Nach Wahlen in Kambodscha soll der Sohn des langjährigen Ministerpräsidenten übernehmen

Auf dem Weg zur Dynastie

Der kambodschanische Ministerpräsident Hun Sen hat seinen Rück­tritt angekündigt, sein Sohn Hun Manet soll das Amt übernehmen. Die marginalisierte Opposition dürfte kein Hindernis für diese Nachfolge­regelung sein, doch in der regierenden Partei CPP gibt es Widerspruch.

Ein Rücktritt unmittelbar nach einem überwältigenden Wahlsieg erscheint außergewöhnlich. Doch es war keine Überraschung, dass Ministerpräsident Hun Sen am Mittwoch vergangener Woche in einer Fernsehansprache ankündigte, sein Amt im August aufzugeben. Am Sonntag zuvor hatte seine Cambodian People’s Party (CPP) bei der Wahl zur Nationalversammlung, dem Unterhaus des Parlaments, mit mehr als 82 Prozent der Stimmen 120 von 125 Sitzen gewonnen – die fünf übrigen gingen an die royalistische Partei Funcinpec.

Wahl und Rücktrittsankündigung sind Teil einer Inszenierung, mit der der 70jährige Hun Sen nach 38 Jahren an der Macht (wobei er sich von 1993 bis 1998 mit dem Posten des »Zweiten Ministerpräsidenten« begnügen musste) seine Nachfolge sichern will. Die soll sein Sohn antreten, der 45jährige Hun Manet, wie schon vor der Wahl angekündigt worden war. Hun Sen entsagt der Macht nicht gänzlich, er bleibt Vorsitzender der CPP und will nach der Wahl des Senats, des Oberhauses des Parlaments, im kommenden Jahr Senatspräsident werden. Da die Opposition marginalisiert ist, dürften der von Hun Sen angestrebten Nachfolgeregelung allenfalls konkurrierende Frak­tionen des Regimes im Weg stehen.

Nachdem bei der Wahl der Nationalversammlung 2013 die oppositionelle Cambodia National Rescue Party (CNRP) beinahe die Mehrheit gewonnen hatte, ging Hun Sen vor den Wahlen 2018 rigoros gegen die Opposition und un­abhängige Medien vor. Im Herbst 2017 ließ er die CNRP auflösen. Ihrem Vorsitzender Kem Sokha wurde Hochverrat vorgeworfen, angeblich habe er mit Unterstützung ausländischer Mächte die Regierung stürzen wollen. Nach einem langjährigen Prozess wurde der 69jährige Oppositionsführer in diesem Frühjahr zunächst zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt, dies wurde in Hausarrest umgewandelt; zudem wurde ihm ein lebenslängliches Politikverbot auferlegt.

Im Sommer 2016 war der Regimekritiker Kem Ley in Phnom Penh auf offener Straße erschossen worden. Dieser Mord wurde bis heute nicht aufgeklärt. Das Regime ging auch gegen unabhängige Medien vor, unter anderem musste die Zeitung Cambodia Daily im Herbst 2017 ihre Printausgabe einstellen, nachdem sie mit nicht bezahl­baren Steuernachforderungen konfrontiert worden war. Bei der Wahl 2018 gewann die CPP alle 125 Sitze in der Nationalversammlung.

Auch vor der Wahl am vorvergan­genen Sonntag hatte das Regime die Repression verschärft. Im Verlauf des Jahres kam es zu mehreren tätlichen Übergriffen auf Oppositionelle und Gewerkschafter. Im Februar wurde dem unabhängigen Nachrichtenportal Voice of Democracy die Lizenz entzogen, nachdem es ausführlich über den Machthabern missliebige Themen berichtet hatte – zum Beispiel die Verbindungen von hohen Regierungsmitgliedern zur chinesischen Mafia, die sich in Kambodscha durch Cyberkriminalität und Menschenhandel hervortut.

Mitte Mai wurde der größten Oppositionspartei, der liberalen Candlelight Party (CLP), die Zulassung zu den Wahlen im Juli verweigert. Sie hatte bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr gut 22 Prozent der Stimmen erhalten. »Wenn die CLP bei den kommenden Wahlen zugelassen würde, könnte sie die 22 Prozent halten oder ihr Ergebnis vielleicht sogar verdoppeln. Davor fürchtet sich Hun Sen, und um seinen Gesamtsieg zu sichern, muss er die CLP ausschalten«, kommentierte die exilierte Oppositionspolitikerin Mu Sochua auf Anfrage der Jungle World. Nach Angaben der Behörden konnte die CLP nicht alle erforderlichen Dokumente vorweisen. Auch eine Berufung vor dem Verfassungsrat änderte nichts mehr an der Entscheidung.

Wie auch immer die Machtübergabe verläuft – eine Verbesserung der politischen Verhältnisse in Kambodscha ist nicht zu abzusehen, da sind sich die Beobachter weitgehend einig.

