Deutschland und Frankreich streiten um die Finanzierung der EU-Industriepolitik

Grüner Wettkampf

Die USA wollen 375 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung der US-Industrie investieren, die zugleich dem Klimaschutz zugute kommen soll. In der EU will man nun mit ähnlichen Maßnahmen dagegenhalten, doch es gibt Streit um die Finanzierung. Frankreich favorisiert gemeinsame Schulden, Deutschland sperrt sich wie üblich dagegen.

Das deutsch-französische Verhältnis hat schon bessere Tage erlebt, gefeiert werden musste trotzdem. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war kürzlich in Paris, um das 60jährige Bestehen des Élysée-Vertrags zu zelebrieren. Am 22.Januar 1963 war damit das Fundament für das deutsch-französische Bündnis gelegt worden.

Derzeit trüben mal wieder unterschiedliche Ansichten über die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik die Stimmung. Jüngster Anlass war ein Vorschlag der französischen Regierung, der vor dem Treffen für Diskussionen gesorgt hatte. Der französische Staatspräsi­dent Emmanuel Macron hatte für seine »Made in Europe«-Strategie geworben, mit der er auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) antworten will.

Um den vorgeschlagenen Subventionsfonds zu finanzieren, schwebt Frankreich eine gemeinsame EU-Schulden­aufnahme vor – der Alptraum ­aller deutschen Finanzminister.

Mit diesem Gesetzespaket plant die US-Regierung vor allem, 375 Milliarden US-Dollar zu investieren, um die US-Industrie zu modernisieren; dadurch soll der Ausbau erneuerbarer Energien und die Produktion von Elektroautos, Batterien und Mikrochips gefördert werden. Das ist zumindest teilweise gut für den Klimaschutz, aber auch für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie. Auf der anderen Seite des Atlantiks fürchten manche, der Standort EU könnte dadurch ins Hintertreffen geraten. Von einem sich anbahnenden Wirtschaftskrieg war schon die Rede.

EU-Mitglieder könnten zwar mit eigenen Subventionen darauf reagieren, die dafür erforderlichen finanziellen Kapazitäten sind jedoch sehr ungleich verteilt. Als die EU-Staaten zum Beispiel seit Beginn der russischen Invasion zusätzliche Staatshilfen leisteten, um ihre Wirtschaft zu stützen, entfiel rund die Hälfte davon auf Deutschland, ein Viertel entfiel auf Frankreich und der Rest verteilt sich auf die anderen Länder. Kein anderer EU-Staat kann sich so gewaltige Ausgaben wie Deutschland leisten, um die eigene Wirtschaft zu unterstützen.

Um dieses Ungleichgewicht zu kompensieren, soll nach Vorstellungen der französischen Regierung ein gemeinsamer Fonds für alle EU-Staaten gegründet werden. Als erster Schritt könnten dafür Mittel aus dem Wiederaufbaufonds umgewidmet werden. Dieser war zur Linderung der wirtschaftlichen Probleme aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 beschlossen worden und galt damals als ein großer Schritt in der EU-Integration. Denn die EU-Staaten haben dabei zum ersten Mal gemeinsam Schulden gemacht – wogegen sich Deutschland immer gesperrt hatte.

Auch für den vorgeschlagenen neuen Subventionsfonds schwebt Frankreich eine gemeinsame EU-Schuldenaufnahme vor – der Alptraum aller deutschen Finanzminister. Ganz in der Tradition seiner Amtsvorgänger hat der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) Mitte Januar in einem Gastbeitrag in der Welt angemahnt, dass hochverschuldete Länder zunächst ihren Haushalt konsolidieren sollten, bevor über neue, gemeinsame Investitionen gesprochen werden könne. Der nächste Streit zwischen Frankreich und Deutschland scheint damit schon programmiert zu sein.

Für interessante Debatten in der Koalitionsregierung dürfte ein Vorschlag des Wirtschaftsforums der SPD sorgen, aus dem das Handelsblatt Ende Januar zitierte. Demnach soll ein »ähnlich hoher Betrag« wie die US-Subventionen für die Wirtschaft der EU bereitgestellt werden. Eine »Anschubfinanzierung« soll dabei über die Finanzmärkte erfolgen, beispielsweise über die Ausgabe von EU-Anleihen. Der Vorschlag ist für die Koalition durchaus heikel, denn damit unterstützt der zwar nicht zur SPD gehörige, aber ihr nahestehende Verband, in dem auch viele Energie- und Industrieunternehmen Mitglied sind, faktisch die französische Position.

Nach Meinung von Ines Zenke, der Präsidentin des SPD-Wirtschaftsforums, bleibt nicht mehr viel Zeit. »Die Indus­trie berichtet uns von Ansiedlungsentscheidungen gegen Europa«, sagte sie dem Handelsblatt. Es gelte daher, »schnell zu handeln, wenn die Wertschöpfung hierbleiben soll«.

