Kolumbianischer Kohleausstieg
Igor Díaz ist der Präsident von Sintracarbón, der Gewerkschaft der Kohlearbeiter, und ein Unterstützer der kolumbianischen Regierung von Gustavo Petro. Er ist zufrieden mit dem Auftritt des Präsidenten auf der Konferenz des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos. Petro warnte dort mit eindringlichen Worten vor einem »kollektiven Selbstmord durch den Klimawandel« und sprach von der Notwendigkeit, den Kapitalismus zu »dekarbonisieren«, also vom Ausstieg aus der Kohleenergie. In Kolumbien wird sein Auftritt teils beklatscht, teils auch mit Unverständnis kommentiert. Petro kündigte entsprechend seinem Wahlprogramm an, keine weiteren Förderverträge mit nationalen oder internationalen Bergbauunternehmen zu unterzeichnen, und das zu einem Zeitpunkt, da die weltweite Nachfrage nach kolumbianischer Kohle und anderen Bergbauprodukten besonders hoch ist.
In der Kohleförderung und den zuliefernden Betrieben würden mit dem geplanten Ausstieg mehrere Zehntausend Arbeitsplätze wegfallen.
Die nationale Bergbauvereinigung (ACM) konnte im Jahr 2022 einen Rekord verzeichnen. Juan Camilo Nariño, der Präsident der ACM, jubelte schon kurz vor dem Jahreswechsel über Exportwerte in Höhe von mehr als 22 Milliarden US-Dollar. Die entfallen zu etwa 60 Prozent auf Steinkohleexporte, unter anderem nach Deutschland und in die Türkei, sowie auf den Abbau von Gold und Nickel. Nicht berücksichtigt sind in den Zahlen von ACM die Öl- und Gasexporte, die zumindest teilweise über das Staatsunternehmen Ecopetrol laufen und mindestens zehn Prozent des Haushaltsbudgets einbringen. Die Regierung Petro profitiert derzeit immens vom Rohstoffboom, den der russische Angriffskrieg in der Ukraine ausgelöst hat und der nun die kolumbianische Staatskasse füllt. Derzeit ist noch recht unklar, wie der angekündigte Umbau einer rohstofffördernden Ökonomie wie der kolumbianischen in eine nachhaltigen, auf regenerativen Energien und ökologischer Agrarwirtschaft basierenden Ökonomie gelingen soll. »Klar ist, dass wir hier in der Guajira (ein Verwaltungsbezirk im Nordosten des Landes, Anm. d. Red.) Arbeitsplätze brauchen«, sagt Igor Díaz. »Allein in der Kohlemine Cerrejón arbeiten rund 11 000 Menschen.« In der Kohleförderung und den zuliefernden Betrieben würden mit dem geplanten Ausstieg mehrere Zehntausend Arbeitsplätze wegfallen.
Allerdings nicht alle auf einmal, der Prozess ist auf zehn bis 20 Jahre angelegt, in einzelnen Fällen könnten Arbeitsplätze auch etwas länger erhalten bleiben. Einige Kollegen von Díaz, der früher die gigantischen Kipplader durch den Tagebau kutschierte, studieren schon Stellenanzeigen für die Installation von Windkraft- und Solaranlagen in der trockenen, von Wind und Sonne ausgezehrten und von Armut geprägten Region La Guajira.
Ein relevanter Faktor bei der geplanten Umstrukturierung ist, wie in vielen Regionen des Landes, die Sicherheitslage. Die ist prekär, auch in La Guajira, wo nicht nur Benzin und Kleidung, sondern auch das eine oder andere Drogenpaket die kolumbianisch-venezolanische Grenze passiert. An diesem Punkt setzt die Regierung mit ihrer Strategie des »umfassenden Friedens« an, die die Voraussetzung für einen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umbau des Lands sein soll. Nachdem mit der größten Guerilla-Organisation des Landes, den Farc (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), im November 2016 ein historisches Friedensabkommen unterzeichnet wurde, sollen nun weitere Abkommen mit den übrigen bewaffneten Gruppen ausgehandelt werden. Doch neben der bis 2016 größten verbleibenden Guerilla-Gruppe, der Nationalen Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN), zählen Experten inzwischen 50 bis 60 weitere Organisationen.
Etliche von ihnen sind paramilitärischen Ursprungs, wie der bekannte Golf-Clan oder die gerade erst im Verwaltungsbezirk Valle del Cauca, nahe der Millionenstadt Cali, aufgetauchte Ultraderecha (Ultrarechte) mit ihrem Anführer, der sich »Comandante Hitler« nennt. Diese neue Gruppe, von der Flugblätter und Videos kursieren, hat sich nach Selbstauskunft wegen der »miesen Wahlen« gegründet. Typische Betätigungsfelder dieser Gruppen sind der Drogenhandel, der illegale Bergbau, die illegale Rodung von Wäldern, aber auch Entführung und Auftragsmord. Sie dazu zu bringen, von der lukrativen Illegalität in die oft wenig einträgliche Legalität zu wechseln, ist eine entsprechend große Herausforderung. Mit fünf der größeren Organisationen, darunter dem ELN, hatte die Regierung Gustavo Petro im Dezember Verhandlungen aufgenommen. Als Petro allerdings zum Jahreswechsel den Erfolg einer bilateralen Waffenruhe für sechs Monate verkündete, dementierte der ELN dies umgehend.
