Die Kolumnistin verteidigt das Neun-Euro-Ticket gegen unsachgemäße Nörgelei der FDP

Solidarität mit Porschefahrern

Laborbericht Von

Normalerweise hätte Christian Lindner ja nichts in einer Kolumne zu Wissenschafts- und Umweltfragen zu suchen (und eigentlich auch nichts in der Regierung, aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema). Leider hat der Finanzminister aber mitzureden, wenn es um ein mögliches Nachfolgeangebot für das Neun-Euro-Ticket geht, und er tut dies auch oft, gerne und mit der ihm eigenen Mischung aus Ideologie­getriebenheit und Beratungsresistenz – sofern die Ratschläge nicht gerade vom Porsche- und designierten VW-Chef kommen und mutmaßlich die Aussicht auf einen Posten im Aufsichtsrat beinhalten.
Von einem kostenfreien oder wenigstens bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr wollte Lindner schon im Juni nichts wissen; er warnte vor einer »unnötigen« Nutzung von Kapazitäten. Wo kämen wir denn da hin, wenn der Pöbel Bus und Bahn zum Vergnügen nutzt und nicht nur, um zur Arbeit zu kommen?

Kürzlich bekräftigte der Minister noch einmal, dass er die Subventionierung eines bundesweit gültigen ÖPNV-Tickets durch den Bund ablehne. Das sei nicht nur zu teuer, sondern auch, so die originelle Begründung, unsolidarisch gegenüber Autofahrern, die das Ganze ja mitbezahlen müssten, auch wenn sie das Ticket nicht nutzen. Dass der motorisierte Individualverkehr selbst eine von der Allgemeinheit gesponserte Angelegenheit ist, deren Kosten weit über die Einnahmen aus der Kfz-Steuer hinausgehen (externe Kosten wie Umwelt- und Gesundheitsschäden nicht einmal mitgerechnet), kann der Minister, der für Dinge wie Pendlerpauschale und steuerbegünstigten Diesel zuständig ist, natürlich nicht wissen.

Nun ist ein Gedanke hinter dem Neun-Euro-Ticket ja gerade, dass auch Menschen mit Auto vielleicht lieber den ÖPNV nutzen würden, wenn das billiger wäre als Tanken. Und das tun sie, anderslautenden Behauptungen zum Trotz, tatsächlich: Einer Umfrage des Hamburger Verkehrsverbunds zufolge sind zwölf Prozent seiner Fahrgäste vom Auto zu den Öffis gewechselt, Aus­wertungen des Navigationsdienstes Tomtom zeigen einen Rückgang der Staus in den Großstädten, und auch für Fahrten über 100 Kilometer wurde laut Statistischem Bundesamt häufig vom Kfz auf die Bahn umgestiegen. Greenpeace hat ausgerechnet, dass sich durch ein Klimaticket, wie die Umweltorganisation es nennt, jährlich zwei bis sechs Millionen Tonnen an CO2-Emissionen einsparen ließen. Indirekt wären es noch mehr, wenn das Angebot durch die Streichung klimaschädlicher Subventionen finanziert würde.

Kurzum, das Neun-Euro-Ticket hat sich als sozial und ökologisch sinnvolle Maßnahme erwiesen, die sogar Deutsche vom Suchtmittel Auto entwöhnen kann und neben Emissionen auch Energie einspart. Schon deshalb ist unter Lindner und seinem Parteikollegen Volker Wissing im Verkehrsministerium nicht mit einem Nachfolgemodell zu rechnen – denn teuer und unsolidarisch, das ist zuallererst einmal die FDP.