Um den vorgeschlagenen Subventionsfonds zu finanzieren, schwebt Frankreich eine gemeinsame EU-Schulden­aufnahme vor – der Alptraum ­aller deutschen Finanzminister.

Im Gegensatz zu den teils schrillen Warnungen vor einem ruinösen Subventionswettlauf sieht das Forum interessanterweise in dem Vorhaben der US-Regierung weniger eine Gefahr als vielmehr »eine Jahrhundertchance für Europa«, wie es in dem Papier heißt. Daraus könne eine wirtschafts- und in­dus­triepolitische Initiative für Europa entstehen, die zum »Katalysator für die Beschleunigung der Energie- und Ressourcenwende« werden könne. In Anlehnung an das US-Paket will der Verband vornehmlich über Steuererleichterungen vor allem jene Unternehmen belohnen, die Emissionen einsparen und ihre Mitarbeiter »angemessen« bezahlen.

Ein Streitpunkt zwischen der EU und den USA beim Inflation Reduction Act war, dass mit dem Gesetz ausschließlich die Produktion in Nordamerika gefördert werden soll. Zum Beispiel sollen Elektroautos nur subventioniert werden, wenn deren Batterien und andere Komponenten hauptsächlich in den USA oder einem Land, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen haben, produziert wurden. Das könne »den Wettbewerb verzerren«, kritisierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Derzeit liefen zu diesem Punkt noch Verhandlungen mit den USA, und sie sei »zuversichtlich«, dass man zu einer ­Einigung kommen werde, sagte von der Leyen vergangene Woche dem Deutschlandfunk.

Das Wirtschaftsforum der SPD möchte auch ausländischen Unternehmen Zugang zu den EU-Subventionen gewähren – aber nur unter der Bedingung, dass sie Partnerunternehmen aus der EU Zugang zu ihren Technologien gewähren. Um das ganze Vorhaben zu finanzieren, sind allerdings hohe Summen nötig. Das SPD-Wirtschaftsforum will dafür die rund 1,8 Billionen Euro, die bislang für den EU-Haushalt und den Wiederaufbaufonds geplant sind, nochmals aufstocken.

Zur Finanzierung verweist das Forum außer auf gemeinsame EU-Anleihen auch auf die Möglichkeit, Steuergesetze konsequenter anzuwenden. Nach einer Schätzung der EU gingen jährlich etwa eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und -vermeidung verloren, schrei­ben die Autorinnen und Autoren des Positionspapiers. Allein damit könnte ein großer Teil der angestrebten Investitionen finanziert werden. Das Wirtschaftsforum verspricht sich jedenfalls von der »Investitionsoffensive« einen »gewaltigen Schub« für die Wirtschaft der EU. Gut möglich, dass der deutsche Finanzminister das anders sieht.

Die Auseinandersetzung um die EU-Industriepolitik wird auf jeden Fall weitergehen. Am 9. und 10. Februar sollen die Staats- und Regierungsoberhäupter in Brüssel über das Thema diskutieren. Ursula von der Leyen hatte Mitte Januar bei dem Weltwirtschaftsforum in Davos für einen »Green-Deal-Industrieplan« geworben. Dafür solle auch ein gemeinsamer »Europäischer Souveränitätsfonds« aufgelegt werden. Auf die schwierige Frage der Finanzierung ging sie aber nicht ein. Der EU-Ratspräsident Charles Michel machte unterdessen Vorschläge, die wenigstens zum Teil im Sinne des deutschen Finanzministers sein dürften. Sie sehen ebenfalls einen gemeinsamen Fonds vor, dieser soll aber nicht durch neue Schulden, sondern durch die Europäische Investitionsbank (EIB) finanziert werden.

In Davos sprach von der Leyen auch von der Notwendigkeit, sich bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen unabhängiger zu machen, vor allem von China. Zu diesem Zweck plant die EU dieses Jahr einen »Raw Materials Act«. Dem »Europäischen Chip-Gesetz« stimmte bereits vergangene Woche der Industrieausschuss des EU-Parlaments zu, es wird wohl noch dieses Jahr verabschiedet. Das Gesetz sieht Subventionen in Höhe von 43 Milliarden Euro für die Mikrochip-Industrie in der EU vor. Dadurch soll die Produktion vervierfacht werden, zukünftig will die EU ein Fünftel der weltweiten Mikrochipproduktion übernehmen. Auch dieses Gesetz wird mit dem Verweis auf ähnliche Beschlüsse in den USA und China begründet.

Im Wettkampf um die technologische und industrielle Führungsposition stützen sich die dominanten Wirtschaftsblöcke USA, China und EU immer mehr auf Subventionen und aktive Industriepolitik. Dieser Kurs ist auch in der EU weitgehend Konsens, umstritten sind lediglich die Finanzierung und die Frage, ob die EU als Ganzes profitiert oder vor allem reiche Mitgliedsländer. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) begrüßte den Vorschlag eines »Green-Deal-Industrieplan«, den von der Leyen in Davos vorgestellt hatte. »Europa wird den Wettbewerb nicht verlieren«, sagte er.