13.10.2022
Der Kolumnist preist das Spiegeleibrötchen

Musk in Mehl

Das Spiegeleibrötchen ist der Höhepunkt der kulinarischen Entwicklung des Abendlandes.

Eben erst las ich einen Artikel darüber, dass Corona der nun wirklich allerletzte Todesstoß war für die freie Bäckerzunft – demnach haben so viele unabhängige Bäckereien wie noch nie zuvor während der Pandemie dichtgemacht. Die großen Backkonzerne hingegen sprangen begeistert in die entstehenden Lücken: Der Konzen­trationsprozess sei so weit fortgeschritten dass einige große Anbieter sich den Markt aufteilten; kleine Anbieter könnten auch den stetig strenger werdenden Vorschriften kaum genügen.

Erst war ich pflichtschuldig traurig, dann aber auch ein bisschen froh. Während sich nämlich meine örtliche inhabergeführte Bäckerei darin ergeht, jeden Monat eine neue Kreativbezeichnung für das immer gleiche Mehrkornbrötchen zu erfinden und ansonsten durch völlig willkürliche Öffnungszeiten den Frühstücker enttäuscht, ist auf die nur wenige Meter weiter gelegene Filiale einer Kette Verlass. Noch bis Sonntagnachmittag lässt sich bei der SB-Bäckerei gemütlich einkaufen, sehr gut trinkbarer Kaffee abzapfen, auch ein halbes Stündchen am Tisch verweilen.

Von der gefürchteten Monotonie des Warenangebots unterm Quasimonopol keine Spur: Gefühlt jedes Vierteljahr lässt man sich hier irgendwas Neues einfallen, seien es Chicken-Tandoori-Sandwiches, Kreationen mit Fisch, Börek und Geflügelrollen – ohne irgendwelche bizarren Namen!

Mit dem neuen Spiegeleibrötchen ist die gastronomische Entwicklung des Abendlandes nun endgültig abgeschlossen. Bis zum Rand gefüllt mit Ei, Bacon, Tomaten und Liebe ist das Spiegeleibrötchen ein vollinhaltlicher Brunch, der aber bequem in die Handtasche passt. Für derart kühne Abenteuer wurden Monopole gegründet! Nicht für trostlos heruntergepreiste Dutzendware, sondern für Herausforderungen ans Publikum, dessen Gaumen gebildet, dessen geschmacklicher Horizont erweitert werden will!

Seit ich meine Ernährung auf Grundlage des Spiegeleibrötchens plane, sind mir viele gute Dinge passiert – und weitaus weniger schlechte als üblich! Ich kann die Backkette nur zu noch waghalsigeren Experimenten ermutigen: Bolognese-Stulle, Börek auf Igel- oder Storchenbasis, Wachtelzungen mit Käse ­überbacken. Sprengen Sie alle Konventionen, werden Sie zum Mehl-Musk!