Eine Ausstellung in Leipzig zeigt Künstler, die als Migranten in der DDR lebten

Sozialistischer Realismus und sozialistische Realität

Bis heute ist die Migration in die DDR ein unterbelichtetes Thema. Eine neue Ausstellung im Leipziger Museum der Bildenden Künste widmet sich nun erstmals der Kunst von Migrantinnen und Migranten, die in die DDR kamen – und offenbart dabei einen Alltag zwischen künstlerischem Schaffensdrang und virulentem Rassismus.

»Reicht den Völkern eure Hand«, hieß es in der zweiten Strophe der Nationalhymne der DDR. Und in der Tat bemühte sich der Arbeiter- und Bauernstaat insbesondere nach seiner Aufnahme in die Vereinten Nationen im Jahr 1973 um internationale Anerkennung und Vernetzung. Ziel war nicht zuletzt eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen und damit verbunden eine Stabilisierung des eigenen Herrschaftsapparats zu Zeiten der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und des daraus resultierenden Kalten Kriegs.

Teil dieser Strategie waren auch Studienaustauschprogramme, die jungen Menschen aus den sogenannten sozialistischen Bruderländern sowie teils auch aus dem westlichen Ausland ein Hochschulstudium in der DDR ermöglichen sollten. Ab Anfang der achtziger Jahre stieg zudem die Zahl der sogenannten Vertragsarbeiter spürbar an. Für die meisten von ihnen war die Arbeit in der DDR lukrativ – waren sie doch in ihren Herkunftsländern wie Kuba, Vietnam oder Algerien einen erheblich geringeren Lebensstandard, nicht selten bittere Armut gewohnt. Doch allen öffentlichen Proklamationen von Internationalismus und Völkerfreundschaft zum Trotz war Rassismus in der DDR allgegenwärtig. Nur darüber gesprochen wurde kaum. Denn was nicht sein durfte, konnte auch nicht sein.

Und so verschwanden die Arbeiten migrantischer Künstler:innen jener Jahre schnell wieder aus dem öffentlichen Gedächtnis – so sie darin je einen Platz gehabt hatten – und in den Archiven. Als das Museum der Bildenden Künste Leipzig 2019 die Ausstellung »Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst« zeigte, wurden darin ausschließlich Werke mehrheitsdeutscher Künstlerinnen und Künstler präsentiert – eine vielsagende Panne.

Stählerne Körper, tatkräftige Bauern oder dem Licht und der Zukunft zugewandte Menschenmassen sucht man hier vergeblich.

Nun, vier Jahre später, bemüht man sich in eben jener Institution, die blinden Flecke zu beseitigen: Die Ausstellung »Re-Connect: Kunst und Kampf im Bruderland« konzentriert sich in einem ihrer drei Teile ausschließlich auf Kunst von denjenigen, die aus den »Bruderländern« in die DDR kamen und, so das Signal, nicht länger übergangen werden sollen.

Im ersten Block werden also Arbeiten damaliger Künstler:innen präsentiert, die in deren Studienzeit in der DDR entstanden sind. Manche von ihnen – wie Rimer Cardillo – blieben nur kurze Zeit in der DDR und zogen bald darauf weiter. Andere – wie César Olhagaray oder Michael Touma – haben bis heute einen Wohnsitz in Deutschland. Der zweite Teil zeigt Arbeiten zeitgenössischer Künstler:innen, die in der Nachwendezeit im Osten Deutschlands auf­gewachsen sind und deren Eltern in die DDR migriert waren. Die Werke dieses Ausstellungsbereichs wurden per Open Call ausgewählt. Der dritte Teil schließlich setzt sich mit dem virulenten Alltagsrassismus der Vor- und Nachwendezeit auseinander.

Die ausgestellten Werke offenbaren, dass die Künstler:innen nicht nur den vom Staat propagierten berühmt-berüchtigten Sozialistischen Realismus bedienten, sondern eine breite Palette von Ausdrucksmöglichkeiten nutzten. Stählerne Körper, tatkräftige Bauern oder dem Licht und der Zukunft zugewandte Menschenmassen sucht man hier jedenfalls vergeblich. Stattdessen dominieren abstrakte, expressionistische sowie experimentelle Werke, die sich wohl den einen oder anderen Vorwurf der Dekadenz, des falschen Klassenstandpunkts oder einer ­unauthentischen Bildsprache eingeheimst hätten.

»Punkerin« von Michael Touma, 1990

Kippenberger des Ostens. »Punkerin« von Michael Touma, 1990

Bild:
MdbK / Michael Touma

Einer der ausgestellten Künstler – Rimer Cardillo – sagt im Ausstellungskatalog in einem Interview denn auch unumwunden, dass der Sozia­listische Realismus den offiziellen Lehrinhalt an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee sowie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst geprägt habe. Er habe sich jedoch schlicht geweigert, diesem Stil zu folgen. Das geradezu bizarre Resultat sei gewesen, dass seine Werke als Ausdruck der »ästhetischen Offenheit« der Hochschule herhalten mussten.

