Ein Lob auf ökonomische Textgestaltung in Schulaufsätzen

Ökonomische Textgestaltung

Klassenkampf Von

Die Zeiger der großen alten Standuhr, die sicherlich irgendwo im Büro der ­Senatorin für Bildung steht, tickten brav vorbei an der Erhebung der Lernausgangslagen zu Schuljahresanfang, an Weihnachtswichteln (Ausbeute: Entspannungsbad, Entspannungstee, ­Entspannungsduftkerze, wtf?), den Halbjahreszeugnissen, der Mottowoche des Abiturjahrgangs (bester Tag: natürlich der mit den Zombies), den kürzlich von meiner Klasse neu erfundenen Ramadanwichteln (Ausbeute: eine große Packung Kaffee, ich fühle mich gesehen und verstanden und werde mich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen, #Endjahresnote) und jetzt, quasi fünf vor zwölf, stehen eigentlich nur noch ein paar Noten für die Mittelstufe aus – und die für das Abitur natürlich, den höchsten deutschen schulischen Bildungsabschluss, die Priesterweihe, die zum Eintritt in die heiligen Hallen der Universitäten be­rechtigt.

Jedes Jahr aufs Neue denke ich, dass es dieses Mal anders sein könnte, dass sie dieses Jahr vielleicht erleuchtet wurden, bevor sie sich hingesetzt und mir Sachen aufgeschrieben haben, jedes Jahr. Und dann lese ich ihre Klausuren und mein alter Deutschlehrer erscheint vor meinem inneren Auge und macht sein Ding. »Totaler Blödsinn!« murmelt er vor sich hin, »Was soll das überhaupt heißen?« oder auch: »Jaja, Blubblub!« und all die anderen Sachen, die er uns damals neben unsere Arbeiten geschrieben hat.

Ich schreibe das dann so nicht dorthin, ich bin brav und halte mich an die Regeln und schreibe statt »Jaja, Blubblub« »wenig ökonomische Textgestaltung«, »nicht funktional im Sinne der Aufgabenstellung« oder auch »redundant«. Weil es ja außerdem so ist, dass die Kinder arme Hasen sind und man ihnen nicht alles versauen will, nur weil sie halt überhaupt nicht schreiben können, vermerkte ich auch gelegentlich, ein Textabschnitt sei zum Beispiel eine »sprachlich unbeholfene, aber noch funktionale Hinführung zum Thema des Textes, das dabei ansatzweise erfasst wird«, was bedeutet, dass man nichts verstehen kann, aber ein bis zwei Wörter vorkommen, die etwas mit dem Thema zu tun haben könnten. Mehrfach schrieb ich auch »weitgehend unverständliche, aber im Ansatz noch sinnvolle Einlassung«, und ich weiß auch nicht, wie das überhaupt gehen soll.

Angefangen, richtig hart am Rand des Wahnsinns zu surfen, habe ich aber erst bei der vorletzten Klausur, als ich die schöne Randbemerkung »in ­einigen Ansätzen funktionale und vergleichsweise wenig redundante, ansatzweise fast schon ökonomische Textgestaltung mit, trotz teilweiser Un­verständlichkeit, vagem Bezug zur Aufgabenstellung« erdachte. Leider habe ich das Wort »strukturell« nicht mehr untergebracht, aber ich denke, es rechtfertigt auch so eine Vier.