Junge Amokläufer bewegen sich vor ihren Taten oft in menschenverachtenden Online-Subkulturen

Massenmord für Ruhm und für die Lulz

In den vergangenen Monaten häuften sich Terroranschläge und Amokläufe junger Männer, die sich zuvor häufig in menschenverachtenden Online-Subkulturen herumgetrieben haben.

Malmö, Essen, Potsdam, Buffalo, Uvalde, Kopenhagen, Highland Park – an diesen Orten haben sich in den vergangenen Monaten schwere Terroranschläge und Amokläufe ereignet oder es wurden Männer festgenommen, die mutmaßlich solche Taten geplant hatten. Die Verantwortlichen waren oft noch Teenager oder höchstens Anfang 20. Manche von ihnen hingen einer explizit nazistischen Ideologie an, zum Beispiel der 18jährige, der Anfang Juni in Potsdam festgenommen wurde. Er war in einem Telegram-Kanal des internationalen rechtsterroristischen Netzwerks »Atomwaffen Division« aktiv und hatte eine eigene Chatgruppe gegründet; in solchen Chatgruppen tauschen zum Teil Minderjährige Gewaltphantasien und Terrorpläne aus. Andere, wie der Amokläufer von Kopenhagen, waren offenbar psychisch krank. Doch neben ihrem äußerst jungen Alter und ihrem Geschlecht gab es noch eine Gemeinsamkeit: Die Männer hatten sich offenbar im Internet radikalisiert und dort eine Affinität zu einer bestimmten Online-Ästhetik gepflegt, die auf Nihilismus und Menschenverachtung fußt.

Der Attentäter von Kopenhagen, der am 3. Juli drei Menschen in einem Einkaufszentrum ermordete, hatte mehrere Videos angefertigt, in denen er mit Waffen posierte. Playlists, die er auf Youtube hochgeladen hat, tragen Namen wie »killer music« oder »last things to listen to«. Sie enthielten mehrere Lieder, die Morde und Gewalt glorifizieren. Ein von ihm abonnierter Kanal war ­explizit »mass shooters« wie den Mördern von der US-amerikanischen Columbine High School gewidmet. Auch diese beiden Teenager, die 1999 den ersten großen Massenmord an einer Schule begingen, waren nicht unpolitisch, sondern hingen rassistischen Vorstellungen an.

Ein recht neuer Trend in der Online-Rechten ist das sogenannte Schizopilling. Dabei wird glorifiziert, sich einer wahnhaften Weltsicht zu verschrei­­ben und therapeutische Hilfe abzulehnen.

Ein ähnliches, aber ideologisch wesentlich eindeutigeres Bild zeigt die Online-Präsenz des Massenmörders von Highland Park. Der 21 Jahre alte Mann tötete am 4. Juli sieben Menschen und verletzte circa 25 weitere Personen bei einer Parade zum US-Nationalfeiertag in Highland Park, einer Stadt im US-Bundesstaat Illinois mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil. Bereits einige Monate zuvor hatte er eine örtliche Synagoge aufgesucht, möglicherweise um zu erkunden, ob diese als Ziel für einen Anschlag ge­eignet sei.

Der Täter war ein Rapper, seine ­Musikvideos zeigten mit MS Paint produzierte, in einem von Anime inspirierten Stil gehaltene Darstellungen von Gewalttaten: Kugeln, die einen Torso zerschmettern, oder den Attentäter als Scharfschützen auf einem Häuserdach. Außerdem war er auf einem Forum aktiv, in dem Bilder und Videos von brutalen Morden und Verstümmelungen geteilt werden. Dort postete er regelmäßig antisemitische und rassistische Hassphantasien. Auf dem von ihm betriebenen Discord-Server schrieben der Täter und andere User dar­über, Kommunistinnen und Kommunisten zu ermorden.

Sowohl der Attentäter von Kopenhagen als auch der von Highland Park ­kokettieren in ihren Videos mit psychischen Störungen. Ein recht neuer Trend in der Online-Rechten ist das sogenannte Schizopilling. Dabei wird ­glorifiziert, sich einer wahnhaften, verschwörungsgläubigen, paranoiden Weltsicht zu verschreiben und therapeutische Hilfe abzulehnen. Dem inhärent sind Menschenhass, Nihilismus und eine rechtsextreme Ästhetik. Emotionale Verrohung wird geradezu ver­herrlicht.

