In der Kleinstadt in Ostsachsen haben Rechtsextreme die Wohnung einer afghanischen Famillie überfallen

Immer wieder Sebnitz

Im sächsischen Sebnitz wurde ein von Geflüchteten bewohntes Haus überfallen. Die Region hat eine lange Geschichte neonazistischer Gewalt, im Ort sind Rechtsextreme gesellschaftlich akzeptiert.

Der Film »Inglourious Basterds« von Quentin Tarantino beginnt mit einer brutalen Szene in dem von den Nazis besetzten Frankreich im Jahr 1941. SS-Standartenführer Hans Landa, gespielt von Christoph Waltz, verhört einen französischen Bauern auf seinem Hof auf der Suche nach der jüdischen Familie Dreyfus. Die Szene endet in einem Massaker an der Familie, die sich unter dem Fußboden der Stube versteckte. Nur die kleine Tochter Shosanna ­(Mélanie Laurent) kann über die Felder entkommen und sinnt seitdem auf ­Rache.

Der 2009 erschienene Film handelt von einer Gruppe jüdischer Nazi-Jäger in Frankreich. Doch die Anfangsszene wurde nicht dort, sondern in der Sächsischen Schweiz gedreht, in der knapp 10.000 Einwohner:innen zählenden Kleinstadt Sebnitz. Tarantino hatte sich damit eine Region ausgesucht, wo Anfang der nuller Jahre – also nur wenige Jahre vor dem Dreh – die zeitgenössischen Nazis der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) mit brutaler Gewalt für Schrecken gesorgt hatten.

Dass in der Gegend noch immer eine gewalttätige Neonazi-Szene aktiv ist, zeigte sich am vorvergangenen Wochenende, als vier Rechtsextreme in Sebnitz ein von Geflüchteten bewohntes Haus überfielen. Nach Zeugenaussagen und den Berichten der Polizei traten sie am späten Samstagabend die Hintertür des Hauses ein. Zwei von ihnen drangen in den Hausflur ein und griffen einen 18jährigen Afghanen und seinen 16jährigen Bruder an. Die Angreifer waren mit Sturmhauben vermummt, einer trug ein T-Shirt mit den Farben des Deutschen Reichs und dem Konterfei eines Wehrmachtssoldaten und war mit einer Stange bewaffnet, wie aus einem Handyvideo der Bewohner:innen hervorgeht. Die Bewohner:innen setzten sich zur Wehr und konnten die ­Angreifer vertreiben. Aufgrund der Aufnahmen konnte die Polizei einen der Angreifer ausfindig machen, gegen den 20jährigen wird nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung sowie Hausfriedensbruch ermittelt.

Dem Sächsischen Flüchtlingsrat zufolge handelt es sich bei dem Angriff nicht um einen Einzelfall. Die Tat stehe im Einklang mit anderen rassistischen Vorfällen und gesellschaftlichen Tendenzen in Sachsen. »Die Grenzen des öffentlich Sagbaren haben sich längst bis zur Entmenschlichung verschoben, und die Hetze gegenüber Geflüchteten gehört auf immer mehr Straßen zur Normalität«, sagte Osman Oğuz vom Flüchtlingsrat Mitte voriger Woche. In vielen Orten trauten sich Geflüchtete nicht mehr, auf die Straße zu gehen, so Oğuz weiter.

Dem Sächsischen Flüchtlingsrat zufolge handelte es sich bei dem Angriff auf das Wohnhaus der afghanischen Familie in Sebnitz nicht um einen Einzelfall.

Auch der Überfall in Sebnitz hatte eine Vorgeschichte, erzählte einer der Betroffenen dem MDR. Die beiden ­angegriffenen afghanischen Jugendlichen seien am selben Tag schon zuvor am Busbahnhof rassistisch beleidigt worden. Die afghanische Familie versucht nun, in einer anderen Stadt untergebracht zu werden.
Der Überfall sticht unter den ohnehin zahlreichen Fällen rechtsextremer Gewalt in Sachsen mit ungewohnter Brutalität heraus, die an die sogenannten Baseballschlägerjahre erinnert. Dazu passt, dass der Vorfall in der Sächsischen Schweiz stattfand. Mit den Skinheads Sächsische Schweiz war hier eine der größten und gefährlichsten Kameradschaften Deutschlands beheimatet. 1997 gegründet, gehörten ihr nach Angaben des Antifaschistischen Infoblatts zeitweise über 100 Personen an.

