Verschenkekisten am Straßenrand enttäuschen den echten Sammler, aber manchmal gibt es auch Überraschungen

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Zu verschenken

Gestern kam Julia vom Sport, als sie auf dem Nachhauseweg in der Bergmannstraße zwei Fotos machte und sie mir auf Whatsapp schickte. Ich besitze seit dem vorigen Jahr ein Smartphone. Mein erstes Handy. Sehr praktisch. Ich bin zwar bei Instagram, poste aber noch nichts. Alle Bankgeschäfte erledige ich mit meiner Bank-App. Nun bin ich zwar genau genommen kein analoger Mann mehr, da das aber irgendwie auch eine Metapher für »alter weißer Mann« ist, behalte ich den Titel erst mal.
 

Zu verschenken


Das erste Foto zeigte eine leere »Zu ver­schenken«-­Pappkiste, darin lag nur noch die Pappe mit der Aufschrift »Zu verschenken«. Als Julia schon 50 Meter weitergelaufen war, hatte sie plötzlich eine Idee, was man mit dem Schild anfangen könnte. Sie ging zurück, nahm die Pappe aus der Box und klemmte sie dem nächst­besten SUV an die Windschutzscheibe.


Zu verschenken - wirklich?
 

Natürlich ist die ursprüngliche Idee gut, Dinge zu verschenken, anstatt sie direkt in die Mülltonne zu werfen. Aber oft genug entstehen aus diesen Kisten Müllkonvolute, weil andere Leute ihren Kram einfach dazustellen. Die Müllabfuhr zu bestellen, ist ja viel aufwendiger. Auch wir haben kein Auto, um mal schnell zum nächsten Recyclinghof zu fahren. Unser Keller ist mittlerweile komplett mit Dingen gefüllt, die in unserer Wohnung keinen Platz mehr haben.

Ich kann die Müllverursacher also verstehen. Dinge zu erwerben, wird uns allen unheimlich leicht gemacht, sie wieder loszuwerden nicht. Aber das Zeug einfach ohne Schild in den Hinterhof zu stellen, geht zu weit! Eine Familie, die seit ein paar Monaten im Hinterhaus wohnt, hat dort einen Berg voll Müllmöbel und Kartons entsorgt – und mit ihrem Haufen andere Mieter dazu angeregt, es ihnen nachzutun.

Wer will schon mit Bestimmtheit sagen, was wertlos oder wertvoll ist?

Seit Monaten bewegt sich der Haufen nicht. Ich habe den Plan, morgen Nacht alles kurzerhand auf die Straße zu stellen. Julia wird dann am nächsten Morgen die Stadtreinigung benachrichtigen. Mal sehen, ob das funk­tioniert.

Wenn man in einem wohlhabenden Viertel wohnt, können »Zu verschenken«-Kisten allerdings auch ­etwas Gutes haben. Julia hat in so einer Kiste vor ein paar Monaten einen großen Schmincke-Horadam-Aquarellkasten gefunden. Der ist zwar bestimmt schon 30 Jahre alt, hat aber noch alle 40 Farben. Und die werden auch nicht schlecht. Neu kostet so ein Kasten um die 200 Euro. Seit sie diesen Kasten hat, malt Julia leidenschaftlich gern damit.

Und erst gestern Morgen hat Julia zwei Bücher von Chimamanda Ngozi Adichie, »Americanah« und »Blauer Hibiskus«, in einem »Zu verschenken«-Beutel gefunden. Gute Bücher, für die jemand einfach keine Verwendung hatte. Wer will schon mit Bestimmtheit sagen, was wertlos oder wertvoll ist? Nur eine Sache ist klar, das Zeug aus dem Hinterhaus muss weg!