Viele Amoktäter scheint der Wunsch anzutreiben, sich durch eine spektakuläre Gewalttat als historische Figur zu etablieren und sich an einer Gesellschaft zu rächen, die ihnen statt Anerkennung, Liebe und willigen jungen Frauen nur Kränkungen zu bieten hatte.

Rechtsextremismus funktioniert oft als ein Heilsversprechen, das die Sehnsucht der jungen Männer bedient, den Erniedrigungen einer Gesellschaft zu entkommen, in der sie vom Chef – oder von Eltern und Lehrkräften – angeschrien und von Frauen abgewiesen werden. Die Ideologie versichert dem jungen weißen Mann, dass er anderen Menschen überlegen sei – der einzige Grund, aus dem niemand diese Überlegenheit anerkennt, sei die Degeneration der Moderne, die den Status des weißen, heterosexuellen Mannes untergraben habe.

Du hast keine Freundin oder kommst im Leben nicht voran? Daran ist der ­Feminismus schuld, oder eine Gesellschaft, die nichtweiße Menschen bevorzugt! Deshalb muss Rache geübt werden. Oft hofft der Täter, durch den Anschlag Anerkennung und Wertschätzung bei seiner Online-Community zu erhalten. Die Manifeste, Live-Streams und Musikvideos, die viele der erwähnten Täter veröffentlichten, dienen der Verewigung und »Memefizierung« in der eigenen Szene. Außerdem sollen sie andere Männer motivieren, ebenfalls Terrorakte zu begehen.

Diese Anschläge sind zudem Ausdruck einer autoritären Revolte: Die Attentäter sehen sich als eine unterdrückte Minderheit an, die gegen eine imaginierte, ihnen feindlich gesinnte Übermacht vorgehen muss. So legitimieren sie die eigene, oft tödliche ­Gewalt. Ein weiterer Aspekt ist die Identifikation mit Gewalt und Herrschaft. Statt die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse, unter denen das Individuum leidet, zu hinterfragen und in solidarischer Organisation progressiv überwinden zu wollen, möchten sich die Täter mit Gewalt selbst über an­dere Menschen stellen.

Oft ist das eng mit Männlichkeitsvorstellungen verknüpft. Der Soziologe Michael Kimmel argumentiert in seinem Buch »Angry White Men«, dass das Ausüben von Gewalt der Wiederherstellung einer gekränkten Männlichkeit dienen soll. Der Attentäter von Uvalde, der 21 Menschen ermordete, wurde angeblich wegen seines schüchternen Auftretens oder eines Sprachfehlers von Mitschülerinnen und Mitschülern gedemütigt.

Eine Voraussetzung, um anderen das Leben zu nehmen, ist die emotionale Verrohung der eigenen Person; der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit nennt diesen Prozess »Protodiakrise«: der »Daseinszustand von Menschen, die unter der Störung leiden, nicht zwischen tot und lebendig unterscheiden zu können«. In den faschistischen Männerbünden des 20. Jahrhunderts wurde diese Verrohung durch militärischen Drill erreicht, heutzutage richten sich die rechtsterroristischen Attentäter durch online gepflegte Menschenverachtung und Nihilismus selbst zu.

Dafür gibt es zahlreiche virtuelle Orte wie das Imageboard 4chan, das rechtsextreme Trollforum Kiwi Farms oder etliche Telegram-Kanäle. Viele User ­reden sich damit hinaus, es sei alles doch nicht so ernst gemeint – es ist ja nur »for the lulz« – für die Lacher. Auch ist nicht jeder Mensch, der hin und wieder mal ein bisschen Shitposting betreibt, ein potentieller Terrorist. Aber dort entwickelt sich seit Jahren weitestgehend ungestört eine Szene, die das Leid anderer Menschen entweder als Witz begreift oder einfach nur genießt. Diese – im Kapitalismus ohnehin bereits angelegte – Menschenverachtung ist der erste Schritt auf dem Weg in die extreme Rechte.