Bei Razzien im Juni 2000 wurden in 51 Wohnungen insgesamt mehr als zwei Kilo Sprengstoff, Teile von Granaten, scharfe Zündvorrichtungen, Munition und Pistolen sichergestellt. Im Jahr darauf verbot der sächsische Innenminister Klaus Hardraht (CDU) die SSS, später wurden sie auch gerichtlich als kriminelle Ver­einigung eingestuft. Das bedeutete aber keineswegs das Ende ihrer Aktivitäten, die Ende 2004 zu einer weiteren Großrazzia führten.

Die militanten Neonazis waren eng mit der NPD verbunden, die in jener Zeit in der Region ihre besten Wahlergebnisse bundesweit erreichen konnte und dort bis heute – neuerdings umbenannt in »Die Heimat« – fest verankert ist. So sitzt in Sebnitz seit 1999 ununterbrochen der rechtsextreme Arzt Johannes Müller im Stadtrat, erst für die NPD, seit den Kommunalwahlen 2019 für seine eigene Liste »Wir für Hier – Die Heimatliste«. Müller war von 2004 bis 2014 außerdem stellvertretender NPD-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag. 2014 bekam er bei den Kommunalwahlen in Sebnitz sogar unter allen Kandidat:in­­nen die meisten Stimmen und zog mit drei weiteren NPD-Abgeordneten in den Stadtrat ein.

Militante Neonazis können sich in der Region als Vollstrecker des Volkswillens fühlen und bewegen sich zudem in jahrzehntelang gewachsenen sozialen Strukturen der extremen Rechten.

Bei der Landtagswahl 2014 bekam die NPD in der Stadt 15,2 Prozent der Stimmen, das zweitbeste Ergebnis im Freistaat. Bei den Landtagswahlen 2019 wanderte die extrem rechte Wählerschaft offenbar fast geschlossen zur AfD, die in Sebnitz auf knapp 40 Prozent der Stimmen kam. Diesem politischen Klima entsprechend war, wie die Zeit-Journalistin Doreen Reinhard berichtete, in den Tagen nach dem Überfall auf die afghanische Familie »laute Empörung über den Angriff oder eine vernehmbare Debatte in der Stadtgesellschaft« nicht zu registrieren.

Militante Neonazis können sich in der Region als Vollstrecker des Volkswillens fühlen und bewegen sich zudem in jahrzehntelang gewachsenen sozialen Strukturen der extremen Rechten. Das zeigte sich beispielsweise am Himmelfahrtstag 2020, als die Polizei wegen Ruhestörung zu einer privaten Grillparty in den kleinen Ort Königstein gerufen wurde, der gut 20 Kilometer von Sebnitz entfernt liegt. Dort angekommen, wurden die Polizeibeamten direkt von den Anwesenden angegriffen. 30 Personen wurden festgenommen, darunter auch mehrere, die 20 Jahre zuvor bei den SSS aktiv gewesen waren. Sebnitz hatte im Oktober 2016 schon einmal wegen rechtsextremer Gewalt bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Damals waren drei geflüchtete Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren von einer Gruppe rechter Ju­gend­­licher rassistisch beleidigt, geschlagen und mit einem Messer bedroht worden.

Der Überfall in Sebnitz war in dieser Woche nicht der einzige Angriff mit einem offenbar rechtsextremen Hintergrund in Sachsen. Am Freitagabend überfiel nach Polizeiangaben eine sechsköpfige Gruppe in Görlitz eine Wohnung und schlug den 34jährigen Bewohner sowie seine 27jährige Mitbewoh­nerin zusammen, zudem nahmen sie mindestens ein Handy der Opfer mit. Nachdem die Polizei am Tatort angekommen war, kehrten die Angreifer:in­nen zurück und griffen nun unter »Sieg Heil«-Rufen auch die Einsatzkräfte an, zeigten den Hitlergruß und bedrohten die Polizist:innen unter anderem mit einem Messer. Fünf der sechs Angreifer:innen konnten festgesetzt werden, der mutmaßliche Rädelsführer sitzt in Untersuchungshaft.

Warum es zu dem Überfall kam, ist nicht bekannt, der Polizei zufolge kannten sich die Opfer und die Angreifer:in­nen. Interessant ist die Zusammensetzung der rechtsextremen Clique, die den Überfall begangen haben soll: Es handelt sich um vier männliche Per­sonen im Alter von 13, 16, 18 und 35 Jahren sowie eine 39jährige Frau, dazu ein flüchtiger männlicher Tatverdächtiger im Alter zwischen 35 und 45 Jahren. Rechtsextreme Gewalt hat in Sachsen Tradition und verbindet die Generationen.