Eine Ausstellung in Wien erinnert an Ingeborg Bachmanns Werk und Person

Geheimsprachen und Todesarten

Vor 50 Jahren starb Ingeborg Bachmann. Wie in ihrem Werk die Geschlechterdifferenz und der ­Nationalsozialismus auftauchten, welche Freundschaften zu jüdischen Intellektuellen wie Paul Celan sie pflegte und wie sich ihr Ruhm als Dichterin einstellte, davon erzählt derzeit eine Ausstellung in Wien.

Seresta ist der Schweizer Handelsname von Oxazepam, einem Beruhigungsmittel aus der Gruppe der stark abhängig machenden Benzodiazepine – und möglicherweise für einen der tragischsten Tode der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur verantwortlich. In der Nacht vom 25. auf den 26. September brannte es im Palazzo Sacchetti in der Via Giulia in Rom, kurz darauf wurde die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann ins Krankenhaus gebracht. In seinem jüngst veröffentlichten Buch »Ingeborg Bachmann, meine Schwester«, erinnert sich ihr Bruder Heinz an die Tage im Krankenhaus. Nur durch ein Telefon habe Kontakt ins Isolierzimmer bestanden, auf dem seine Schwester lag, doch sprechen konnte sie nicht. Mit den Ärzten konnte er sich nur schwer verständigen, doch deutlich wurde, dass sie ratlos waren: Die Patientin zeigte Entzugserscheinungen, sie wussten jedoch nicht wovon.

Erst später erfuhr er von einem alten Freund seiner Schwester, dass diese von einer Arztgattin aus der Schweiz mit zahlreichen Beruhigungsmitteln, darunter Seresta, versorgt worden war und dass der jahrelange Medikamentenmissbrauch zu Schmerzunempfindlichkeit geführt hatte. Ingeborg Bachmann bemerkte nicht, wenn heiße Zigarettenasche auf ihre Haut fiel – so dürfte es auch zu dem Brand gekommen sein: Sie war mit einer Zigarette im Badezimmer eingeschlafen. Der vom Entzug geschwächte und vom Brand verletzte Körper gab nach etwa drei Wochen auf: Vor 50 Jahren, am 17. Oktober 1973, verstarb Ingeborg Bachmann in Rom.

Bachmann las lieber verbotene Bücher, als dem Bund Deutscher Mädel beizutreten.

So endete mit nur 47 Jahren das Leben einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen der deutschen Sprache. Bis heute fasziniert »die Bachmann«: Der 2008 erschienene Briefwechsel mit Paul Celan wurde ein Bestseller und als »Die Geträumten« verfilmt, auch der vergangenes Jahr erschienene Briefwechsel mit Max Frisch war ein literarisches Großereignis. Margarethe von Trottas Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« über die Beziehungen der beiden lief Anfang des Jahres auf der Berlinale, und in Wien kann man derzeit eine Ausstellung über die Schriftstellerin und eine Theateradaption ihres Romans »Malina« sehen.

Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek hat unter dem Titel »Ingeborg Bachmann – Eine Hommage« eine behutsam kuratierte, gelungene Ausstellung über ihr Leben und Werk zusammengestellt. Mit vielen Originalen und teils erstmals öffentlich zugänglichen Dokumenten kann man sich dem Leben Bachmanns in thematischer Anordnung nähern und dabei selbst als Kenner noch einiges ent­decken – so zum Beispiel einen Brief Henry Kissingers, mit dem sie eine Affäre gehabt haben soll, oder die erstmals gezeigten Filmaufnahmen, die nur einige Monate vor ihrem Tod in Polen entstanden. Bachmann lachend in polnischen Dörfern, im Mantel und mit Kopftuch – und eindrückliche Aufnahmen von Besuchen in den ehemaligen Vernichtungslagern.

Der Krieg und die Verbrechen der Nationalsozialisten gehören neben dem zerstörerischen Verhältnis zwischen den Geschlechtern zu den großen Themen Bachmanns. Die Verschaltung der männlichen Gewalt gegen Frauen mit der Gewalt der Nazis gegen die Juden, wie sie vor allem in ihrem unvollendeten Spätwerk auftaucht, mag aus heutiger Per­spek­tive irritierend anmuten. Vor dem Hintergrund ihres Lebens und ihres Werks verwundert dies jedoch kaum.

