Von den zehn wertvollsten Konzernen der Welt hat nur einer seinen Sitz nicht in den USA

Sichere Häfen

Für eine patriotische Leistungsauswertung eignet sich die Liste der Prüfungs- und Beratungsfirma EY mit den den wertvollsten 100 Unternehmen der Welt nicht.
Was kümmert mich der Dax Von

Sinkende Verkaufszahlen bei den meisten Produkten in den letzten beiden Quartalen, ein Widerruf der zu optimistischen Gewinnerwartung im Februar, erhebliche Probleme beim Absatz der Datenbrille Vision Pro, die das Zukunftsgeschäft sichern soll – an sich sollte man erwarten, dass Apple von Anleger:innen wenigstens ein bisschen abgestraft wird. Doch das ist nicht der Fall, mit einem Börsenwert von mehr als drei Billionen US-Dollar ist Apple das mit Abstand wertvollste Unternehmen der Welt.

Es folgen auf der am Dienstag veröffentlichten Liste des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY acht weitere Konzerne mit Hauptsitz in den USA auf den ersten zehn Plätzen. Unter den wertvollsten 100 waren, wie Spiegel Online salomonisch vermerkt, »zweieinhalb deutsche Konzerne« – neben SAP und Siemens das in Deutschland gegründete Chemieunternehmen Linde mit Hauptsitz in Irland.

Es dürfte nicht lange dauern, bis das Gejammer über die angeblich dürftige Präsenz Deutschlands in der Spitzengruppe anhebt. Doch für eine patriotische Leistungsauswertung eignet sich die Liste nicht.

Es dürfte nicht lange dauern, bis das Gejammer über die angeblich dürftige Präsenz Deutschlands in der Spitzengruppe anhebt. Doch für eine patriotische Leistungsauswertung eignet sich die Liste nicht. Zu den ungeschriebenen Gesetzen im Verhältnis von Privatkapital und ideellem Gesamtkapitalisten gehört, dass der Hauptsitz eines Unternehmens in jenem Staat zu liegen hat, von dem es die Vertretung seiner Interessen erwartet. Die fortgeschrittene Integration in der EU gestattet es Linde, die Steuervorteile Irlands zu nutzen, doch kann Apple nicht nach Shanghai oder Mumbai umziehen. Der Hauptsitz sagt überdies wenig über An­teils­eigner:innen, oft Investmentfonds anderer Länder, und Produktionsstandorte aus – Apple lässt in mehr als 40 Staaten Bauteile anfertigen.

Auch als Basis für Prognosen über zukünftigen Geschäftserfolg taugt die Liste wenig. Den Wert eines börsennotierten Unternehmens bestimmt das keineswegs immer zutreffende Urteil der Anleger:innen – oder eines Computerprogramms, der algorithmische Handel ohne Einschätzung des Firmenwerts durch einen Menschen macht etwa die Hälfte des Börsengeschäfts aus. Im Fall von Apple ist das Urteil nicht irrational, doch verdankt das Unternehmen seinen Erfolg nicht etwa der Innovation Vision Pro, sondern, so Alex Kantrowitz im Online-Magazin Slate, »einer großen Menge Geld, ein wenig Finanzmanipulation und einem wachsenden Dienstleistungsgeschäft«; es gelte in unsicheren Zeiten steigender Zinsen als »sicherer Hafen«.

Das dürfte auch für Saudi Aramco gelten, mit 2,1 Billionen US-Dollar hinter Microsoft auf dem dritten Platz. Mit knapp 60 Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß zwischen 1965 und 2019, mehr als vier Prozent der weltweiten Emissionen, belegt der Ölkonzern unangefochten den ersten Platz unter den Konzernen, die die globale Erwärmung vorantreiben. Mehr als 90 Prozent der Firmenanteile hält das saudische Königshaus, so dass andere Anleger:innen keinerlei Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben. Offenbar vertrauen diese auf die Monarchie und ein weiteres Wachstum des Handels mit fossilen Brennstoffen.