Die Umbenennung von Hartz IV in »Bürgergeld«

Armut bekommt einen neuen Namen

Das Arbeitslosengeld II soll demnächst »Bürgergeld« heißen. Das Hartz-IV-Armutsregime dürfte im Zuge der Umbenennung abgemildert werden, aber keineswegs »überwunden«, wie SPD-Politiker behaupten.
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Bundeskanzler Olaf Scholz gibt sich entschlossen: Zum 1. Januar 2023 werde die Ampelkoalition »definitiv« das neue »Bürgergeld« in Kraft setzen, kündigte der Sozialdemokrat am Freitag vergangener Woche an. Dann soll das Arbeitslosengeld II, schlicht als Hartz IV bekannt, jene Chiffre für Armut und Ausgrenzung, die ihm und seiner Partei so viele Scherereien bereitet hat, Geschichte sein. Für die SPD wäre das sicherlich ein Grund zum Jubeln. Aber auch für die Betroffenen?

Von der »größten Sozialstaatsreform seit 20 Jahren« schwärmte der sozialdemokratische Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, als er am Mittwoch vergangener Woche die Eckpunkte dafür vorstellte, wie das übel beleumundete Hartz IV zum wohlklingenderen »Bürgergeld« umgemodelt werden soll. Die sich eng am Koalitionsvertrag orientierenden Pläne Heils enthalten tatsächlich etliche Verbesserungen für erwerbslose Menschen im Leistungsbezug. Offensichtlich ist das Bemühen, sie nicht mehr ganz so sehr zu drangsalieren. Es geht also schon um mehr als eine bloße Umetikettierung. Gleichwohl ist es falsch, wenn Heil behauptet: »Das Hartz-IV-System wird überwunden.«

Was war das »Revolutionäre« an Hartz IV? Das war die Transformation der alten Arbeitslosenhilfe von einer Versicherungsleistung zu einem staatlichen Almosen, und zwar finanziell auf das deutlich niedrigere Sozialhilfeniveau. Die gesellschaftlichen Proteste, die dieses neue Arbeitslosengeld II seit seiner Einführung zum 1. Januar 2005 ausgelöst hat, gründeten nur bedingt im elendig niedrigen Regelsatz, mit dem Sozialhilfeempfänger schon zuvor auskommen mussten, ohne dass das zu Massenprotesten geführt hätte. Was insbesondere die traditionelle Wählerklientel der SPD tief erschütterte, war vielmehr die beängstigende Vorstellung, dass auch einem gutverdienenden Facharbeiter nun im Fall der Erwerbslosigkeit drohte, nach nur einem Jahr Bezug von Arbeitslosengeld I alles zu verlieren, was er für sich, seine Familie und seine Nachkommen über Jahrzehnte erarbeitet hat. Denn Hartz IV bekommt nur, wer ­zuvor seine finanziellen Reserven fast vollständig aufgebraucht hat.

Dieses Grundproblem wird das »Bürgergeld« den nun vorgestellten Plänen zufolge nicht beseitigen, sondern nur abmildern. Nach Ablauf der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I soll es künftig weitere zwei Jahre dauern, bis das Vermögen eines Leistungsempfängers und die »Angemessenheit« seiner Wohnung überprüft werden. Anschließend ist ein etwas höheres Schonvermögen als bisher vorgesehen. Auch Rücklagen für die Altersvorsorge sollen besser geschützt werden. Ob das reicht, um das neue »Bürgergeld« weniger bedrohlich erscheinen zu lassen?

Nicht abgeschafft, sondern nur modifiziert werden sollen auch die Sanktionen, mit denen die Jobcenter unbotmäßige Erwerbslose schikanieren können. Zwar soll für die ersten sechs Monate im »Bürgergeld«-Bezug eine »Vertrauenszeit« gelten, in der keine Leistungsminderungen verhängt werden dürfen. Anschließend sollen aber weiterhin Sanktionen bei sogenannten Pflichtverletzungen möglich sein, wobei der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Rahmen, der höchstens Kürzungen von 30 Prozent des Regelsatzes erlaubt, voll ausgeschöpft werden kann.

Und dann ist da noch ebendieser Regelsatz. Er solle »angemessen steigen«, verlautbarte Heil. Aber was heißt das? Über das Berechnungsverfahren und damit auch die Höhe gibt es innerhalb der Koalition noch keine Einigung. Doch selbst wenn sich die SPD gegen die knauserige FDP durchsetzen könnte, dürfte der Grundbetrag für einen Alleinstehenden von derzeit 449 Euro pro Monat nur um bis zu 50 Euro steigen – weit weniger, als es nicht nur die Linkspartei, sondern auch die Sozialverbände fordern. Berechnungen der Forschungsstelle des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge müsste der Regelsatz bereits derzeit mindestens 678 Euro pro Monat betragen, um – wie vom Bundesverfassungsgericht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung gefordert – das soziokulturelle Existenzminimum abzusichern.

Es gehe, verkündete Heil, um einen »Sozialstaat auf der Höhe der Zeit«. Dafür müsste der jedoch wenigstens an den aus Helmut Kohls Zeiten heranreichen. Der Geist Gerhard Schröders ist auch sozialpolitisch noch nicht vertrieben.