Schon früh hatte sich Bachmann mit dem Leid der Juden identifiziert – und das wurde auch von außen so wahrgenommen. Die Familie Bachmann besaß neben einem Haus in Klagenfurt ein aus der Familie des Vaters geerbtes Häuschen in Obervellach, einem Dorf in der Nähe von Hermagor im Gailtal. Hier, wo Kärnten langsam in Slowenien übergeht, hatte die Familie Bachmann ihren Ursprung – und die Gegend wurde in den letzten Kriegsjahren zur zwei­ten Heimat. Bachmann lernte hier den britischen Soldaten Jack Hamesh kennen, einen aus Wien stammenden Juden.

Bachmann, die, statt dem Bund Deutscher Mädel beizutreten, lieber verbotene Bücher las (und der damals im Dorf schon der Ruf einer Dichterin anhaftete), fand in Hamesh einen ersten Seelenverwandten – ­jemanden, mit dem sie über Literatur, Philosophie und die weite Welt diskutieren konnte. Hameshs Briefe an Bachmann sind gemeinsam mit den wenigen Seiten, die ihr Kriegstagebuch darstellen, vor ein paar Jahren veröffentlicht worden. In einem zärtlich-melancholischen Brief, den Hamesh 1946 aus Tel Aviv, wohin er ausgewandert war, schickte, schreibt er: »Wir beide sind allein, die Gründe sind verschieden, aber die Folgen sind dieselben.«

Zu Hamesh brach der Kontakt ab, später wurde Paul Celan der jüdische Seelenverwandte Bachmanns. Die Liebesbeziehung der beiden war kurz, doch sie blieben einander bis we­nige Jahre vor Celans Suizid 1970 in Paris eng verbunden. Bachmann unterstützte Celan sowohl in der Goll-Affäre, als ihm Plagiatsvorwürfe psychisch stark zusetzten, als auch 1967, als ihr Verlag Piper den Übersetzungsauftrag für Anna Achmatowas »Requiem« dem ehemaligen HJ-Führer Hans Baumann gab – und nicht Celan, den sie empfohlen hatte. Aus Protest wechselte sie zu Suhrkamp, dessen Leiter Siegfried Unseld seit einem gemeinsamen Aufenthalt in Harvard – wo sie auch Kissinger kennengelernt hatte – mit ihr ­bekannt war.

Eigene Pläne, nach Israel zu reisen, realisierte sie nicht. Doch Heinz Bachmann berichtet in seinen Erinnerungen, wie er seiner Schwester und ihrem Partner Max Frisch sehr ausführlich von einem längeren ­Arbeitsaufenthalt dort berichten musste. Ihren Vater Matthias bat Ingeborg Bachmann schon in ihrer Zeit beim Radio um Aufzeichnungen seiner »Abenteuer«, also der Kriegserlebnisse, die jedoch erst Jahre später in ihre Erzählung »Unter Mördern und Irren« einflossen. Für ihr »Todesarten«-Projekt, das unvoll­endet blieb, bat sie erneut um Aufzeichnungen, von denen jedoch ­unklar ist, ob sie sie noch gelesen hat. Das Verhältnis zum Vater war eng, sie teilten das Interesse für Literatur und Kultur, auch für Italien – Italienisch diente den beiden später als »Geheimsprache«.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Ingeborg Bachmann nie die NSDAP-Mitgliedschaft ihres Vaters thematisiert hat. Der war bereits 1932 eingetreten, noch bevor die Partei in Österreich verboten wurde. Aus dem Krieg kehrte er, so erzählt es Heinz Bachmann, desillusioniert zurück. Auch Jahre später soll man ihn nachts schreien gehört haben. Offenbar hat er über diese Zeit nicht offen gesprochen, doch er soll sich deutlich distanziert haben. Als die Debatte über die Zweisprachigkeit Kärntens in den fünfziger Jahren hochkochte, soll Matthias Bachmann völliges Unverständnis für die antislowenischen Positionen geäußert haben. Auch er unterhielt eine Freundschaft mit dem Shoah-Überlebenden Hamesh, als dieser im Gailtal weilte.

Ingeborg Bachmanns Karriere war steil und in gewisser Weise ein Produkt der Kulturpolitik der Alliierten. Nach einer Promotion über die kri­tische Rezeption Heideggers ging die junge Schriftstellerin ihrer ersten Tätigkeit von 1951 bis 1953 beim Sender Rot-Weiß-Rot nach, den die US-Amerikaner finanzierten. So entstanden ihre ersten Hörspiele, und 1953 erschien bereits ihr erster Gedichtband, »Die gestundete Zeit«. Sie erhielt dafür den Preis der Gruppe 47 und ein Jahr später war sie die erste Frau auf dem Titel des Spiegels.

