Über »Every Loser« von Iggy Pop

Unversöhnlich geblieben

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Darf man das noch sagen oder ist das schon Ausdruck der berüchtigten toxischen Männlichkeit? »Got a dick and two balls, that’s more than you all« – das sind die ersten Worte, die Iggy Pop auf seinem neuen Album von sich gibt, im Stück »Frenzy«, in dem er zudem wütend bekennt: »And this hate that I feel is, oh, so real.« Um die Eingangsfrage zu beantworten: Selbstverständlich darf Iggy Pop das. Schließlich weilt er mittlerweile in seinem 76. Lebensjahr unter uns, auf einer Welt, deren hirnzermarternd elender Zustand genug Anlass liefert, der Raserei zu verfallen.

Ein Dreivierteljahrhundert inmitten des Wahnsinns – das will verarbeitet werden. Iggy Pop tut es auf seinem 19. Studioalbum »Every Loser« mit Hass und Humor: »I’m a terror«, sagt er im düsteren Zwischenspiel »My Animus«, aber wie man gleich darauf erfährt, ist er ein Schrecken mit besonderer Mission: »To smell out and find the saucer of milk and drink it all«. In »Strung Out Johnny« verbindet Pop seine eigene Drogengeschichte mit den Erfahrungen von unzähligen US-Ameri­kanern, die in der Opioid-Epidemie in die Sucht schlitterten. »New Atlantis« ist eine bittere Ode an seinen Wohnort Miami, den der steigende Meeresspiegel allmählich versinken lässt und an dem der Sänger eigener Auskunft zufolge immer weniger Vögel, Fische und Schmetterlinge, dafür aber immer mehr Beton zu sehen bekommt.

Mal spottet Iggy Pop über »Neo Punk«, im Song »Comments« wiederum über Spektakelmaschinen wie Facebook und Hollywood, um zwisch­endurch eine Altersweisheit anzubringen: »The problem with life is that it stops.« Begleitet werden die Einlassungen von einer musikalischen Mischung aus Garage Rock, Punk Rock und psychedelisch-balladesken Stücken, die der Erhabenheit der anrührend gealterten Stimme des 75 jährigen mehr als gerecht wird. Und am Ende gibt es noch einmal das große Rock ’n’ Roll-Versprechen, unversöhnlich zu bleiben. »While I’m alive, uncompromised« – das sind Iggy Pops letzte Worte auf diesem Album. Mögen es nicht seine allerletzten sein.

Iggy Pop: Every Loser (Gold Tooth/Atlantic/Warner)