In Wien hatte ein Rechts­extremer ein Attentat auf ein linkes Fest geplant, die Behörden schwiegen

Land der Einzeltäter

In Österreich haben die Behörden monatelang verschwiegen, dass ein Rechtsextremer einen Anschlag auf ein linkes Fest geplant hatte. Erst durch den im Mai veröffentlichten Verfassungsschutzbericht wurden die Anschlagspläne öffentlich bekannt.

Im Vorjahr wurden in Österreich mehr als 660 Personen aus der rechtsextremen Szene angezeigt, es fanden mehr als 100 Hausdurchsuchungen statt und es gab 37 Festnahmen. Das sind die Zahlen, die am 12. Mai bei der Präsentation des österreichischen Verfassungsschutzberichts durch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Omar Haijawi-Pirchner, den Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

Hinter diesen nüchternen Statistiken verbirgt sich ein Vorfall, der bei der Pressekonferenz zwar kein Thema war, im Bericht selbst jedoch hervorgehoben wird und seitdem für Verwunderung sorgt. 2021 hatten die Behörden Hinweise auf einen geplanten rechts­terroristischen Anschlag auf das Volksstimmefest in Wien. Das Fest, das von der Kommunistischen Partei Österreichs mitorganisiert wird, zieht jährlich über 10.000 Menschen an, viele linke und antifaschistische Gruppen sind dort mit Ständen vertreten.
Gewarnt oder informiert wurden die Organisatoren des Volksstimmefests jedoch nicht. Dasselbe gilt für jene Personen und Organisationen, die auf den Feindeslisten standen, die der mutmaßliche Attentäter in spe angefertigt hatte, darunter beispielsweise das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands.

Der Verdächtige, Rudolf P., war in der rechten Szene kein Unbekannter. Der 78jährige war früher bei der rechtsextremen FPÖ aktiv gewesen, hatte Kontakte zum organisierten Neonazismus wie beispielsweise der Nationalen Volkspartei (NVP) gepflegt und der neofaschistischen Identitären Bewegung (IB) Geld gespendet.

Im Juli 2021 fand bei P. in Eisenstadt im Burgenland eine Hausdurchsuchung statt. Dabei wurden nach Angaben der Polizei neben »Suchtmitteln zahlreiche Schusswaffen, Munition, Kriegsmaterial« und »Bestandteile für die Herstellung von Rohrbomben« sowie »handschriftliche Skizzen mit maßstabsgetreuen Bauanleitungen für Rohrbomben« gefunden. Ferner habe die Polizei in P.s Wohnung NS-Devotionalien und gerahmte Bilder des Massenmörders Anders Breivik und weiterer rechtsextremer Terroristen wie des Briefbombenattentäters Franz Fuchs und des NSU-Mitglieds Beate Zschäpe gefunden. Der ältere Herr betrieb zudem der Po­lizei zufolge mit seinem 48Jährigen Sohn eine nicht näher spezifizierte »­Indoor-Plantage« und handelte mit »Suchtgift«.

Rudolf P., der im Verdacht steht, einen Bombenanschlag auf ein linkes Fest geplant zu haben, war in der rechten Szene kein Unbekannter.

Ebenfalls gefunden wurden selbstangefertigte Videoaufnahmen, die zeigten, wie P. laut Verfassungsschutzbericht »erfolgreiche Sprengübungen mit selbstgebauten Sprengkörpern« trainierte – und es habe sich »der Hinweis auf einen geplanten Anschlag auf das Volksstimmefest« ergeben. Rudolf P. wurde umgehend nach der Durchsuchung in Untersuchungshaft genommen. Wie und wann P. an die Waffen und die Sprengmittel gelangte, ist nicht bekannt.

Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte dieser Fall aber nicht. Das Innenministerium vermeldete zwar im Europol-Bericht »European Union – Terrorism ­Situation and Trend Report 2022« einen verhinderten Anschlag auf ein linkes Fest in Österreich. Doch als es im März 2022 zum Prozess gegen Rudolf P. am Landesgericht Eisenstadt kam, waren die konkreten Anschlags­pläne zumindest vor Gericht kein Thema mehr. Er wurde wegen Verhetzung und NS-Wiederbetätigung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. In einer Presseaussendung des Innenministeriums nach der Verhandlung war ­lediglich zu lesen, dass der Mann eine rechtsterroristische Straftat mittels Rohrbomben plante und »Mitglied der Identitären Bewegung« gewesen sei.

Die DSN, die den Verfassungsschutzbericht publiziert, rechtfertigt sich mit dem Argument, dass der Täter zum Zeitpunkt des Volksstimmefests, das jährlich im September stattfindet, bereits in Haft war. Nach der Verhaftung habe es keine »Gefahrenlage« mehr gegeben und somit auch keine Notwendigkeit, die Öffentlichkeit oder die ­Organisatoren des Volksstimmefests zu informieren. Dass es Mitwisser gab, die ähnliche Pläne weiterverfolgen könnten, galt den Ermittlern offenbar als ausgeschlossen. Rudolf P. sei ein »(auto)radikalisierter Einzeltäter«, hieß es vom DSN.

Es ist aber zumindest belegt, dass sich P. jahrelang in der rechtsextremen Szene bewegt hatte. Das Innenministerium bezeichnete ihn in seiner Pressemitteilung sogar als »Mitglied« der Identitären Bewegung. Karl Öllinger von der Initiative »Stoppt die Rechten« verfolgt schon seit Jahren den politischen Werdegang von Rudolf P. Der Jungle World sagte er, dass »die Erzählung vom Einzelgänger« angesichts P.s zahlreicher Verbindungen in die extrem rechte Szene »wenig glaubhaft« sei.

Auch die antifaschistische Rechercheplattform »Österreich rechtsaußen«, die den Prozess gegen Rudolf P. beobachtete, weist auf die Diskrepanz zwischen den im Rahmen des Gerichtsprozesses vorgebrachten Vorwürfen und den im Verfassungsschutzbericht enthaltenen Informationen hin. »Zu keinem Zeitpunkt waren konkrete Anschlagspläne gegen das Volksstimmefest oder ein anderes Anschlagsziel Gegenstand der Gerichtsverhandlung«, teilte »Österreich rechtsaußen« der Jungle World mit. »Während der Prozess so das Bild einer abstrakten Gefährdung vermittelt, sprechen die Behörden im Nachgang der Verurteilung von konkreten Anschlagsplänen.«

Ein Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismus­bekämpfung Burgenland sagte während des Prozesses aus, Rudolf P. habe nicht nur Kontakte zur neonazistischen NVP gehabt, sondern sei dort früher sogar Kassenwart gewesen. Und die Aussagen von P. selbst hätten, so »Österreich rechtsaußen«, darauf schließen lassen, dass er gemeinsam mit Stefan S., einem wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz verurteilten Mitglied der NVP, in einem von vielen Rechtsextremen bewohnten Dorf in Ungarn gelebt habe, wo S. eine Server-Farm zur Verbreitung neonazistischer Propaganda betrieb. Von all dem ist im Verfassungsschutzbericht nichts zu lesen.

Der Verfassungsschutz stellt also einen rechtsextremen Bombenbauer als Einzelgänger dar, wodurch die Behörde bequemerweise rechtfertigen kann, monatelang dessen konkretes Anschlagsziel verschwiegen zu haben. Derlei Einzeltätertheorien haben in Österreich eine lange Tradition. Ein Beispiel ist P.s Vorbild Franz Fuchs, den die Behörden als alleiniges »Bombenhirn« der »Bajuwarischen Befreiungsarmee« hinstellten, die in den neun­ziger Jahren mehrere Personen bei Attentaten schwer verletzte und in Oberwart vier Roma ermordete.