Ihren Ruhm als Dichterin ergänzte sie 1961 um den einer erfolgreichen Erzählerin, als ihr Band »Das dreißigste Jahr« erschien. Zwar traf sie die negative Kritik Marcel Reich-Ranickis hart – der doch in ihrer Dichtung mit Formulierungen wie »die auf Widerruf gestundete Zeit« und »Nachgeburt des Schreckens« einige der »wenigen bedeutsamen sprachlichen Prägungen der deutschen ­Literatur seit 1945« gesehen hatte. Doch auch ihre Erzählungen wurden ein Erfolg.

Schon in »Das dreißigste Jahr« findet sich mit »Undine geht« eine Erzählung, die das Leiden Bachmanns an den für sie notwendigen, doch so unmöglichen Beziehungen zu Männern beredt macht. Der charakteristische erste Absatz »Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!« drückt das Problem treffend aus: Ein Mensch, das ist immer nur ein Mann – und der ist ein Ungeheuer. Aufgrund der ebenfalls in dem Band enthaltenen Erzählung »Ein Schritt nach Gomorrha« entstand das Gerücht, Bachmann begehre auch Frauen – was ihr immer wieder hartnäckigen ­Besuch junger Schwärmerinnen einbrachte, die abzuwimmeln ihr nicht leichtfiel.

Dass die Konstitution eines kohärenten weiblichen Subjekts unmöglich ist, wurde zum tragenden Thema ihres späten Romans »Malina«, der 1971 erschien und in einer Zeit geschrieben wurde, in der Bachmann schon zurückgezogen in Rom lebte; das Ende der Beziehung mit Max Frisch, mit dem sie in Zürich und Rom zusammengelebt hatte und deren offene Beziehung beide schmerzte, hatte sie in Kombination mit der ­eskalierenden Tablettensucht und einer Gebärmutterentfernung physisch und psychisch stark geschädigt. 1962/1963, als Frisch sie für die jüngere Marianne Oellers verließ, war Bachmann mehrmals in eine Klinik eingeliefert worden.

Die Aufzeichnungen aus jener Zeit bildeten zusammen mit »Traum­notaten« unter dem Titel »Male Oscuro« den ersten Band der seit 2017 erscheinenden Gesamtaus­gabe, der Salzburger Bachmann-Edition. Für den 9. November 1965 ist dort ein Traum verzeichnet, in dem Frisch zuerst Oellers schlägt, dann »einen großen Hund, der sich voller Ergebenheit prügeln läßt«. Bachmann will ihm erklären, »wie krank er mich gemacht hat«, der jedoch ist guter Laune und will mit ihr schlafen.

Dieses Leiden am Mann und am Frausein hat Bachmann in »Malina« in eine düstere Sprache gegossen, in eine Erzählung, die in ihrer Innerlichkeit an den Bericht einer Wahnsinnigen erinnert. Umso erstaunlicher, dass die Inszenierung des Buchs am Wiener Volkstheater gelungen ist. Die Regisseurin Claudia Bauer hatte mit ihrem Stück »Humanistää!« nach Texten von Ernst Jandl vergangenes Jahr beim Theatertreffen in Berlin für Begeisterung gesorgt. Ob ihr schriller, mitunter grotesker Stil aber auch zur Prosa Bachmanns passen würde, war alles andere als absehbar. Doch die kräftigen Farben, auffälligen Masken, Sprechchöre, Musik und Live-Videos hoben die entscheidenden Themen des Romans – die Fragmentierung des Selbst und die Unmöglichkeit, ein zusammenhängendes weibliches Subjekt zu bilden – beeindruckend hervor. Einzig Ivan, der zeitweilige Liebhaber der namenlosen Ich-Erzählerin, wird durchgehend von dem­selben Schauspieler verkörpert – besser kann man das Prinzip männlicher Souveränität, an dem der Wunsch der Frau nach Unabhängigkeit ebenso wie der nach Anerkennung zerschellt, kaum ausstellen.

Dass Ingeborg Bachmann auch 50 Jahre nach ihrem Tod noch fasziniert, mag auch den Mythen um ihre Person sowie dem Bedürfnis nach einer Feminisierung des Kanons geschuldet sein. Doch vor allem ist ihr dichtes, reichhaltiges Werk – man verzeihe die abgedroschene Vokabel – hochaktuell.

Die Sonderausstellung »Ingeborg Bachmann. Eine Hommage« in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien läuft noch bis zum 5. November. Die Inszenierung von »Malina« im Wiener Volkstheater läuft mindestens bis Februar 2024.