Bei den US-Zwischenwahlen im November haben von Trump unterstützte Kandidaten gute Aussichten

Trumps neue Garde

Donald Trump will in zwei Jahren wieder Präsident werden. Ihn unterstützt eine ganze Reihe von loyalen Republikanern, die zurück an die Macht drängt. Der Kampf gegen die autoritären und verschwörungstheoretischen Kräfte in der Partei scheint verloren.

Am Abend des 6. Januar 2021 hätte kaum jemand mehr einen Pfifferling auf ­Donald Trumps politische Zukunft gesetzt. Ein vom damaligen Präsidenten aufgehetzter Mob hatte das Kapitol, den Sitz des Kongresses, gestürmt, um die zeremonielle Stimmauszählung der Wahlmänner des Electoral College für die Präsidentschaftswahl zu verhindern und ein paar ihrer politischen Gegner zu lynchen – darunter Vizepräsident Mike Pence, der sich den Staatsstreichplänen widersetzt hatte. Am Tag zuvor hatten die Republikaner zudem bei der Nachwahl im Bundesstaat Georgia, die von Trumps Verschwörungsphantasien über seinen ihm gestohlenen Wahlsieg dominiert wurde, zwei Senatorenposten an die Demokraten verloren und damit ihre Senatsmehrheit eingebüßt.

Putschist und Loser: Das sollte doch wohl selbst für die hartgesottensten Anhänger ein bisschen zu viel des Guten sein. Die unterwürfigsten Speichellecker beteuerten daher am lautesten ihren Abschied von Trump – nur um anschließend festzustellen, dass die Parteibasis in Treue fest zum Heros hielt. Man katzbuckelte also ein wenig, geißelte sich bisweilen rituell im Sender Fox News, und, schwupps, war man wieder mit an Bord.

Skepsis ist also angebracht, wenn die Auguren wieder einmal Trumps Ende vorhersagen. Unmöglich ist das natürlich zwar nicht. Die öffentlichen Anhörungen im Kongress hatten in den vergangenen Monaten den 6. Januar wieder in den Fokus gerückt – und offengelegt, wie viel kriminelle Energie in die Vorbereitung des scheinbar so chaotischen Geschehen geflossen war. Sowohl die New York Post als auch das Wall Street Journal, beides Flaggschiffe des konservativen Medienimperiums von Rupert Murdoch, das eine für den Boulevard, das andere seriöser, verkündeten daraufhin, dass Trump sich seines Amtes als »unwürdig« erwiesen habe. Und selbst die Parteibasis wünscht sich Umfragen zu­folge, dass der ehemalige Präsident hin und wieder über etwas anderes reden möge als nur über den angeblichen »Wahlbetrug«.

Es ist die herrschende Klasse, die sich im »Make America Great Again«-Kultus ausspricht – oder doch jedenfalls eine gewichtige Fraktion derselben.

Aber die Wahrheit liegt, wie immer, auf dem Platz. Bei den derzeit statt­findenden Vorwahlen triumphieren Trumps Kandidaten fast überall, während dessen Kritiker baden gehen. Von den zehn republikanischen Abgeordneten, die 2021 im Repräsentantenhaus für dessen Amtsenthebung stimmten, werden aller Voraussicht nach höchstens drei bei den Kongresswahlen im November erneut antreten können. Der prominenteste Skalp der »Make America Great Again«-Meute heißt Liz Cheney: Die erzkonservative Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, die für ihre Mitwirkung an dem von den Demokraten anberaumten Untersuchungs­ausschuss bereits aus der Fraktionsführung geworfen wurde, liegt in Wyoming mehr als 20 Prozentpunkte hinter ihrer Trump-treuen Herausforderin.

Die traditionellen Country-Club-Konservativen werden so nach und nach ersetzt durch genuine Paranoiker. Blake Masters, Senatskandidat in Arizona, preist das technikfeindliche Manifest Ted Kaczynskis, des sogenannten Una­bombers, eines primitivistischen Terroristen; Doug Mastriano, Gouverneurskandidat in Pennsylvania, hat persönliche Verbindungen zu beinharten Antisemiten, die er für Unterstützung im Wahlkampf bezahlte. In den am härtesten umkämpften Bundesstaaten haben Republikaner für das Amt des Secretary of State, zu dessen Aufgaben die Durchführung der Wahlen gehört, fast durchweg Kandidaten nominiert, die jeden Wahlerfolg der Demokraten vorab für illegitim erklären.

Weil die Partei, die den Präsidenten stellt, in den USA bei Zwischenwahlen traditionell ein Debakel erlebt, stehen deren Chancen, im November in Amt und Würden zu gelangen, gar nicht mal so schlecht – was wiederum die Wahrscheinlichkeit signifikant erhöhen würde, dass Trump und seine Getreuen ein ähnliches Manöver, wie sie es nach der vergangenen Präsidentschaftswahl planten, 2024 noch einmal versuchen werden. Das Szenario sähe wohl ungefähr so aus: Die Stimmabgabe für Wähler der Demokraten würde man durch Maßnahmen, die vorgeblich dem Kampf gegen Wahlbetrug dienen, so schwer wie möglich machen, und im Falle einer Niederlage das Ergebnis mit Verweis auf angebliche Unregelmäßigkeiten nicht zertifizieren.

