Im vom Abriss bedrohten Wohnblock in der Berliner Habersaathstraße werden die Bewohner drangsaliert

Torschlusspanik bei den Investoren

In einem Wohnblock in der Berliner Habersaathstraße sind Anwohnern zufolge Wohnungen verwüstet worden. Die Eigentümer­firma will die Häuser abreißen, um einen Neubau zu errichten. Eine Initiative wehrt sich dagegen.

Zwei Geländewägen und drei Kleinbusse, etwa 20 schwarzgekleidete Männer, die Vorschlaghämmer und Brecheisen mit sich führten – so beschrieben Bewohner der Häuser Habersaathstraße 40–48 in Berlin-Mitte das Bild, das sich am vorvergangenen Mittwoch um neun Uhr vor dem Wohnblock bot, der Jungle World. Auf den Autos habe das schwarz-rot-goldene Logo der Firma K & K Munitionsbergung geprangt. Eine schriftliche Räumungsaufforderung der Firma Arcadia Estates, ihres Zeichens Eigentümerin der Häuser, wies die Bewohner an, ihre Wohnungen an diesem Tag bis zehn Uhr zu verlassen, andernfalls werde die Wasser- und Stromversorgung abgestellt.

Sicherheitsmänner verschafften sich Zugang zu einigen Wohnungen. Fenster wurden entfernt, einige Wohnungstüren mit OSB-Platten verschlossen, Einrichtungsgegenstände zerstört – darunter Kloschüsseln und Waschbecken. Schlösser wurden ausgetauscht. Handwerker drehten das Warmwasser ab, schraubten die Stromzähler heraus und demolierten teilweise die Anlagen. Kurz darauf trugen sie die Stromzähler in Wannen aus den Häusern. Vor jedem Hauseingang postierten sich Männer, die niemanden mehr ins Haus ließen – auch nicht die Langzeitmieter, die über gültige Mietverträge verfügen.

2017 erwarb Arcadia Estates den Immobilienkomplex für mindestens 20 Millionen Euro, den der Berliner Senat 2006 für zwei Millionen Euro ­verscherbelt hatte; der 1984 errichtete Komplex hielt seinerzeit rund 100 Werkswohnungen für Mitarbeiter der Berliner Charité bereit. Der Eigentümer will die Gebäude abreißen, um dort einen Neubau zu errichten. Wenn Mieter auszogen, blieben die Wohnungen leer. Den Abrissplänen und der Schaffung von Luxuswohnungen in bester Innenstadtlage stehen nur noch acht Bestandsmieter mit so gut wie unkündbaren Werksmietverträgen im Wege.

2021 unterstützte deren Interessengemeinschaft die Besetzung leerstehender Wohnungen in dem Komplex, für welche die Initiative »Leerstand Hab-ich-saath« über mehrere Jahre hinweg Obdachlose auf Berlins Straßen interessierte, wie ein Mitglied der Jungle World mitteilte. Seitdem wohnen in dem Block 50 bis 60 ehemals Obdachlose. In den Häusern mit der Nummer 40–42 leben 150 ukrainische Geflüchtete.

»So leicht lassen wir uns nicht vertreiben«, sagte ein Bewohner des Wohnblocks in der Habersaath­straße.

Die Eigentümerfirma drängt jetzt allerdings auf Auszug – der alten wie der neuen Bewohner. Die Abrissgenehmigung hingegen war am 31. Juli abgelaufen und stand ohnehin unter dem Vorbehalt, dass alle verbliebenen Langzeitmieter eine gleichwertige Ersatzwohnung zur Verfügung gestellt bekämen und dem Abriss ihre Zustimmung erteilten. Weder das eine noch das andere war der Fall.

Langzeitmieter Daniel Diekmann vermutet deshalb hinter der Aktion »Torschlusspanik«. Der Jungle World teilte er mit: »Ende Juli lief die Abrissgenehmigung aus, nächstes Jahr läuft die Baugenehmigung aus und vermutlich machen auch die Investoren Druck.«

Im Gespräch mit der »Tagesschau« ­bestätigte der Geschäftsführer von Arcadia Estates, Andreas Pichotta, der Sicherheitsfirma den Auftrag erteilt zu haben. Die »Zertrümmerung der Wohnungseinrichtung« sei allerdings nicht in Auftrag gegeben worden. Lediglich habe man die Wohnungseingangstüren mit Platten verschließen lassen, damit die Wohnungen »nicht wieder von irgendeinem neuen Obdachlosen belegt« werden. Das Bezirksamt Mitte erklärte in einer Pressemitteilung, die Firma zu einem »Erörterungstermin« einzuladen und darauf zu drängen, »alle möglicherweise rechtswidrigen Maßnahmen sofort einzustellen«.

Fabi Jung von der Initiative sprach gegenüber der Jungle World von »Mafia­methoden«, die an eine »kriminelle Vereinigung« erinnern würden. »Pichotta hat gezeigt, was er vom Rechtsstaat hält«, so Jung. Außerdem wies er darauf hin, dass ein Paar ein Kind erwarte und Warmwasser »fürs Wochenbett« benötige.

Einen Tag nach dem Vorfall gab es zumindest bei den Bestandsmietern wieder Strom. Die Bewohner ohne Mietvertrag gingen derweil zum Grillen in den Park oder kochten vor den Hauseingängen auf Einweggrills. »Die haben die Rechnung ohne uns gemacht«, sagte ein Bewohner der Jungle World, »so leicht lassen wir uns nicht vertreiben.«

Schon früher war es zu Übergriffen auf die Bewohner gekommen. 2018 brannte Diekmanns Auto. Verschiedenen Medienberichten zufolge hatte jemand zwei Wochen vorher die Warnung »Ausziehen oder brennen« mit dem Finger auf die Windschutzscheibe des Autos geschmiert. Im selben Jahr hätten in 45 leerstehenden Wohnungen die Fenster offen gestanden, so dass das gesamte Haus auskühlte. Fünf Monate lang habe die Hausverwaltung nichts dagegen unternommen.