Die Schriftstellerin Fran Lebowitz nimmt kein Blatt vor den Mund

Der Wille zum Beschweren

Seit der Netflix-Serie »Pretend It’s a City« ist die Schriftstellerin Fran Lebowitz allseits bekannt. Nun ist das berühmtestes Buch der Autorin mit dem losen Mundwerk fast 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung zum ersten Mal auf Deutsch erschienen.

Man kann Netflix am Ende doch für einiges dankbar sein. Für die Serie »Orange Is the New Black« zum Beispiel. Oder dafür, dass der Streaming-Dienst eine Doku-Serie von Martin Scorsese produzierte, die seine gute Freundin, die Schriftstellerin Fran Lebowitz, zum Thema hat. »Pretend It’s a City« startete 2021 und war ein ungewöhnlich großer Erfolg. Ungewöhnlich, weil Lebowitz so gar nicht ins Jahr 2021 zu passen scheint – ­geschweige denn passen will.

Fran Lebowitz hätte wohl nicht so viele schmeichelhafte Dinge über Net­flix zu sagen, sie liest sowieso lieber, angeblich besitzt sie 11 000 Bücher. Aus ihren Texten wird man höchstwahrscheinlich nicht erfahren, was sie über den Streaming-Dienst denkt, denn die Autorin schreibt, anders als man es erwarten würde, schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ihr Renommee verdankt sie eigentlich einem einzigen Buch, das wieder­um eine Zusammenstellung ihrer beiden vorherigen Bücher war: »The Fran Lebowitz Reader« erschien erstmals 1994 und bestand aus den Büchern »Metro­politan Life« von 1978 und »Social Studies« von 1981; diese wiederum versammelten Texte, die bereits in Zeitschriften wie Interview, Mademoiselle oder Vogue erschienen waren. Nun ist im Frühjahr zum ersten Mal eine deutsche Übersetzung unter dem Titel »New York und der Rest der Welt« erschienen.

Die Stücke darin, die die 1950 geborene Lebowitz zwischen Anfang 20 und Anfang 30 schrieb, könnte man wohl am ehesten als Glossen bezeichnen, doch so ganz trifft es das nicht. Zwar findet sich hier alles, was eine Glosse ausmacht: ein subjektives Ich, Sarkasmus und satirische Überspitzung; doch in einem Text von Fran Lebowitz kann alles passieren, selbst Phantastisches. Eine festgelegte Form gibt es bei ihr nicht, mit voller Absicht werden die Genregrenzen überschritten: Ein Text kann einmal eine Fülle an Zwischenüberschriften haben, ein anderes Mal einfach aus einer langen Aufzählung oder einer Liste bestehen.

In einem Text von Fran Lebowitz kann alles passieren, selbst Phantastisches. Eine festgelegte Form gibt es bei ihr nicht, mit voller Absicht werden die Genregrenzen überschritten.

Was aber alle ihre Texte eint, ist der Wille zum Räsonieren, oder genauer: Fran Lebowitz liebt es, sich zu beschweren. »Ich bin wütend, weil ich keine Macht habe, aber ich bin voller Meinungen«, erzählte sie Scorsese in einem Gespräch für »Pretend It’s a City«, und so ist jedes ihrer Stücke ein kleiner Rachefeldzug: Sie rächt sich (laut Selbstaussage sind ihre beiden größten Begierden »Zigaretten Rauchen und auf Rache Sinnen«) an nervigen Eltern, an oberkörperfrei in der Disco tanzenden Schwulen, an Leuten, die meinen, sich in Gruppen zusammenrotten zu müssen.

»Jeder hat das Recht, zu tun und zu lassen, was ich für richtig halte«, verkündet sie zu Recht und höchst arrogant bereits in der Überschrift eines ihrer Texte, in dem sie, wie in so vielen anderen auch, eine Art Knigge aufstellt und wissen lässt, was sich schickt und was nicht, wie man sich zu verhalten und was man lieber tunlichst vermeiden sollte: Eiswürfel in originellen Formen wie zum Beispiel der einer Blume gehen nicht, genauso wenig wie am Disco-Eingang um Einlass zu betteln, oder wenn der DJ zu lange Stücke ohne Text spielt. Den Leitfaden zum Lebowitz-tauglichen Nachtclubbesuch nannte sie gar »Disco-Tipps: Die neue Etikette«.

Nun ist Fran Lebowitz allerdings alles andere als eine konservative Anstandsdame. Im Gegenteil: Sie ist eine sassy butch, eine jener Lesben, die arrogant und auftrumpfend auftreten, sich nichts sagen lassen und stattdessen selbst den Ton angeben. »Es gibt nichts Besseres für eine Stadt als eine dichte Bevölkerung an wütenden Homosexuellen«, ließ ­Lebowitz Scorsese einmal wissen. Dass Lebowitz lesbisch ist, ist allerdings nichts, was man aus ihren Texten erfahren könnte – sie ist überaus diskret. Über die Privatperson erfährt man als Leserin oder Leser überhaupt nichts – zumindest nichts, dem man trauen kann.

