Im Haushaltsentwurf 2024 ist die Linderung von Kinderarmut keine Priorität

Lisa Paus und die verschwundenen zehn Milliarden für Kinder

Das Bundeskabinett hat am 5. Juli den Haushaltsentwurf für 2024 verabschiedet, der Kürzungen beim Etat des Familien­ministeriums verlangt. Die geplante Streichung des Eltern­geldes bei hohem Einkommen sorgt für Streit.
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So langsam könnte man fast so etwas wie Mitgefühl für die Bundesministerinnen und -minister von Bündnis 90/Die Grünen empfinden: Was immer sie tun, wird von den Vertreter:innen der anderen Parteien – ob Opposition oder Koalitionspartner – verteufelt. Sie sind nicht nur für die CDU der »Hauptgegner«, deren Vorsitzender Friedrich Merz das sogar stolz verkündete, sondern auch für SPD und FDP.

Der neueste Stein des Anstoßes ist die geplante Senkung der Einkommensgrenze für den Anspruch auf Elterngeld. Bislang liegt diese bei 300.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen von ­Eltern, ab dem kommenden Jahr sollen es 150 000 Euro sein. Die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wählte diese Maßnahme, um dem Sparzwang Folge zu leisten, dem sich die Bundesregierung mit der Anwendung der sogenannten Schuldenbremse unterworfen hat und den insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stets forcierten.

Nun ist die Anspruchsbegrenzung beim Elterngeld eine der ­wenigen Sparmaßnahmen im vergangene Woche vom Bundeskabinett beschlossenen Haushaltsentwurf 2024, die bei den sogenannten Besserverdienenden ansetzt. Und das ist etwas, das die Bundes­regierung und allen voran wiederum Scholz und Lindner stets bemüht sind zu vermeiden, weshalb Forderungen nach der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs oder einer Erhöhung der Erb­schaftssteuer schroff zurückgewiesen werden.

Während die ebenfalls im Haushaltsentwurf geplanten Kürzungen beim Bafög oder den Zuschüssen zur Pflegeversicherung weniger Beachtung finden, laufen die Wohlsituierten Sturm gegen die »Elterngeldkürzung«. Eine von Paus’ Amtsvorgängerinnen, Kristina Schröder (CDU), forderte in der Welt, das Bundesfamilienministerium solle »besser beim ›Kampf gegen rechts‹ kürzen als beim Elterngeld«, und der Co-Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, schlug vor, lieber das sogenannte Ehegattensplitting abzuschaffen.

Das Ziel, die Kinder­armut in Deutschland zu »bekämpfen«, wie es der Koalitionsvertrag formuliert hatte, beziehungsweise zu überwinden, wie es sich Paus vorgenommen hatte, kann man mittlerweile nicht mehr ernst nehmen.

Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur Berechnung der Einkommenssteuer, bei dem die Einkünfte der Eheleute zusammengerechnet und dann halbiert werden. Die Einkommenssteuer wird aus dieser Hälfte berechnet und dann verdoppelt; am stärksten profitieren Ehepaare, bei denen einer der Partner viel mehr Einkommen hat als der andere. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings dürfte allerdings in den Augen der FDP analog zur Abschaffung des Dienstwagenprivilegs als ­Steuererhöhung angesehen werden – und die hat die FDP bekanntlich grundsätzlich ausgeschlossen.

Das große Argument für eine Beibehaltung der derzeitigen Einkommensgrenze beim Elterngeld ist, dass die Kürzung ein Rückschritt für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sei. Auch Paus selbst führte dies als Problem der Kürzung an. Auf Twitter reagierte Lindner darauf süffisant: »Wenn die zuständige Kollegin selbst von der Änderung beim Elterngeld nicht überzeugt ist, dann kann und sollte sie ihren Konsolidierungsbeitrag in ­anderer Weise erbringen.« Dass sie ihn erbringen muss, steht für Lindner außer Frage, denn es müssten nun mal alle den Gürtel ­enger schnallen. Na ja, alle eben doch nicht. Beim Etat des Verteidigungsministeriums wird geklotzt statt gekleckert – mutmaßlich ist dies das von Lindner geforderte »Signal über die deutschen Grenzen hinaus«.

Wer sparen will und Steuererhöhungen ausschließt, kann ja fast nur noch Sozialleistungen kürzen. Genau das hat die Bunde­sregierung vor, denn selbst dort, wo nicht direkt gekürzt wird, führt die Inflation in Verbindung mit Stagnation der Leistungen und Löhne real zu Kürzungen. So stellte Lindner bereits klar: »Neue strukturelle Ausgaben können nur noch realisiert werden, wenn es strukturell wirksame Gegenfinanzierungen gibt.«

Dies dürfte nicht zuletzt erneut an das Bundesfamilienministerium gerichtet gewesen sein, wo immer noch am »zentralen sozial­politischen Projekt« der Ampelkoalition, nämlich der sogenannten Kindergrundsicherung, gedeichselt wird. Das Ziel, die Kinder­armut in Deutschland zu »bekämpfen«, wie es der Koalitionsvertrag formuliert hatte, beziehungsweise zu überwinden, wie es sich Paus vorgenommen hatte, kann man allerdings mittlerweile nicht mehr ernst nehmen.

Nachdem das Bundesfamilienministerium lange von einem Bedarf in Höhe von zwölf Milliarden Euro ausgegangen war, bezifferte Paus gegenüber dem Spiegel ihre neue »Hausnummer« auf »zwei bis sieben Milliarden Euro« und in der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung sind zwei Milliarden Euro vorgesehen, die gerade mal für eine kleine Verwaltungsreform bei den Sozialleistungen für Kinder reichen dürften. Wohlgemerkt soll die »Kindergrundsicherung« ohnehin erst 2025 eingeführt werden, und dann steht auch schon die nächste Bundestagswahl an, für die Kinderarmut beziehungsweise deren (logischerweise gegenfinanzierte) »Bekämpfung« sich doch wieder als Thema anböte.