Nach der Verschiebung der Präsidentschaftswahl eskalieren die Proteste in Senegal

Protest und Tod in Senegal

Bereits drei Demonstranten sind im westafrikanischen Senegal bei Protesten gegen die Verschiebung der Präsidentschaftswahl ums Leben gekommen.

Paris. Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden kritisiert die politischen Machthaber, UN-Generalsekretär António Guterres zeigt sich besorgt: Der vor allem aus Furcht des Regierungslagers vor einem Machtverlust resultierende Aufschub der Präsidentschaftswahl im Senegal ruft internationale Kritik hervor. Die Wahl war ursprünglich für den 25. Februar vorgesehen; ihr neuer Termin soll voraussichtlich der 15. Dezember sein.

Bereits zu Anfang voriger Woche warfen Polizisten in Kampfmontur die protestierenden Oppositionsabgeordneten aus dem Parlament, auf den Straßen eskalieren die Proteste. Die Schülerinnen und Schüler bekamen aus Furcht vor einer Ausbreitung der Empörung an den Lehranstalten schulfrei verordnet.

Drei tote Demonstranten waren im Senegal bis zum Wochenanfang zu verzeichnen. Zunächst starb am Freitag der 22jährige Student Alpha Yoro Tounkara in der Universitäts- und Hafenstadt Saint-Louis im Zuge von Protesten unter bislang ungeklärten Umständen. Am Samstag starb ein 16jähriger Demonstrant, Landing Camara, in Ziguinchor im Süden des Landes, den ein Geschoss am Kopf getroffen hatte.

Der senegalesische Oppositionsabgeordnete Guy Marius Sagna sprachdavon, die Regierung habe »den Sicherheitskräften einen Freibrief zum Töten erteilt«.

Ebenfalls am Samstag wurde der Tod des 23jährigen Modou Gueye in der Hauptstadt Dakar vermeldet. Der französische NGO-Aktivist Martin* konnte ihn im Krankenhaus treffen, als er noch lebte; kurz darauf wiesen die senegalesischen Behörden den Franzosen aus. Seinen Angaben gegenüber der Jungle World zufolge hatte ein Polizeigeschoss die Leber des 23jährigen zerstört. Als er blutüberströmt ins Krankenhaus eingeliefert worden sei, habe sich die Ärzteschaft zunächst geweigert, ihn zu behandeln – teils aus Furcht, dadurch als »Unterstützer der Opposition« aufzufallen, teils weil die Bezahlung der Behandlung nicht gesichert war. Das Opfer, ein fliegender Händler, sei als Waise aufgewachsen, habe außer einem Bruder keine weitere Familie und sei relativ mittellos. Am Ende seien den Ärzten 200.000 Franc (CFA) angeboten worden, diese hätten jedoch 500.000 Franc (CFA), umgerechnet rund 800 Euro, verlangt, um ihn zu behandeln. Nach stundenlanger Agonie sei der junge Mann verstorben.

Der senegalesische Oppositionsabgeordnete Guy Marius Sagna sprach in der französischen Internetzeitung Mediapart davon, die Regierung habe »den Sicherheitskräften einen Freibrief zum Töten erteilt«. Staatspräsident Macky Sall sagte der Nachrichtenagentur AP, »organisierte Kräfte« drohten, das Land »zu übernehmen«.

Unklar war, ob Sall damit auf eine vermutete Konspiration, einen eventuell bevorstehenden Putsch oder aber, wie ein Berater später behauptete, auf Jihadisten anspielen wollte. Oppositionspolitiker wie der inhaftierte Kandidat Bassirou Diomaye Faye von der im Vorjahr vom Innenministerium aufgelösten Partei Pastef (Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l’éthique et la fraternité) sprechen von einem politischen »Erpressungsversuch mit unbegründeten Putschgerüchten«.

In Senegal haben Militärputsche keine Tradition. In jüngerer Zeit tauchen jedoch im Internet und auf Social Media wiederholt Aufforderungen zu einem Militärputsch wie in den Nachbarländern Mali und Guinea 2020 und 2021 auf. Diese könnten allerdings auch aus den Ländern der neuen Allianz der Staaten des Sahel (AES), Mali, Burkina Faso und Niger, gestreut worden sein.

Ein bislang eher unerwarteter Profiteur der politischen Krise könnte der Sohn des früheren Präsidenten Abdoul­aye Wade (2000–2012), der 55jährige Karim Wade, werden. Er gilt in den Augen vieler Senegalesen als »getarnter Kandidat Frankreichs«, ist aber nicht der einzige Politiker des westafrikanischen Landes, der gute Beziehungen zum politischen Personal der ehemaligen Kolonialmacht unterhält. Der Premier­minister und Präsidentschaftskandidat Amadou Ba soll mit dem französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire auf gutem Fuß stehen.

Karim Wade war von 2013 bis 2016 wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert, wurde dann von Präsident Macky Sall begnadigt und ging ins Exil nach Katar, wo er bis heute lebt.

Karim Wade war unter seinem Vater, der in diesem Jahr 98 wird, von 2009 bis zu dessen Abwahl 2012 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Transportwesen. Danach war er von 2013 bis 2016 wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert, wurde dann von Präsident Macky Sall begnadigt und ging ins Exil nach Katar, wo er bis heute lebt. Im Unterschied zu dem Oppositionspolitiker Ousmane Sonko, Gründer von Pastef, der in seinen Jugendjahren in einer den Muslimbrüdern nahestehenden Vereinigung aktiv war, hat Karim Wade seinen Exilwohnort jedoch nicht aus islamistischen Motiven gewählt – auch wenn Katar politisch insbesondere Recep Tayyip Erdo­ğans Türkei sowie den Muslimbrüdern nahesteht. Vielmehr hängt Wades Wahl mit der Wirtschaftskraft Katars zusammen.

Karim Wade führt derzeit die von seinem Vater aufgebaute Senegalesische Demokratische Partei (PDS), von der sich vor der Ablösung Abdoulaye Wades durch Macky Sall im Präsidentenamt 2012 die derzeit regierende Partei Alliance pour la République (APR-Yakaar) abspaltete. Das derzeitige Präsidentenlager schickte anstelle von Amtsinhaber Sall, der die verfassungsrechtliche Beschränkung auf zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten akzeptiert hat, dessen politisch eher blassen Premierminister Amadou Ba ins Rennen.

Die Wochenzeitschrift Jeune Afrique legt nahe, Wade junior komme nun eine wichtige Rolle zu; das Präsidentenlager nähere sich ihm an, er stehe nun »im Zentrum des politischen Spiels«, wie das Magazin es formulierte. Die französische Regierung hält sich zu den Vorgängen bisher bedeckt.

* Name von der Redaktion geändert.