Die Repression unter der Militärjunta in Myanmar eskaliert

Die Repression in Myanmar eskaliert

Seit dem Putsch vor anderthalb Jahren gelingt es der Militärjunta unter General Min Aung Hlaing in Myanmar nicht, die Kontrolle über das Land zu gewinnen. Je länger der Bürgerkrieg andauert, desto brutaler geht das Regime vor.

Der Widerstand in der Bevölkerung Myanmars gegen das Militärregime, das im Februar 2021 die Wahlen für ungültig erklärte und die Macht übernahm, ist ungebrochen. In den ersten Wochen verliefen die Proteste friedlich, doch nachdem die Streitkräfte – in Myanmar als Tatmadaw bekannt – und die Polizei die Demonstrationen mit Gewalt niedergeschlagen hatten, formierten sich bewaffnete Gruppen, die sogenannten People’s Defence Forces (PDF). Vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene gingen in den Dschungel und schlossen sich dort ethnischen Rebellengruppen an, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten mit den Machthabern im Krieg befinden.

Das Regime reagierte mit Härte, Verfolgung und Verhaftungen; nach Angaben der Assistance Association for Political Prisoners (Burma) (AAPP), einer unabhängigen Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Thailand, vom Donnerstag voriger Woche hat das Regime seit dem Putsch knapp 16 00  Menschen verhaftet, von denen noch 12 700 inhaftiert sind, und rund 2 400 Menschen getötet.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Assistance Association for Political Prisoners (Burma) hat das Regime seit dem Putsch rund 2 400 Menschen getötet.

Sofort nach der Machtübernahme wurden prominente Politiker verhaftet, unter ihnen die Friedensnobelpreisträgerin und faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi, der Präsident Win Myint und zahlreiche Abgeordnete der National League for Democracy, die vor dem Putsch regiert hatte. Aung San Suu Kyi stand zunächst unter Hausarrest, dann wurde sie inhaftiert, seit Juni ist sie in Einzelhaft. In mehr als einem halben Dutzend Prozessen hinter verschlossenen Türen wurde sie der unterschiedlichsten Vergehen schuldig gesprochen. Derzeit ist sie zu 23 Jahren Haft verurteilt, in weiteren Prozessen droht der 77jährigen insgesamt eine Strafe von 190 Jahren. Offensichtlich will das Regime die im Ausland wegen ihres Schweigens zur Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya zwar umstrittene, im Inland aber ungebrochen beliebte Politikerin dauerhaft ausschalten.

Neben ehemaligen Politikern wurden auch einige missliebige Ausländer zu Haftstrafen verurteilt. Vicky Bowman, der ehemaligen britischen Botschafterin (2002 bis 2006), und ihrem Mann Htein Lin, einem bekannten burmesischen Künstler und Aktivisten, wurden Verstöße gegen das Einwanderungsgesetz vorgeworfen, die beiden wurden Ende August zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sean Turnell, ein ehemaliger wirtschaftspolitischer Berater Suu Kyis aus Australien, wurde für schuldig befunden, geheime Regierungspapiere besessen zu haben, und Ende September zu drei Jahren Haft verurteilt.

»Die Tatmadaw tut alles, um ihre Schreckensherrschaft über das Volk von Myanmar zu verlängern. Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit oder Gerechtigkeit zu tun, es geht ihnen nur darum, an der Macht zu bleiben«, sagt Dr. Sasa, Sprecher der demokratischen Gegenregierung im Exil (National Unity Government, NUG), über die Urteile.

Das Regime geht immer härter gegen seine Kritiker vor. Ende Juli wurden vier Demokratieaktivisten hingerichtet; es war das erste Mal seit rund drei Jahrzehnten, dass die Todesstrafe vollstreckt wurde. Unter den vier waren der bekannte Musiker und ehemalige Abgeordnete Phyo Zayar Thaw sowie der Schriftsteller Kyaw Min Yu (bekannt als Ko Jimmy). »Das Militär war noch nie so schwach, und seine immer brutalere Unterdrückung, zu der auch die Hinrichtung von vier politischen Gefangenen gehört, ist ein Zeichen dafür, wie verzweifelt es ist«, kommentierte Mark Farmaner von der Burma Campaign UK gegenüber der Jungle World.

Auch im Kampf gegen die ethnischen Rebellengruppen und die PDF wendet das Tatmadaw immer brutalere Mittel an. Im September wurde eine Schule im Dorf Let Yet Kone in der Sagaing-Region beschossen. Dabei starben 13 Menschen, darunter elf Schulkinder. Die Schule, die sich auf einem Klostergelände befindet, wurde unter anderem von Helikoptern angegriffen. Die »schwere Verletzungen von Kinderrechten in Zeiten bewaffneter Konflikte« werde »vom Sicherheitsrat scharf verurteilt«, ließ UN-Generalsekretär António Guterres durch einen Sprecher ausrichten.