Dabei hat die Regierung sich bisher sehr souverän präsentieren können. Es ist ihr gelungen, eine umstrittene Steuerreform durchzusetzen, und auch die Reform des Justizvollzugssystems scheint gut vorbereitet. Über sie soll bereits im März im Parlament abgestimmt werden, der Gesetzentwurf wird derzeit mit Abgeordneten und Experten diskutiert und eine Mehrheit ist dem Entwurf laut Vizejustizminister Camilo Umaña schon sicher. »Wir wollen eine opferorientierte Justiz, die auf Wiederherstellung abzielt. Wir brauchen alternative Strafen, die direkte Entschuldigung beim Opfer, die Wiedergutmachung, das Aushandeln von Sanktionen, ohne auf die Freiheitsstrafe zurückzugreifen«, sagte er. Freiheitsstrafen sollen fortan lediglich als ultima ratio bei Kapitalverbrechen verhängt werden, aber nicht mehr für Delikte wie den Handydiebstahl im Bus oder vergleichbare Delikte, die in Kolumbien oft drakonisch sanktioniert werden.
Carlos Ojeda, der Geschäftsführer des Solidaritätsfonds für kolumbianische Richter (Fasol), begrüßt die neue Politik des Justizministeriums: »Ich bin zuversichtlich, weil ich sehe, dass die neue Regierung agiert, ihr Programm umsetzt und auch extrem polarisierende Themen angeht.« Ojeda, Sohn eines Richters, der von der Guerilla Farc ermordet wurde, hat die Hilfsorganisation in den vergangenen vier Jahren mit seinen Mitstreitenden zu einer Menschenrechtsorganisation ausgebaut. Die ist nicht nur in Bogotá tätig, sondern auch in Städten wie Cali, Santa Marta oder Popayán, in deren direkter Nachbarschaft bewaffnete Konflikte alltäglich sind. Immerhin ist die Gewalt gegen Menschenrechtler, wie auch die gegen Richter, Staatsanwälte und Ermittlungsbeamte, leicht rückläufig. Einer Studie der privaten Universität Externado de Colombia zufolge sinkt die Zahl der Gewalttaten gegen Menschenrechtsaktivist:innen seit Amtsantritt des linken Präsidenten Petro im August 2022: sechs Prozent weniger Morde im Vergleich zum Vorjahr, 46 Prozent weniger Delikte mit Waffeneinsatz und sogar 80 Prozent weniger Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen durch bewaffnete Gruppen. Das ist auch in Konfliktregionen wie dem südlich der Millionenmetropole Cali gelegenem Verwaltungsbezirk Cauca spürbar. Ein erster Erfolg der Initiative des »umfassenden Friedens«.
Deutlich verhaltener fällt jedoch die Resonanz auf die Pläne der Regierung für eine Landreform durch den staatlichen Ankauf von Weide- und Ackerland aus. Drei Millionen Hektar Land hat die Regierung dem nationalen Verband der Rinderzüchter (Fedegán) im Abkommen vom Oktober 2022 für etwa drei Milliarden kolumbianische Peso (rund 600 Millionen Euro) abgekauft. Das Land soll den Landfonds, der im Rahmen des Friedensabkommens geschaffen wurde, aufstocken und an landlose Bäuer:innen verteilt werden. Milady Dicué, eine Vertreterin der indigenen Nasa-Gemeinden im Norden des Cauca (Acin), begrüßt das Vorgehen grundsätzlich. »Ich kenne Familien, die sich um Land bewerben wollen, selbst wenn es außerhalb des Cauca liegt und sie umziehen müssen«, sagt die Juristin. Die Lebenssituation vieler Familien ohne eigenes Ackerland ist prekär und die indigenen Organisationen im Cauca fordern seit Jahrzehnten weitgehend erfolglos die Rückgabe von illegal besetztem Land durch Rebellengruppen. Das könnte sich unter der neuen Regierung zwar ändern, aber »man muss genau hinschauen, woher das Land kommt, das die Rinderzüchter an die Regierung verkaufen wollen«, mahnt Dicué. »Es muss geprüft werden, ob Landtitel vorliegen, ob sie schon länger gelten und nicht Vertreibungen stattfanden.« Diese Meinung teilen viele Menschenrechtsorganisationen.