Rohingya-Bootsflüchtlinge aus Myanmar erhalten wenig Hilfe

Gefährliche Überfahrt

Immer wieder versuchen Rohingya-Flüchtlinge, über das Meer in sichere Aufnahmeländer zu gelangen. Doch die Hilfsbereitschaft der Staaten in der Region ist gering.

Etwa eine Million Flüchtlinge der Minderheit der Rohingya, die vor der Ver­folgung in Myanmar geflohen sind, leben in den Lagern im Distrikt Cox’s Bazar einer Küstenregion im Süden Bangladeshs. Es mangelt dort an sauberem Wasser, die hygienischen Verhältnisse sind schlecht, die Flüchtlinge dürfen keine festen Häuser errichten und nicht arbeiten. Immer wieder verlassen Rohingya die Lager, teils auf dem Landweg, doch viele wagen auch die gefährliche Reise über das Meer. Ende November 2022 stachen fünf völlig überfüllte Boote mit Rohingya-Flüchtlingen in See, um das weit entfernte Malaysia zu erreichen. Angekommen ist dort keines.

Das erste Boot geriet wenige Tage nach Beginn der Reise in Seenot. Die 154 Passagiere wurden von einem ­unter vietnamesischer Flagge fahrenden Schiff vor dem Ertrinken bewahrt, anschließend aber von den vietnamesischen Behörden an die Marine Myanmars übergeben. Über den Verbleib dieser Menschen ist derzeit nichts bekannt. Aber nach Angaben von Human Rights Watch hat die Junta in Myanmar die Flucht aus dem Land kriminalisiert und allein bis August 2022 an die 2 000 Rohingya, derer man habhaft wurde, wegen »nicht autorisierter Reisen« festgenommen; für dieses Vergehen werden Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren verhängt.

Indonesien hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet und sieht sich nicht in der Pflicht, Flüchtlingen dauerhaft Schutz zu gewähren.

Das zweite Boot mit 105 Passagieren kam wegen eines Motorschadens vom Kurs ab. Nach zehn Tagen kam ihnen die Marine Sri Lankas zur Hilfe, aber kaum in Jaffna angekommen, wurden die Geretteten prompt in Haft genommen. Bisher ist unklar, was die Regierung in Colombo mit ihnen vorhat.

Zum dritten Boot hatten Familienangehörige seit Mitte Dezember keinen Funkkontakt mehr. Es ist davon aus­zugehen, dass es mit etwa 180 Menschen an Bord untergegangen ist. Sollte sich diese Annahme bestätigen, wären im Andamanischen Meer im Jahr 2022 über 400 Flüchtlinge ums Leben gekommen.

Zwei Boote mit zusammen über 230 Passagieren schafften es nach Indonesien, wo sie in Aceh, der nördlichen Provinz auf der Insel Sumatra, an Land gehen durften. Zuvor waren sie einem Schiff der indischen Marine begegnet, das ihnen einige Lebensmittel überreichte. Nach Angaben von Passagieren hat die indische Marine ihr Boot in indonesische Hoheitsgewässer transportiert, um sich jeglicher Verantwortung zu entledigen. Während der Überfahrt starben mindestens 26 Menschen.

Die Überlebenden werden derzeit in zwei Camps von den indonesischen Behörden mit dem Nötigsten versorgt, aber zu einer dauerhaften Integration der Flüchtlinge wird es wohl nicht kommen. Indonesien hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet und sieht sich nicht in der Pflicht, Flüchtlingen dauerhaft Schutz zu gewähren. Anders aber als Vietnam, Sri Lanka und Malaysia schiebt Indonesien Rohingya nicht nach Myanmar ab.

Chris Lewa, der Vorsitzenden der auf die Rohingya spezialisierten Menschenrechtsorganisation Arakan Project zufolge hätten die Bootsflücht­linge schon viel früher gerettet werden können: »Für jeden der Anrainer­staaten wäre es ein Leichtes gewesen, eine Rettungsmission zu organisieren.« Die GPS-Koordinaten der Boote waren ihr und ihren Kollegen bekannten, aber ihre täglichen Rettungsappelle verhallten genauso wie die des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) drei Wochen lang unbeachtet – obwohl das internationale Seerecht die Rettung von Menschen in Seenot zur Pflicht macht. Usman Hamid von Amnesty International in Indo­nesien beklagte, »dass es nach wie vor kein unmittelbares und koordiniertes Eingreifen mit guter Ausstattung durch die regionalen Kräfte gibt«.

Wie andere Länder der Region hat ­Indonesien außerdem seinen maritimen Grenzschutz verstärkt, um die ­Ankunft der Rohingya über den Meerweg so weit wie möglich zu unterbinden. So droht beispielsweise indonesischen Fischern, die in der Vergangen­heit wiederholt Geflüchtete im Andamanischen Meer gerettet und an Land gebracht hatten, bei Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen der lokalen Behörden eine Verurteilung als Schleuser und damit eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren.

Die Rohingya, Angehörige einer muslimischen Minderheit aus dem überwiegend buddhistischen Myanmar, erleiden seit Jahrzehnten Verfolgungen. Sie gehören nicht zu den 135 anerkannten Minderheiten im Land und werden von der Regierung als Staatenlose behandelt – sie haben keine Rechte, wenn es um politische Mitbestimmung oder Zugang zu Bildung geht. Die Verfolgung geht nicht allein von Regierung und Armee aus, auch Mobs von Zivilisten beteiligten sich immer wieder an Gewalttaten.

Bis 2017 lebten die meisten Rohingya in der Provinz Rakhine State. Um diese zu verlassen, benötigten sie teure und schwer erhältliche Reisegeneh­migungen. Im August 2017 kam es zu Massakern der Armee, denen mehr als 25 000 Rohingya zum Opfer fielen. Mehr als eine Million Rohingya suchten Zuflucht in grenznahen Behelfsunterkünften in Bangladesh. Die Regierung in Dhaka sieht sich von der An­wesenheit und Versorgung der Flüchtlinge überfordert, eine Bleibe- und ­Integrationsperspektive haben sie nicht.

Schon vor der Machtübernahme der Armee im Februar 2021durch einen Putsch war in Myanmar die Bereitschaft zur Wiederaufnahme von vertriebenen Rohingya ausgesprochen gering. Selbst die Symbolfigur der myanmarischen Demokratiebewegung, Aung San Suu Kyi, die vor dem Putsch de facto Regierungschefin war und von der Armee inhaftiert wurde, konnte sich nie zu einer ­klaren Verurteilung der Entrechtung der Rohingya durchringen. Mittlerweile hat die Armee nicht nur in vielen Gebieten Häuser der Vertriebenen zerstört, auch wirtschaftlich sollen Tatsachen geschaffen werden. Die früher Arakan genannte Region ist reich an Rohstoffen, China plant dort Investitionen in Milliardenhöhe und hält den Generälen diplomatisch den Rücken frei.

Eine Rückkehr nach Myanmar ist für die Rohingya auf absehbare Zeit nicht möglich, in den anderen Ländern der Region werden sie bestenfalls ­widerwillig geduldet. Es ist davon auszugehen, dass es zu weiteren gefähr­lichen Überfahrten und Todesopfern kommt, solange die sogenannte internationale Gemeinschaft kein größeres Interesse am Schicksal der Rohingya zeigt.