Im Kongo haben Rebellengruppen ­erneut Zivilisten ermordet

Kein Frieden in Sicht

Die Provinzen Nord-Kivu und Ituri im Osten des Kongo sind umfassend militarisiert. Kürzlich verübten Rebellengruppen trotzdem wieder schwere Massaker.
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Die Demokratische Republik Kongo bleibt politisch instabil und in ihrem Nordosten gefährlich. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Mai 2021 regieren Offiziere der kongolesischen Nationalarmee (FARDC) die an der Grenze zu Ruanda und Uganda gelegenen Provinzen Nord-Kivu und Ituri. Zudem ist die sogenannte Stabi­lisierungsmission der Vereinten Nationen, Monusco, seit zwei Jahrzehnten damit befasst, die schwelenden Konflikte um Land und Handelsprofite im Ostteil des riesigen Staatsgebiets zu befrieden.

Nachdem die Lage im vergangenen Jahr trotzdem weiter eskaliert ist, rief die kongolesische Regierung eine Interventionstruppe der zwischenstaatlichen Regionalorganisation Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), Soldaten aus Uganda und osteuropäische Söldner zur Hilfe. Hinzukommen sollen bald 500 Soldaten aus Angola. Die Regierung ist unzufrieden mit der EAC, der sie Passivität vorwirft, und fragte deshalb vor wenigen Wochen bei der Regionalorganisation Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) nach weiterem militärischen Beistand an.

Die Regierung unter Präsident Félix Tshisekedi wird zudem von einer Vielzahl älterer und neu gegründeter lokaler Milizen unterstützt, die unter dem Sammelbegriff Wazalendu (Patrioten) firmieren. Sie arbeitet auch mit den Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) zusammen, deren Führungsriege 1994 in Ruanda am Genozid an der Minderheit der Tutsi beteiligt gewesen war; die FDLR bekämpfen die heutige ruandische Regierung. Weder mangelt es an zwischenstaatlichen Eingreiftruppen, noch an Milizen oder militärischen Sonderbefugnissen.

Was fehlt, sind Ideen, wie der Osten des Kongo durch politische Prozesse aus seiner Dauermisere befreit werden könnte.

Was fehlt, sind jedoch Ideen, wie der Osten des Kongo durch politische Prozesse aus seiner Dauermisere befreit werden könnte. Diplomaten in der Hauptstadt Kinshasa hoffen vor allem, dass alles nicht noch schlimmer wird. Im Dezember sollen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Bis dahin sehen Vertreter westlicher Länder angesichts der nationalistischen Kampagne Tshisekedis keine Chance, mit dem Nachbarland Ruanda – im stagnierenden sogenannten Luanda-Friedensprozess unter angolanischer Führung – und im ebenso erfolglosen sogenannten Nairobi-Friedensprozess mit einigen Rebellengruppen zu einer Verständigung zu kommen.

Trotz vollmundiger Ankündigungen sind aber auch die Erwartungen an die Zeit nach den Wahlen gering. Dass die Regierung Tshisekedi, die durch Reiseverbote und willkürliche Verhaftungen die ohnehin zersplitterte politische Opposition behindert und daher große Chancen auf eine Wiederwahl hat, nach den Wahlen größeren Willen aufbringen wird, den östlichen Landesteil zu befrieden, steht kaum zu erwarten.

Seit Jahren verlangt die Regierung öffentlich den Abzug der UN-Mission Monusco, der sie Tatenlosigkeit vorwirft, ohne jedoch die eigene Einladung zurückzuziehen. Der Leiter der Hauptabteilung für Friedenssicherungseinsätze der UN, Jean-Pierre Lacroix, versprach Anfang des Monats bei einem Besuch einen schrittweisen Rückzug, betonte aber auch, dass einzig die Monusco die Millionen Binnenvertriebenen beschütze und staatliche Sicherheitskräfte diese Aufgabe übernehmen müssten, bevor ein vollständiger Abzug verantwortbar wäre. Zudem arbeite die Monusco in Ituri sehr gut mit der kongolesischen Provinzverwaltung zusammen, sagte er in der Provinzhauptstadt Bunia: »Die hervorragende gemeinsame Arbeit der Behörden der Provinz Ituri und unserer Monusco-Kollegen in allen zivilen, militärischen und polizeilichen Bereichen führt zu konkreten Ergebnissen: Tausende von Menschen sind geschützt.«

Dieser Schutz reicht jedoch nicht für die Vertriebenen im Ostkongo, deren Zahl der Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR zufolge in die Millionen geht. Eine Woche nach der Ansprache von Lacroix verübte die Milizen der Kooperative für die Entwicklung des Kongo (Codeco), die vorgibt, die Interessen der Ethnie der Lendu zu vertreten, ein Massaker in einem Lager, das nur wenige Kilometer von einem Monusco-Stützpunkt entfernt ist. Die Blauhelmsoldaten griffen nicht ein, Codeco tötete mindestens 46 Zivilisten.

