Beim Untersuchungsausschuss zu den rechtsextremen Anschlägen in Neukölln darf auch die AfD mitmachen

Bock wird Gärtner

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum sogenannten Neukölln-Komplex hat endlich seine Arbeit begonnen. Mit dabei sind Vertreter der AfD – obwohl einer der Tatverdächtigen AfD-Mitglied war und dieser Kontakt zu einem Polizisten hatte, der ebenfalls AfD-Mitglied ist.

Seit Jahren wurde er gefordert – von antifaschistisch Aktiven, lokalen Bündnissen und der Berliner Linkspartei –, nun geht er endlich los. Am Donnerstag vergangener Woche tagte zum ersten Mal der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum sogenannten Neukölln-Komplex im Berliner Abgeordnetenhaus. 13 Abgeordnete unter dem Vorsitz des SPD-Politikers Florian Dörstelmann sollen einen mit 60 Fragen gefüllten Katalog abarbeiten.

Es geht um eine Reihe von Brandanschlägen und Bedrohungen, die mutmaßlich Rechtsextreme in Berlin-Neukölln seit 2009 gegen ihre politischen Gegner verübt beziehungsweise getätigt haben. Bis heute stand niemand wegen dieser Anschläge vor Gericht, erst im August soll ein Prozess gegen die zwei verdächtigten Neonazis Sebastian T. und Tilo P. beginnen. Der Schwerpunkt des Untersuchungsausschusses liegt dementsprechend auf der Tätigkeit – oder eher Untätigkeit – der verschiedenen Sicherheitsbehörden. Mit schnellen Ergebnissen ist allerdings nicht zu rechnen. Dem Sender RBB24 Inforadio sagte Dörstelmann: »Es wäre ein gutes Ergebnis, wenn wir Ende des nächsten Jahres die Beweisaufnahme abschließen könnten, und dann braucht man sicherlich noch ein halbes Jahr, um einen ordentlichen Bericht vorzulegen.«

Dem offiziellen Arbeitsauftrag zufolge soll das »Ermittlungsvorgehen« zur »im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie in Neukölln« untersucht werden. Es geht um über 70 Brandanschläge, Sachbeschädigungen und gezielte Drohungen an Privatadressen von antifaschistisch engagierten Menschen und Projekten. Einige Betroffe­ne sprechen von mindestens 157 Straftaten seit 2009.

Zwei Staatsanwälte sind wegen Befangenheit von den Ermittlungen abgezogen worden, weil ihnen AfD-Nähe vorgeworfen wurde.

Über allem schwebt die Frage, warum die Berliner Sicherheitsbehörden trotz eines sehr überschaubaren Tatverdächtigenkreises bis heute niemandem etwas gerichtsfest nachweisen konnten. Die mutmaßlichen Täter waren den Behörden seit Jahren bekannt, einige von ihnen wurden abgehört, während sie Opfer ausspionierten und Taten planten.

Ende März hatten die Regierungsparteien SPD, Grüne und Linkspartei den Antrag zum Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus eingebracht. Bis zur ersten Sitzung vergingen einige Wochen. Ein Grund dafür war Uneinigkeit über den Umgang mit der AfD. Das »Berliner Ausschussgesetz verlangt, dass alle Fraktionen vertreten sind«, so der Ausschussvorsitzende Dörstelmann. Erst im dritten Wahlgang bekamen der AfD-Vertreter Antonin Brousek und sein Stellvertreter Karsten Woldeit die nötigen Stimmen. In der geheimen Wahl müssen auch Politiker aus der rot-rot-grünen Regierungsmehrheit für ihn gestimmt haben. Die AfD hatte zuvor eine Klage angedroht, wodurch sich die Aufnahme der Ausschussarbeit noch länger verzögert hätte.