Andere Gegner Hun Sens wurden mit Klagen überzogen, um sie so an der Wahlteilnahme zu hindern. »Hun Sen setzt alle ihm zur Verfügung stehenden repressiven Mittel ein, um Kambodscha vor den Wahlen im Juli von jeder politischen Opposition zu befreien«, sagte Phil Robertson in einer Stellungnahme von ­Human Rights Watch bereits im April dieses Jahres. Ähnlich interpretiert es im Gespräch mit der Jungle World auch Sorpong Peou, Professor für Global Peace and Security Studies an der Toronto Metropolitan University: »Ich nenne das poli­tische Abschreckung. Mir scheint, dass die CPP-Führung immer noch nicht ­genug Vertrauen in ihre Fähigkeit hat, Wahlen unter gleichen Bedingungen zu gewinnen.«

Der verbliebenen Opposition wurde in den Medien kaum Aufmerksamkeit geschenkt, geschweige denn Sende­zeit gewährt. Hun Sen drohte in seinen Ansprachen, Wahlkampfreden und Posts immer wieder seinen politischen Gegnern­ mit Gewalt und wies die Behörden an, jeden zu verhaften, der versucht, die öffentliche Ordnung zu stören, sei es durch Proteste auf der Straße oder Kampagnen in sozialen Medien.

Kaum jemand zweifelte unter diesen Bedingungen am Wahlsieg der CPP, doch sollte das Ergebnis auch imposant ausfallen und die Nachfolgeregelung ­legitimieren. »Die Wahlen sollen als Akklamationsübung und Volksabstimmung über die geplante Machtübergabe von Hun Sen an seinen Sohn Hun Manet dienen«, erklärt Sebastian Strangio, Autor einer Biographie Hun Sens.

Hun Manet ist Hun Sens ältester Sohn. Er ist Absolvent der US-Militärakademie West Point, durchlief schnell die Ränge der Royal Cambodian Forces und wurde Viersternegeneral. Vor ­ei­nigen Jahren hat sein Vater ihn als Nachfolger auserkoren und bereitet seitdem den Übergabeprozess vor. »Er wurde auch schon von Hun Sen ein­geführt, indem er bei offiziellen Delegationen und Treffen mit der chine­sischen Regierung dabei war«, erläutert Daniel Bultmann von der Humboldt-Universität zu Berlin in Gespräch mit der Jungle World.

Die Inszenierung verlief erfolgreich, Probleme bei der dynastischen Machtübergabe könnten jedoch konkurrierende Fraktionen in der herrschenden Partei bereiten. »Man sieht Andeutungen, dass es Spannungen gibt, aber ­deren Ausmaß einzuschätzen, ist sehr schwierig«, sagt Bultmann. Der tech­nokratische Flügel der CPP sei nicht damit einverstanden, dass die Macht an Hun Manet übergeben werden soll: »Da gab es schon im Vorfeld Meinungs­verschiedenheiten.« Dieser Flügel bevorzuge den Wirtschafts- und Finanz­minister Aun Pornmoniroth als Nachfolger, »kann sich aber nicht durch­setzen«.

Auch im Verteidigungsministerium gibt es Gegner Hun Manets. Dabei geht es auch um Pfründe, die verteidigt werden sollen – und eine weitere geplante dynastische Amtsübergabe. Tea Seiha, der Sohn des Verteidigungsministers Tea Banh, wird als dessen Nachfolger gehandelt. Allerdings gefährdet die Machtübergabe an Hun Manet diese Pläne.

Auch andere hohe Parteikader versuchen, ihre familiäre Macht zu sichern, und manche Oppositionelle hoffen, solche internen Konflikte würden das Regime schwächen. »In letzter Zeit wurden viele enge Verwandte in entsprechende Positionen gebracht und andere Kandidaten hatten das Nachsehen«, so Bultmann. Gerade Tea Banh sei da schwer einzuschätzen, unklar sei »aber auch, wie viel da nur Wünsche und Hoffnungen der Opposition sind«, gibt er zu bedenken.

Dass Hun Sen nicht alle Macht abgeben wird, soll auch den Amtsantritt seines Sohns absichern. »Das bedeutet, dass er sich aus dem politischen Ta­gesgeschäft zurückzieht, aber die mächtigste Person im Land bleibt und die grundlegenden strategischen Entscheidungen weiterhin selbst treffen wird«, so der Politologe und Südostasien-Experte Markus Karbaum im Gespräch mit der Jungle World. Dabei helfe ihm, dass er auf Lebenszeit zum CPP-Vor­sitzenden gewählt worden sei. So kann er innerparteiliche Konkurrenten seines Sohnes ausschalten.

Wie auch immer die Transition verläuft – eine Verbesserung der politischen Verhältnisse in Kambodscha ist nicht zu abzusehen, darin sind sich die Beobachter weitgehend einig. »Da sollte man nicht zu viel erwarten. Ge­rade in den ersten Jahren wird es für Hun Manet überlebenswichtig sein, eine von seinem Vater unabhängige Machtbasis aufzubauen«, sagt Karbaum. »Unter der Annahme, dass die Über­gabe reibungslos verläuft – was nicht selbstverständlich ist –, wird sich die politische Landschaft in Kambodscha kaum verändern«, prophezeit Strangio. »Sicher wird es einige Unterschiede im politischen Stil geben«, meint der Autor. »Ich bezweifle jedoch, dass dies zu einer wesentlichen politischen Liberalisierung führen wird.«

Auch Bultmann zweifelt an einer politischen Entspannung. Der Kontrollapparat werde offenbar weiter ausgebaut und scheine immer besser zu funktionieren: »Sie lernen da viel von China.«