Für die duzenden, höchst subjektiven, kumpeligen Kolumnenschreiber von heute, die nur dann etwas zu Papier bringen, wenn sie es am ­eigenen Leib erfahren haben oder es irgendetwas mit ihrer »Identität« zu tun hat, und die auch noch glauben, dass gerade das ihre Texte ­interessant macht, hat Fran Lebowitz in ihrem programmatisch betitelten Text »Manieren« einen Rat übrig: »Ihre Lebensgeschichte macht noch kein gutes Buch. Versuchen Sie es gar nicht erst.« Dass Lebowitz lesbisch ist, muss sie auch gar nicht mitteilen – jeder, der sich auch nur ein wenig mit subkulturellen Gesten auskennt beziehungsweise mal durch ein Buch von Oscar Wilde geblättert hat, wird es zwischen den Zeilen lesen können.

Was man dort lesen kann, sind schnippische Kommentare, Polemik und ein Witz, der keine Rücksicht nimmt, nicht auf die Gefühle derer, die Lebowitz porträtiert (in der Regel Bewohner der Insel Manhattan), und auch nicht auf sich selbst: Nein, sie irrt sich nie, zumindest gibt sie es nicht zu – die Rücksichtslosigkeit in Bezug auf sich selbst besteht darin, kompromisslos die eigene Phantasie zu benutzen und mit ihr einen ganzen Landstrich der Stadt New York zu bepflanzen. »Mein Beruf ist es, Un­terscheidungen zu treffen und zu urteilen« – das klingt zwar nach Spaß, so viel Rigorosität kann einem aber auch eine Menge abverlangen. »Schreiben: Eine lebenslängliche Strafe« ist ein Text überschrieben, in dem Lebowitz Eltern Ratschläge gibt, wie sie mehr Mitgefühl ihrem Kind gegenüber zeigen können, wenn es sich schon in jungem Alter als Schriftsteller entpuppt. Die Hinweise da­rauf: allerhand neurotische (und höchst unterhaltsame) Anwandlungen.

Elegant präsentiert sich Lebowitz als grandiose Karikaturistin, auch wenn sie beispielsweise vorschlägt, dass New York als eigenes Land an den Olympischen Spielen teilnehmen und beispielsweise bei Wettkämpfen wie dem »Party Life« in den Disziplinen »An die Bar schaffen«, »Es wieder weg schaffen«, »Einem Konkurrenten Wein über den Körper schütten« oder »Als Letztes mit den meisten Promis eintreffen« antreten sollte.

Normalerweise fertigt man Listen an, um etwas zu ordnen. Nicht so Fran Lebowitz. Die Listen und Aufzählungen, die sich in fast all ihren Texten finden lassen, stellen das Konzept total auf den Kopf, denn hier werden keine relevanten In­formationen gesammelt; die Listen von Lebowitz sind eher so etwas wie ihr Stil, ihr Modus des Schreibens, eine Methode. Eine Methode, die ­übrigens nicht immer aufgeht – im Buch. Man merkt den Texten schon stark an, dass sie für Magazine geschrieben sind und nicht dafür vorgesehen waren, hintereinander weggelesen zu werden; zu oft wiederholen sich bestimmte rhetorische Kniffe. Doch das Buch gewinnt, wenn man es als Kompendium liest, als ein Archiv der Fran Lebowitz.

Und natürlich ist es ganz nebenbei auch ein Archiv der Siebziger. Eine Zeit, in der die freie Rede nicht unter Generalverdacht stand, sondern ­gerade liberals wie Lebowitz ausführlich Gebrauch von ihr machten. Eine Zeit, in der politische Positionen nicht allein biestig vorgetragen wurden, sondern immer auch noch Platz war für Hedonismus (Lebowitz erzählt einmal, sie sei jemand, der sich wünsche, »Zigaretten gäbe es schon angezündet«). Eine Zeit, in der Kritik am eigenen Milieu (in diesem Fall die Schwulenszene, die Künstler, der Literaturbetrieb) nicht als unsolidarisch verschrien war, sondern nicht nur als notwendig erachtet, sondern auch als ästhetisch interessant und unterhaltsam angesehen wurde. Kurz, eine Zeit, in der nichts heilig war, außer vielleicht die Phantasie, mit der sich Menschen die Welt um sich herum aneigneten – und seien es nur die 59,1 Quadratkilometer Manhattan, denen sich Lebowitz widmete.

Fran Lebowitz: New York und der Rest der Welt. Aus dem Englischen von Sabine ­Hedinger und Willi Winkler. Rowohlt-Verlag, Berlin 2022, 352 Seiten, 22 Euro