Weiter südlich, im Grenzgebiet von Ituri und Nord-Kivu, terrorisieren die in Uganda gegründeten jihadistischen Vereinigten Demokratischen Kräfte (ADF) seit Jahren die Bevölkerung. Auch dort gibt es militärische Offensiven internationaler Streitkräfte, die aber nicht zu mehr ziviler Sicherheit beitragen. Vor zwei Jahren versuchte die ugandische Armee auf Einladung des Kongo, die ADF gewaltsam aufzulösen. Die Angriffe auf die Stützpunkte der Gruppe im ugandisch-kongolesischen Grenzgebiet schwächten die Jihadisten zwar, diese reagierten auf die militärische Herausforderung allerdings, nach einem oft kopierten Muster in der Region, mit Terrorangriffen auf die ungeschützte Zivilbevölkerung. Einem Bericht einer UN-Expertengruppe zufolge gelang es den ADF, die demnach in ein ostafrikanisches islamistisches Netzwerk von Somalia bis Südafrika eingebunden sind, Sprengsätze herzustellen. Am 16. Juni tötete die Gruppe in einem nächtlichen Überfall auf ein Internat in Uganda nahe der Grenze Dutzende Kinder und Erwachsene.

Nach wie vor scheuen sich die USA, Großbritannien und die EU, die guten Beziehungen zum ruandischen Präsidenten Paul Kagame zu belasten

Immerhin ein Waffenstillstand herrscht zwischen der Tutsi-Rebellengruppe »Bewegung 23. März« (M23) und der Regierung, seit die von kenianischen Offizieren befehligte Eingreif­truppe der EAC im Grenzgebiet zu Ruanda stationiert ist. Die M23, die eigenen Angaben zufolge die Tutsi vor einem Genozid schützt, zog sich in die Hügel rund um zuvor eroberte Städte und Dörfer zurück, unterhält aber weiterhin administrative Strukturen und kassiert Abgaben von Unternehmen und Zivilisten. Die Soldaten der EAC sehen diesem Treiben zu und machen kaum Anstalten, den zwischen Kongo und seinen Nachbarstaaten verabredeten Plan zur Entwaffnung der M23 durchzusetzen.

Darüber ist wiederum die kongolesische Regierung so empört, dass sie neben dem Rückzug der Monusco nun auch den der EAC fordert. Zuletzt verlängerte sie jedoch die Einladung an die EAC-Truppen noch einmal um drei Monate. Die Regierung hofft darauf, dass die SADC die Truppen der EAC bald durch eigene ersetzt, die dominanten Staaten in beiden Regionalorganisationen scheinen jedoch eine gemeinsame Anstrengung zu bevorzugen. Wann die bereits zugesagten SADC-Soldaten eintreffen und ob sie tatsächlich gegen die gut ausgerüstete und strategisch versierte M23 vorgehen, ist nicht absehbar.

Denn hinter der M23 steht die Regier­ung Ruandas. In der aktuellen Analyse der UN-Expertengruppe heißt es unmissverständlich, dass Zeugen, auf Schlachtfeldern zurückgelassene Dokumente und Satellitenaufnahmen den wiederholten Einsatz der ruandischen Armee auf kongolesischem Territorium bestätigen. Der Bericht der Experten an den UN-Sicherheitsrat wird möglicherweise personenbezogene Sanktionen zumindest der Europäischen Union und der USA gegen ruandische Amtsträger zur Folge haben.

Nach wie vor scheuen sich die USA, Großbritannien und die EU jedoch, die guten Beziehungen zum ruandischen Präsidenten Paul Kagame zu belasten, dessen Soldaten als »Friedenssicherer« in der Zentralafrikanischen Republik und im nördlichen Mosambik tätig sind. Und auch die Regionalorganisation SADC müsste sich fragen, ob Angriffe auf die M23 mehr Sicherheit und eine Rückkehr der Millionen Binnenvertriebenen ermöglichen oder ob ein weiterer militärischer Versuch der Niederschlagung der M23 nicht sogar zu einem internationalen Krieg führen könnte.