Die Mehrheit der Schweizer stimmte in einem Referendum für die 13. Monatsrente

Die wilde 13

Erstmals seit langem hat in der Schweiz die Mehrheit bei einer Volksabstimmung eine soziale Verbesserung befürwortet: die 13. Monatsrente.
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Am Abend des 3. März rieben sich in der Schweiz viele die Augen, als sie die Ergebnisse des Referendums sahen. Es hatte sich zwar bereits vor der Abstimmung abgezeichnet, aber stimmte tatsächlich eine Mehrheit der von Gewerkschaften und linken Parteien lancierten Initiative zur 13. staatlichen Rente zu?

In den folgenden Tagen herrschte in den Medien Verwirrung, denn das Ja für mehr Rente war die erste erfolgreiche Initiative für einen sozialen Ausgleich überhaupt. Wie konnte das passieren in einem Land, in dem die Bevölkerung sonst Vorschläge wie mindestens sechs Wochen Urlaub im Jahr für alle Arbeitnehmenden zuverlässig ablehnt?

Tatsächlich ist der Erfolg eine Sensation. Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist die obligatorische Rentenversicherung in der Schweiz und soll als staatlicher Teil des Rentenmodells den Grundbedarf gewährleisten. Nur reicht sie dafür oft nicht.

Analysen sprachen von einem Generationenkonflikt, von den Boomern, die nicht sparen wollen – denn die Ja-Stimmen stammten überproportional von den über 50jährigen. Linke Parteien und Gewerkschaften wollen dagegen einen radikalen Umschwung erkennen. Die sozialdemokratische Partei SP hofft nun auf Erfolg mit ihrer nächsten Initiative, die die Krankenkassenprämien bei zehn Prozent des Einkommens deckeln soll.

Tatsächlich ist der Erfolg eine Sensation. Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist die obligatorische Rentenversicherung in der Schweiz und soll als staatlicher Teil des Rentenmodells den Grundbedarf gewährleisten. Nur reicht sie dafür oft nicht. Ende 2021 bezogen 12,5 Prozent der Rentnerinnen und Rentner sogenannte Ergänzungsleistungen, um den Grundbedarf abzudecken. Die Organisation Pro Senectute schätzt, dass circa 300.000 Menschen unter oder nur knapp über der Armutsgrenze leben.

Der Vorschlag war nicht besonders radikal

Eine 13. Rentenzahlung, um die Altersarmen zu unterstützen, wurde bereits 2002 vorgeschlagen. Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer scheint erkannt zu haben, dass sich etwas tun muss. Auch wenn noch unklar ist, wie diese Zahlung überhaupt finanziert werden soll, und sie wahrscheinlich höhere Lohnabgaben für die arbeitende Bevölkerung zur Folge hat.

Verschiedene Faktoren scheinen den Überraschungserfolg begünstigt zu haben. Erstens ist der Vorschlag einer 13. Rente nicht besonders radikal. Sie ist unabhängig vom Einkommen und wird auch den Superreichen ausgezahlt werden. Dennoch stimmten Menschen mit einem geringeren Einkommen eher dafür als die Gutverdienenden. Möglicherweise wirkt hier noch die staatlich finanzierte Rettung der Bank Credit Suisse nach. Wenn dafür staatliche Gelder vorhanden sind, warum nicht auch für eine höhere Rente, mögen sich manche gedacht haben.

Darüber hinaus gab es einen entscheidenden Unterschied zu bisherigen Abstimmungskämpfen, und das war die Werbestrategie der Initianten. Die Gewerkschaften und linken Parteien haben mit einer einfachen Botschaft über viele Kanäle für ein Ja geworben. Meist fällt ihre Werbung eher sachlich und reduziert aus, wenn man sie überhaupt sieht.

Im Gegensatz dazu ist es normalerweise die Strategie der rechtskonservativen SVP, tendenziell reißerische, Fakten verzerrende Werbung mit populistischen Parolen an die Haushalte zu verschicken und über Plakatflächen zu kleistern, um eine Abstimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dies war bei dieser Abstimmung nicht im gleichen Maße der Fall. Zwar gab es Plakate in ländlichen Gebieten und Briefe an Rentnerinnen und Rentner, aber etwas Wesentliches fehlte dabei: ein Gegenvorschlag.

Initiative für eine Erhöhung des Rentenalters

Stattdessen hatte die SVP zusammen mit Wirtschaftsverbänden und liberalen Parteien eine eigene Initiative zur Abstimmung gestellt, nämlich für eine Erhöhung des Rentenalters. Den gegenwärtigen und zukünftigen schweizerischen Rentnerinnen und Rentnern fiel es offenbar leicht, dazu nein zu sagen. Selbst das rechtspopulistische Magazin Weltwoche wetterte danach, dass die »Elite« der konservativen und liberalen Parteien den Draht zur Bevölkerung verloren habe.

Im Juni stehen die Abstimmungen über die Krankenkassenprämien an. Die SP strebt an, die Beiträge generell auf zehn Prozent des Einkommens eines Haushaltes zu deckeln.

Ob es sich beim Abstimmungsergebnis um eine Ausnahme handelt oder ob linke Initiativen auch in Zukunft auf Erfolge hoffen dürfen, wird sich zeigen. Im Juni stehen die Abstimmungen über die Krankenkassenprämien an. Die SP strebt an, die Beiträge generell auf zehn Prozent des Einkommens eines Haushaltes zu deckeln.

Der Nationalrat, das Abgeordnetenhaus der Schweiz, hatte mit seiner bürgerlich-konservativen Mehrheit einem sogenannten indirekten Gegenvorschlag zugestimmt, der den Kantonen mehr Geld zur Verfügung stellt, um den Prämienanstieg abzufedern. Der Gegenvorschlag geht mit der nicht konkretisierten Forderung an Krankenhäuser und Gesundheitsversorger einher, Kosten zu senken. Das wiederum bewog die Partei »Die Mitte« zu einer eigenen Initiative zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, der in direkte Konkurrenz mit dem linken Vorschlag tritt. Man wird sehen, wer sich bei den Wahlberechtigten durchsetzen kann.