Die Region Sagaing im Nordwesten des Landes gilt zusammen mit den Regionen, in denen die Minderheiten der Chin, Karen und Karenni leben, als eines der umkämpftesten Ge­biete. In einigen Bezirken scheint die Armee keine Kontrolle mehr ausüben zu können. »Die Junta versucht, mit Gewalt zu behaupten, dass sie in der Lage ist, ein Gebiet zu kontrollieren. Sie hat jedoch keine Unterstützung aus der Bevölkerung und also keine effektive Kontrolle«, sagte Duwa Lashi La, ein Politiker aus der Bevölkerungsgruppe der Kachin und der gegenwärtige Präsident der NUG, in einem Interview mit der Zeitschrift The Diplomat im Juli.

Auch in den Städten geht das Regime mit aller Macht gegen Kritiker und Dissidenten vor. Im September hat Human Rights Watch (HRW) einen Bericht veröffentlicht, in dem die Organisation den Tod von sechs Menschen nach ihrer Inhaftierung detailliert untersuchte. HRW kommt zu dem Schluss, dass alle sechs zu Tode gefoltert wurden.

Dem Bericht zufolge zeigen Fotos von fünf Opfern Spuren an Körper oder Kopf, die auf Folter hindeuten. Von der sechsten Leiche gibt es keine Fotos, da sie nach Angaben der Behörden verbrannt wurde. Rohini Haar, eine Notärztin, die die Bilder der Leichen für HRW begutachtete, analysierte: »Nach einer Prüfung von Fotos und Videos der fünf Opfer nach ihrem Tod ist es anhand der Spuren an den Körpern und Gesichtern klar, dass diese gefoltert wurden.« Und sie fügte hinzu: »Es gibt so viele Anzeichen von Missbrauch und Folter, dass es schwer ist, genau zu bestimmen, was letztlich zum Tod dieser Menschen führte.«

»Die sechs Todesfälle, die Human Rights Watch dokumentiert hat, sind nur die Spitze des Eisbergs des Leidens und der Folter derjenigen, die von Myanmars Militär und Polizei festgehalten werden«, erläuterte Manny Maung, Myanmar-Expertin bei HRW. Die AAPP schätzt, dass seit dem Militärputsch mindestens 73 Menschen in Polizei- oder Militärgewahrsam in Polizeistationen, militärischen Verhörzentren und Gefängnissen gestorben sind.

Die Junta hat nur wenige Todesfälle in ihrem Gewahrsam zugegeben und führt diese auf Vorerkrankungen oder Herzversagen zurück. »Angesichts der Grausamkeit der Junta in allen Aspekten ihrer Herrschaft ist es wenig überraschend, dass keine offiziellen Maßnahmen ergriffen wurden, um Todesfälle in Haft zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen«, urteilt Manny Maung.

Zudem geht das Regime hart gegen Journalisten und Medien vor. So wurde im Oktober der japanischen Dokumentarfilmer Toru Kubota zu insgesamt zehn Jahren Gefängnis verurteilt. »Wir fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Toru Kubota, der willkürlich verhaftet, mit gefälschten Beweisen und einem Schnellverfahren hinter verschlossenen Türen konfrontiert wurde – eine Behandlung, die symptomatisch für die abgrundtiefe Missachtung der Rechtsstaatlichkeit durch die Militärjunta ist«, sagte Daniel Bastard, Leiter des Asien-Pazifik-Referats von Reporter ohne Grenzen.

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen sind derzeit in Myanmar mindestens 68 Journalisten inhaftiert, von denen Kubota der einzige Ausländer ist. Ein weiterer japanischer Journalist, Yuki Kitazumi, die US-Journalisten Nathan Maung und Danny Fenster sowie der polnische Journalist Robert Bociaga waren im Laufe der vergangenen anderthalb Jahren inhaftiert worden, das Regime ließ sie nach mehr oder weniger langem Gefängnisaufenthalt frei und wies sie aus.

»Journalisten waren schon immer eines der Hauptziele des Militärs, das nicht will, dass die Menschen im Land oder die internationale Gemeinschaft von den Menschenrechtsverletzungen oder der Korruption erfährt, für die es verantwortlich ist«, sagt Mark Farmaner der Jungle World.

Die Junta gibt sich trotz der Umstände siegessicher und will nicht verhandeln, sondern »alle Formen von Opposition ›endgültig auszulöschen‹«, wie es General Min Aung Hlaing bereits im März am sogenannten Tag der Streitkräfte ankündigte. Die NUG und Aktivisten fordern hingegen mehr internationale Unterstützung in Form weiterer Sanktionen und eines Waffenembargos. »Am Ende ist es das Volk von Myanmar, das seine eigene Freiheit erkämpft. Die Frage ist, ob die internationale Gemeinschaft alles in ihrer Macht Stehende tut, um ihm zu helfen. Die Antwort ist ein klares Nein«, stellt Farmaner fest.