»Das ist eine Abwägungsfrage, bei der es keine zufriedenstellende Lösung gibt«, sagt der Vertreter der Linkspartei im Ausschuss, Niklas Schrader, der Jungle World. Der Ausschuss sei einem hohen Risiko ausgesetzt. »Verfassungsgerichtliche Verfahren hätten die Arbeit lähmen, Beweisbeschlüsse des Ausschusses hätten rechtlich angefochten werden können. Die uns so wichtige und hart erkämpfte Aufklärung des rechten Terrors hätte nicht ungehindert stattfinden können«, so Schrader.

Dieses Problem gibt es häufig, seit die AfD in zahlreichen Parlamenten sitzt. In diesem Fall hat sie aber besondere Brisanz, denn einer der beiden Hauptverdächtigen war Mitglied in der Neuköllner AfD. Zudem waren zwei Staatsanwälte wegen Befangenheit von den Ermittlungen abgezogen worden, weil ihnen AfD-Nähe vorgeworfen wurde. Die Rolle dieser beiden Staatsanwälte zu beleuchten, ist eine Auf­gabe des Untersuchungsausschusses. Das Gleiche gilt für den Polizisten Detlef M., der nach Informationen der Taz in einer Chat-Gruppe mit dem Hauptverdächtigen Tilo P. war und sich dort über eine Veranstaltung in einem Neuköllner Buchladen austauschte. Wenig später wurden dort die Scheiben eingeworfen. Detlef M. soll der Taz zufolge »Sicherheitsbeauftragter« des AfD-Bezirksverbands in Neukölln gewesen sein.

Niklas Schrader von der Linkspartei sagt, es komme nun drauf an, die beiden AfD-Mitglieder im Ausschuss »soweit es geht zu isolieren«. Im Untersuchungsausschuss zum islamistischen Attentat auf dem Breitscheidplatz sei das »recht gut gelungen«. Mit nur einem Mitglied und einem Stellvertreter im Untersuchungsausschuss erfülle die AfD auch nicht die Quote, um Minderheitenanträge einzubringen. Allerdings besteht das Risiko, dass private Daten von Betroffenen an Dritte weitergegeben werden.

Diese Sorge hatte zuvor Ferat Koçak geäußert. Auf sein Auto war ein Brandanschlag verübt worden. Nun sitzt er für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus und ist auch am Untersuchungsausschuss beteiligt. Vergangene Woche hat der Anwalt ­eines der mutmaßlichen Täter mitgeteilt, dass er eine Klage gegen Koçaks Beteiligung erwägt. Diese sei unzulässig, weil Koçak selbst Betroffener sei. Vertreter der beteiligten Parteien sehen darin jedoch kein rechtliches Problem, da Koçak nur als Stellvertreter im Ausschuss sitzt.

Einen praktischen Effekt könnte der parlamentarische Untersuchungsausschuss bereits gehabt haben – nämlich das Gerichtsverfahren gegen die zwei Tatverdächtigen, das im August beginnen soll. Schon früher konnte man beobachten, dass immer, wenn ein neuer Schritt in Richtung Untersuchungsausschuss getan wurde und sich dementsprechend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den »Neukölln-Komplex« richtete, sich auch etwas bei den Strafverfolgungsbehörden tat. Dass Medien dann auch über die polizeilichen Ermittlungen berichten, wirkt dem Eindruck entgegen, die Polizei sei untätig geblieben.

So brachte der RBB gemeinsam mit der Berliner Morgenpost nur zwei Tage vor der ersten Tagung des Untersuchungsausschusses einen längeren Beitrag, in dem es hieß, die Polizei habe bei den Ermittlungen »alle Register« gezogen. Die Ermittler hätten unter anderem mit GPS-Daten »Erkundungsfahrten« der Neonazis dokumentiert und dabei mitverfolgt, dass die Verdächtigen bei späteren Anschlagsopfern vor der Haustür hielten. Warum die Polizei die Taten dennoch nicht verhindern konnte und die Täter erst im August dieses Jahres angeklagt werden, muss nun der Untersuchungsausschuss klären.