Olaf Scholz will mit einer »Konzertierten Aktion« für Lohnzurückhaltung sorgen

Deutschland, du miese konzertierte Aktion

Bundeskanzler Olaf Scholz will Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter an einen Tisch bringen, um die Inflation zu bekämpfen. In Deutschland hat es Tradition, dass die Arbeiterschaft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Opfer zugunsten der deutschen Industrie bringt.
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Wir müssen jetzt zusammenhalten und gemeinsam Opfer bringen – das war die zentrale Botschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim ersten Treffen seiner »Konzertierten Aktion« am Montag. Man möchte sofort fragen: Wer ist »wir«? Aber für Scholz scheint das nicht der Rede wert zu sein, man muss es wohl nicht groß erklären. »Wir werden als Land durch diese Krise nur gut durchkommen, wenn wir uns unterhaken, wenn wir uns gemeinsam auf Lösungen einigen«, sagte er und beschwor den »Geist der Gemeinsamkeit«, mit dem »wir« den nun anstehenden schwierigen Zeiten begegnen müssten.

All die Menschen, die demnächst die letzten Notgroschen zusammenkratzen müssen, um die Nebenkostenabrechnung zu stemmen, werden sich an diesen Worten wärmen können. Von dem »Geist der Gemeinsamkeit«, den Scholz predigt, kann man sich freilich nichts kaufen. Niemand wird dadurch weniger arm oder ist weniger auf sich allein gestellt. Es scheint sogar fast das Gegenteil gemeint zu sein. »Konzertierte Aktion« – das hat einen unguten Klang, es erinnert an Kriegswirtschaft – es bedeutet aber eigentlich nur, dass geklärt werden soll, wer die Kosten der Inflation hauptsächlich schultern muss. Dafür lud Scholz die Spitzen der Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter zu sich ins Kanzleramt. Hauptziel der ganzen Veranstaltung scheint zu sein, vor den bald anstehenden Tarifrunden Druck auf die Gewerkschaften auszuüben, sich bei Lohnforderungen zurückzuhalten.

Schon in den vergangenen beiden Jahren waren die durchschnittlichen Reallöhne gesunken. Jetzt steigen die Lebenshaltungskosten drastisch und gleichzeitig sucht die deutsche Wirtschaft in fast allen Branchen händeringend nach Arbeitskräften. Es gäbe also kaum ­einen besseren Moment für die Gewerkschaften, möglichst viel für ihre Mitglieder herauszuholen. Wenn da nicht der sozialdemokratische Kanzler wäre. Der scheint mit seiner »Konzertierten Aktion« aufpassen zu wollen, dass es nicht zu wild zugeht.
Statt Lohnerhöhungen, die deutlich über der Inflationsrate liegen, sollen sich die Gewerkschaften mit Einmalzahlungen zufrieden­geben – die für Unternehmen auch noch steuerfrei sein sollen, so Scholz’ ursprünglicher Vorschlag. Von entsprechenden Forderungen an Unternehmen, sich bei Dividendenauszahlungen zurückzuhalten (dieses Jahr werden sie bei den 40 Dax-Unternehmen mit über 50 Milliarden Euro einen Rekordwert erreichen), ist nichts bekannt.

Dabei hat die Inflation ganz andere Gründe als steigende Löhne – die sind schließlich auch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eher nicht gestiegen. Die Covid-19-Pandemie und die darauffolgende wirtschaftliche Erholung haben zu weltweiten Lieferengpässen und steigenden Energiepreisen geführt und Russlands Krieg gegen die Ukraine hat noch mal alles verschlimmert. Tatsächlich dürfte es in den nächsten Jahren schwierig werden für die deutsche Industrie. Etliche Regierungspolitiker schwören die Bevölkerung schon auf langfristig harte Zeiten ein.

Das in den vergangenen Jahren ziemlich erfolgreiche deutsche Wirtschaftsmodell beruhte auf billiger Energie aus Russland und relativer Lohnzurückhaltung der Beschäftigten. Das Ergebnis war ein enormer Exportüberschuss. Dadurch konnte Deutschland, trotz eines relativ schwachen Wachstums, Arbeitslosigkeit gewissermaßen ins Ausland exportieren. Nun wurde gemeldet, dass Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit keinen Exportüberschuss mehr verzeichnet. Das liegt zwar vor allem daran, dass die Preise der Importe im Vergleich stärker gestiegen sind, doch zweifellos leidet die Exportindustrie unter Lieferproblemen bei Vorprodukten und hohen Preisen.

In Deutschland hat es Tradition, dass in Krisenzeiten zunächst die Arbeiterschaft zurückstecken muss – ganz zu schweigen von ­Arbeitslosen und vielen Rentnern, für die die Inflation bittere Not bedeutet. So lief es auch schon unter dem vorherigen sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder, der mit einer konzertierten Aktion namens Agenda 2010 den Grundstein für stagnierende Löhne, einen riesigen Armutslohnsektor und das deutsche Exportwunder legte.

Falls sich wegen der sozialen Härten in den nächsten Monaten ein wenig Unzufriedenheit regen sollte, haben Rechte, aber auch manche Linke, schon eine Schuldzuweisung vorbereitet, die mit den Verhältnissen, unter denen viele Menschen leiden, freilich nichts zu tun hat: Schuld an der Preismisere sei die angeblich irrsinnige Unterstützung der Ukraine. Die sei nicht nur schrecklich teuer, sondern zögere das Unausweichliche sowieso nur hinaus. Deshalb dürfe man als deutscher Verbraucher mit gutem Gewissen auf die Gasrechnung schauen und sofortigen Frieden fordern, koste es (die Ukrainerinnen und Ukrainer), was es wolle.