Naheliegend erscheint es hier, dass ausländische Studierenden ein höheres Maß an kreativer Freiheit genossen als Einheimische – nicht zuletzt weil ihre Aufenthaltsdauer meist begrenzt war und sie danach als potentielle Repräsentanten der DDR in ihre Heimatländer zurückkehren würden, so dass man eine Konfrontation in solchen Fällen mutmaßlich eher mied.

Ärgerlich ist bei der Ausstellung, wie unzureichend die verschiedenen Bereiche inhaltlich miteinander verzahnt sind. Geradezu lieblos und starr stehen sie sich im ersten Untergeschoss des großen Museumskomplexes gegenüber, ohne wirklich in Dialog miteinander zu treten. Während man sich im ersten Teil mehr Hintergrundinformationen über die teils zweifellos sehenswerten Werke wünschen würde, leidet der dritte Teil an einem kaum zu verdauenden Informationsüberangebot: Den Besucherinnen wird eine Vielzahl monumentaler, kleinbedruckter Tafeln vorgesetzt, die oftmals auch noch daran scheitern, Informationen präzise und komprimiert wieder­zugeben, was mitunter ermüdend ist. So beginnt eine Infotafel über kubanische Migration in die DDR mit Erläuterungen über die Frühe Neuzeit.

Durchaus erhellend hätten stattdessen etwa Videointerviews mit den Künstler:innen selbst sein können, in denen diese über ihre Stu­dienzeit und die Lebensbedingungen in der DDR hätten sprechen können. Wer sich dafür interessiert, wird immerhin im Ausstellungskatalog fündig, der neben einleitenden Essays auch entsprechende Interviews beinhaltet.

Allen didaktischen Aufbereitungsmängeln zum Trotz offenbart der dritte Ausstellungsteil in teils beeindruckender Weise, wie alltäglich rassistische Schikanen mal behörd­licher, mal zwischenmenschlicher Natur waren. So ordnete der Staat eine strenge Segregation der verschiedenen Bevölkerungsgruppen an, was sich auch beim Wohnen und in der Freizeit niederschlug. Damit sollte nicht zuletzt eine langfristige Integration verhindert werden, da man ähnlich wie in Westdeutschland lange an der Vorstellung festhielt, die Vertragsarbeiter:innen würden nach dem Ende der Vertragslaufzeit in ihre Herkunftsländer ­zurückkehren.

Die ausgestellten Werke offenbaren, dass die Künstler:innen nicht nur den vom Staat propagierten berühmt-berüchtigten Sozialistischen Realismus bedienten, sondern eine breite Palette von Ausdrucks­möglichkeiten nutzten.

Aus diesem Grund durften die Vertragsarbeiterinnen während ihrer Zeit in der DDR nicht schwanger werden. Passierte dies dennoch, schreckte das Regime nicht vor einer inhumanen Abschiebepraxis zurück, wie ein in der Ausstellung skizziertes Schicksal einer vietnamesischen Industriearbeiterin offenbart: Nachdem die Frau ungewollt schwanger geworden war und das aus Angst vor den drohenden Konsequenzen zunächst verheimlicht hatte, wurde sie schließlich kurz vor der Entbindung in ein Flugzeug nach Nordvietnam gesetzt. Von dort musste sie mitten im Hochsommer über 1 000 Kilometer in ihre südvietnamesische Heimat zurücklegen. Dabei verlor sie nicht nur ihr Gepäck und damit den hart erarbeiteten kleinen Wohlstand, sondern aufgrund der Strapazen auch ihr wenige Tage altes Baby.

Beispiele wie dieses räumen einmal mehr mit dem immer noch verbreiteten Mythos auf, dass der Rassismus und der Menschenhass, die sich in den Anschlägen der Nachwendezeit offenbarten und in der Ausstellung ebenfalls beleuchtet werden, erst und einzig aus wirtschaftlicher Unsicherheit und Perspektivlosigkeit erwachsen seien. Vielmehr zeigt die Ausstellung, dass die Grundlagen dafür auch in die vorangegangenen 40 Jahren zurückreichen.

Die Ausstellung hat seit der Eröffnung Mitte Mai bereits einige Wellen geschlagen. Wie schwierig und umkämpft das öffentliche Sprechen über Rassismus sein kann, offenbarte kürzlich eine szenische Lesung, die im Rahmen des breiten Begleitprogramms zur Ausstellung stattfand. Auf der Bühne saßen Grit Díaz de Arce und Bibiana Malay, zwei in Ost-berlin aufgewachsene migrantische Frauen. Letztere rezitierte ein Gedicht, das sie aus ihrer Kindheit kennt und in dem das N-Wort vorkommt. Sie sprach das Wort – so, wie sie es aus ihrer Kindheit in schmerzlicher Erinnerung hatte – auf offener Bühne aus, um die ihm inhärente Brutalität zu demonstrieren. Womit sie derweil nicht gerechnet hatte, war, einen Eklat auszulösen. Den entfachten jedoch antirassistische Aktivistinnen – ungeachtet der Tatsache, dass Malay selbst als schwarze Person ihr Leben lang unter dem Gebrauch dieses Worts gelitten hat.

Die Ausstellung »Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland« ist noch bis zum 10. September im Museum der Bildenden Künste Leipzig zu sehen. Der Ausstellungskatalog ist im Hirmer-Verlag erschienen.