohnungen auch Ladenräume für linke Projekt befinden, ist der Hinterhof Ort für Veranstaltungen wie Vorträge oder bunte Sommerfeste. Das Haus ist eine soziokulturelle Institution im Prenzlauer Berg und sorgt mit einer Lebensmittelverteilstelle für bedürftige Menschen für Zusammenhalt in der Nachbarschaft. »Das Tuntenhaus ist ein sicherer Ort für queere Menschen, ein Ort, wo sich diverse Menschen jenseits des Mainstreams entfalten und empowern können«, ergänzt Jil Brest, Bewohnerin des Tuntenhauses, im Gespräch mit der Jungle World.

Für den Fortbestand hofft das Wohnprojekt nun auf den Bezirk. Dieser soll das kommunale Vorkaufsrecht wahrnehmen. In dem Fall würde ein sogenannter Drittkäufer, also ein landeseigenes Wohnungsunternehmen, eine Genossenschaft oder eine Stiftung, statt des eigentlichen Käufers den Kaufvertrag übernehmen. Damit wäre das Fortleben des Wohnprojekts in seiner heutigen Form gesichert.

Das berühmte Haus scheint baufällig genug, um das Vorkaufsrecht anwenden zu können.

Ob der Bezirk Gebrauch von seinem Vorkaufsrecht machen kann, wird derzeit geprüft. Brest ist optimistisch: »Wir haben den Eindruck, dass der Stadtrat für Stadtentwicklung und sein Stab sehr motiviert sind, das Verfahren entsprechend zügig und korrekt durchzuführen.« Kontakt zum Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) gibt es bereits. »Er hat uns zu einer Mieter:innen­versammlung eingeladen und wir haben sehr zeitnah einer Begehung zugestimmt.« Denn, so Brest weiter, das Vorkaufsrecht könne nur geltend gemacht werden, wenn bauliche Missstände belegt werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht 2021 entschieden; eine erhebliche Einschränkung für Bemühungen, Immobilien vom freien Markt in kommunalen Besitz zu überführen.

Die Begehung fand bereits Anfang März statt. Und das berühmte Haus scheint baufällig genug, um das Vorkaufsrecht anwenden zu können. Die ­Ergebnisse aus der Begehung werden derzeit ausgewertet, teilte der Bezirksstadtrat auf Nachfrage der Jungle World mit. Sollten sie entsprechend ausfallen, würde es also darum gehen, einen Drittkäufer zu finden, der Kaufpreis und Sanierungskosten finanzieren kann.

Das könnte jedoch ein Problem werden. Denn ohne Zuschüsse des Berliner Senats dürfte ein Vorkauf nicht möglich sein. In einem gemeinsamen Antrag fordern die Fraktionen der Linkspartei und der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus deshalb, dass der Senat den Bezirk finanziell unterstütze. »Solche Strukturen und solidarischen Lebensmodelle machen Berlin aus und müssen erhalten werden«, heißt es darin. Ein Verkauf hätte zudem die Verdrängung der Mieter:innen zur Folge: »Teure Modernisierungen und später die Aufteilung in Einzeleigentum können hier ein massiver Verdrängungs­motor sein.«

Der aktuelle Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin habe verdeutlicht, dass die Angebotsmieten bei Neuvermietung sich von den Bestandsmieten entkoppelt haben. Sollte der Bezirk zu der Einschätzung kommen, das Vorkaufsrecht hier rechtskonform ausüben zu können, nimmt der Antrag den Senat in die Pflicht. Die Senatsverwaltung teilte allerdings der Taz bereits mit, dass sämtliche Mittel für Vorkäufe bereits aufgebraucht seien. Mitte Mai läuft die dreimonatige Frist des Vorkaufsrechts aus.

Berlin ist international bekannt für queere Subkultur und ein vielfältiges kulturelles Angebot. Doch sind viele Orte der Alternativkultur in den vergangenen Jahren verschwunden. Plutonia Plüschowa, eine weitere Hausbewohnerin, berichtet: »Leute haben erzählt, dass sie versuchen, in Prenzlauer Berg wohnen zu bleiben, weil zumindest das Tuntenhaus noch existiert.« Selbstorganisierte linke Jugendzentren wie die »Potse« und der »Drugstore« mussten in den vergangenen Jahren mehrfach umziehen. Und die linke Kneipe »Syndikat« wurde im August 2020 in Neukölln unter großem Protest geräumt. Das Kneipenkollektiv konnte immerhin drei Jahre später an einem anderen Standort wiedereröffnen.

»Das Tuntenhaus ist ein sicherer Ort für queere Menschen, ein Ort, wo sich diverse Menschen jenseits des Mainstreams entfalten und empowern können.« Jil Brest, Bewohnerin des Tuntenhauses

»Alternative Orte haben sich vor allem dort erhalten, wo die Eigentumsverhältnisse des Hauses nicht renditeorientiert sind«, beobachtet Brest. Im Oktober 2020 wurde die queerfeministische Hausbesetzung in der Liebigstraße 34 im Friedrichshainer Nordkiez geräumt. Somit wurde das Tuntenhaus zum letzten queeren Wohnprojekt in Berlin. Fred Bordfeld (Linkspartei), Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bebauungsplanung und Genehmigungen der Bezirksverordnetenversammlung Pankow, betont im Gespräch mit der Jungle World: »Wir werden die Vielfalt unserer Stadt nicht halten können, wenn wir Pro­jekte wie das Tuntenhaus dem Immobilienmarkt opfern.«

Seit einigen Wochen richten die Bewohner:innen verschiedene Veranstaltungen aus, um auf den drohenden renditeorientierten Verkauf des Hauses aufmerksam zu machen. Sie sind gut besucht. Es wird gekocht, gequatscht und geschminkt, man drängt sich dicht auf dem Bürgersteig. Plüschowa ist überwältigt von der Unterstützung und Solidarität, die das Tuntenhaus erfährt. Dies »helfe uns auch, Hasskommentare von Rechtsex­tremen zu verdauen«, so Plüschowa. Diese erreichen das Tuntenhaus unter anderem über X. 2011 wurde das Wohnprojekt Ziel eines mutmaßlich rechtsextremen Brandanschlags.

Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD, die die Berliner Landesregierung bilden, heißt es: »Safer Spaces und diskriminierungssensible Begegnungsräume schützen wir vor Verdrängung.« Die Stadt wird als »Regenbogenhauptstadt« angepriesen. Das Tuntenhaus sei ein »Leuchtturmprojekt, das in besonderem Maße für Berlin als einer Stadt der Vielfalt steht«, so Bechtler. Nun bleibt zu hoffen, dass dies nicht nur leere Worte sind und der Senat dem Bezirk Pankow die nötige finanzielle Bezuschussung bereitstellt, um das einmalige Wohnprojekt langfristig zu erhalten. »Es würde der Stadt Berlin gut zu Gesicht stehen, sich hierbei tatkräftig und finanziell zu engagieren«, so Bordfeld.