Die Widerstandslosigkeit, mit der das Partei-Establishment sich den Verschwörungstheoretikern unterwirft, sorgt bei so manchem Beobachter für Rätselraten. Viel wird spekuliert, was all die prominenten Konservativen, die privat aus ihrer Verachtung für Trump keinen Hehl machen, dazu treibt, ihm öffentlich bedingungslos die Treue halten: gewissenloser Ehrgeiz oder die Angst vor der eigenen Basis. Letztere wäre nicht ganz unbegründet. Republikanische Wähler wähnen sich mehrheitlich, wie alle Umfragen belegen, in einem apokalyptischen Endkampf um die Zukunft des Landes, für den rund 40 Prozent der Befragten auch zur Waffe greifen würden.

Gerade die Reaktionen derjenigen, welche die Wut der eigenen Anhängerschaft unmittelbar zu spüren bekamen, verweisen jedoch darauf, dass hier noch mehr im Spiel ist als bloß menschlich-allzumenschliche Duckmäuserei. Republikanische Amtsinhaber, die in Georgia oder Arizona Bidens Wahlsieg zertifizierten, werden seither mit Todesdrohungen überflutet; auf die Frage von Reportern aber, ob sie 2024 wieder für Trump stimmen würden, antworten sie fast alle mit »ja«. Bedrohlicher als ein Lynchmob ist in ihren Augen wohl nur eines: eine Regierung, die den Spitzensteuersatz um ein paar Prozentpunkte anheben könnte.

Die alte Garde der Republikaner, die zwar auch mit Kulturkampfthemen hausieren ging, sich aber hinter vorgehaltener Hand über die Trottel lustig machte, die man damit ködern konnte, hält man darum gerne für berechnend und also, im Unterschied zu Anhängern des Trump-Kults, für zumindest zweckrational denkend. In Wirklichkeit aber ist der Glaube an trickle down economics kaum weniger irrsinnig als die Wahnidee, eine Clique von »Globalisten« kontrolliere insgeheim die Regierung, um ihren pädophilen Gelüsten nachzugehen; er ist nur honoriger.

Deswegen können Handelskammer-Klone und »Make America Great Again«-Schreihälse sich auch so problemlos auf Hassobjekte einigen. Die einen machen aus antiintellektuellem Ressentiment gegen die staatlichen Schulen mobil, weil ihnen dort die Kinder mit »Genderwahn« und kritischen Theorien abspenstig gemacht werden sollen; die anderen, weil Bildung für alle nur überflüssige Kosten verursacht und besser privatisiert gehört. Die einen wollen das Wählen in den urbanen Zentren unterbinden, weil die, die dort leben, sich in ihren Augen etwas Besseres dünken; die anderen aus Angst, die Subalternen könnten sich die Staatskasse unter den Nagel reißen.

Die Wirtschaftspolitik der Republikaner ist schon lange nicht mehr mehrheitsfähig; darum ja die Notwendigkeit, die Wähler anderweitig bei der Stange zu halten. Als Rick Scott, Senator aus Florida, stolz sein Programm präsentierte, Steuern für Geringverdiener zu erhöhen und das staatliche Rentensystem abzuwickeln, bedeutete ihm die Parteispitze unmissverständlich, er möge tunlichst die Klappe halten. Mit der antidemokratischen Mobilisierung ist nun jedoch endlich auch der passende ideologische Unterbau vorhanden. Der Paypal-Mitgründer Peter Thiel, der achtstellige Summen in die Senatskandidaturen zweier Hedgefonds-Millionäre, Blake Masters in Arizona und J. D. Vance in Pennsylvania, investierte, kann auf der Basis stimulierter antidemokratischer Ressentiments sogar ­offen ein neofeudalistisches Gesellschaftsmodell mit Unternehmern als der neuen Herrenkaste propagieren.

Unter Marxisten herrscht bisweilen die verzweifelte Hoffnung, die herrschende Klasse werde, wenn ein Trottel wie Trump es zu bunt treibt, schon die Reißleine ziehen. Aber es ist die herrschende Klasse, die sich im »Make America Great Again«-Kultus ausspricht – oder doch jedenfalls eine gewichtige Fraktion derselben. Hinter Trump und seiner Bewegung steht jene Schicht von Honoratioren, die als Gewerbetreibende in der Provinz, als Autohändler, Hoteliers oder Agrarunternehmer in ihren Kleinstädten das Sagen haben. Es waren, wie sich bei der Strafverfolgung herausstellte, nicht Hillbillies aus der Unterschicht, die am 6. Januar das Kapitol stürmten, sondern mehrheitlich gutbetuchte Bürger, die sich den Trip auch leisten konnten – manch einer sogar im eigenen Privatflugzeug. Weltgeschichte wird nun einmal, zu unser aller Leid­wesen, nicht von den Dorfdeppen geschrieben. Anders als jene nämlich ist der Lumpenbourgeois zu allem fähig.