Indien leidet unter einer verheerenden Hitzewelle

Heiße Verhandlungen

Während Indien unter Hitze leidet, ist Premierminister Narendra Modi am 2. Mai zu Regierungskonsultationen nach Deutschland aufgebrochen.

In Indien und Pakistan war es im April so heiß wie nie seit Beginn der indischen Wetteraufzeichnung im Jahr 1901. Die durchschnittliche Tageshöchsttemperatur in Zentralindien lag im April bei 38 Grad Celsius – die höchste Oberflächentemperatur, gemessen von der European Space Agency südwestlich der Stadt Ahmedabad, betrug sogar 65 Grad Celsius. In den sozialen Medien kursieren Videos von Frauen, die auf den Motorhauben ihrer Autos Brot backten, so sehr brannte die Sonne auf sie nieder. Der Preis von Zitronen, als Limonade getrunken sonst eine der erschwinglichsten Erfrischungsmöglichkeiten, ist auf das Dreifache der üblichen Sommerpreisen gestiegen.

Temperaturen von 40 bis 50 Grad Celsius in den Monaten Mai und Juni gehören in Indien und Pakistan bereits zur traurigen Normalität; umso bedenklicher ist es, dass diese Hitzephänomene immer früher im Jahr auftreten. Sämtliche Expertinnen und Experten sind sich einig, dass dies auf den Klimawandel zurückzuführen ist. In den vergangenen 30 Jahren hätte sich die Erwärmung stark beschleunigt, so die World Meteorological Organization. Davon sind in der gesamten Region mehr als eine Milliarde Menschen betroffen. In den vergangenen Wochen waren in den Großstädten wie etwa Neu-Delhi die Menschen aufgefordert worden, ihre Häuser möglichst nicht zu verlassen, Schulen blieben geschlossen.

Die Kornkammer des Landes, der Punjab, ist derzeit besonders von der Hitze betroffen. Nach der Dürre in diesem Jahr dürfte die Ernte besonders schlecht ausfallen.

Aber nicht alle haben die Möglichkeit, sich in geschlossenen Räumen vor der Hitze zu schützen. Nach Angaben der Hindustan Times verrichten 49 Prozent der Beschäftigten in der Indus­trie ihre Arbeit im Freien; dabei sind landwirtschaftliche Tätigkeiten noch gar nicht berücksichtigt. Die Hitze kann ­lebensbedrohlich sein. Allein in der Stadt Ahmedabad starben im Jahr 2010 über 1 300 Menschen an den Folgen einer ähnlichen Hitzewelle, so das World Economic Forum.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Klimaschutz im Zentrum der indisch-deutschen Regierungskonsultationen stand, die am Montag vergangener Woche in Berlin stattfanden. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem indischen Premierminister Narendra Modi verwies Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darauf, dass es gerade angesichts der derzeitigen Hitzewelle in Indien nötig sei, die Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieinfrastruktur auszuweiten. Insgesamt zehn Milliarden Euro will die Bundesregierung Indien daher bis 2030 für »grünes Wachstum« zur Verfügung stellen. Außerdem soll mehr Wissen ausgetauscht werden, Mobilitätserleichterungen für Forschende und qualifizierte Arbeitskräfte sind geplant.

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Wiederaufnahme von Gesprächen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien. Deutschland ist Indiens wichtigster Handelspartner innerhalb der EU. Das geplante Abkommen, dessen Aushandlung in den vergangenen Jahren ins Stocken geraten war, haben jüngst einige hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der EU in Indien stark beworben – zum Beispiel die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Ende April eigens dafür nach Neu-Delhi gereist war.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Indien sind derzeit allerdings alles andere als einfach. Vor allem sorgt der Ukraine-Krieg für Spannungen, da Indien die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt. Das Land hatte sich in der UN-Vollversammlung bei der Abstimmung zur Verurteilung des russischen Angriffskriegs enthalten. Um Indien stärker an das westliche Lager zu binden, hatte Tobias Lindner (Grüne), Staatsminister im Auswärtigen Amt, daraufhin indischen Partnerinnen und Partnern versprochen, den Ton der deutschen Außenpolitik zu ändern: Die Zeit des »Predigens und Belehrens« sei vorbei, Indien sei ein »strategischer Partner«.

Die bilaterale Zusammenarbeit soll gestärkt werden, doch vertraten Indien und Deutschland in multilateralen Foren im vergangenen Jahr teilweise sehr unterschiedliche Positionen. So blockierte Deutschland eine Aussetzung der Patentrechte für Covid-19-Impfstoffe. Indien seinerseits war maßgeblich daran beteiligt, die Vereinbarung der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 zum Kohleausstieg abzuschwächen: Andere Länder wollten einen kompletten Kohleausstieg, Indien nicht, da das Land den Großteil seiner Energie aus Kohle gewinnt. Daher war es maßgeblich daran beteiligt, dass es im Abschlusspapier nur noch »phase down« (schrittweiser Abbau) statt »phase out« (Ausstieg) hieß. Wie sehr Indien bei der Kohleenergie in ­einen Teufelskreis geraten ist, zeigt die derzeitige Hitzewelle: Der Anstieg der Temperaturen hat zu einer so starken Erhöhung der Energienachfrage beigetragen, dass Kohle gar nicht schnell genug gefördert werden kann. Die indische Bahngesellschaft hat angeordnet, dass Personenzüge nur mit einer Begrenzung der Passagieranzahl auf 600 fahren dürfen, um mehr Platz für Kohletransporte zu machen.

Zuletzt hatte Indien vor allem in Kreisen der deutschen Wirtschaft für Verstimmung gesorgt, da es mit Russland ein Abkommen über vergünstigte Rohstofflieferungen ausgehandelt hatte. Anlässlich des Treffens zwischen Modi und Scholz mahnte daher der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutschland solle mit Indien verhandeln, »ohne eigene Interessen zu verraten«. Indien soll nun attraktivere wirtschaftliche Angebote bekommen, um es so politisch stärker an die EU zu binden.

Dass Deutschland selbst noch stark von fossilen Energieträgern aus Russland abhängig ist, wird in der Kritik an Indien gern unterschlagen. Laut Untersuchungen des finnischen Centre for Research on Energy and Clean Air sind die deutschen Importe von Öl und Gas noch immer neunmal so hoch wie die Indiens. Insgesamt kaufen die EU-Länder gemeinsam noch immer 70 Prozent aller gehandelten russischen Ressourcen.

Im Zuge des Ukraine-Kriegs hatte Indien gehofft, seine Exporte landwirtschaftlicher Produkte auszuweiten. Vor allem in Ägypten, Oman, Israel und Südafrika, die besonders unter den Lieferengpässen beim Getreide leiden, hatte Indien mögliche Abnehmer gesehen. Die Kornkammer des Landes, der Punjab, ist aber derzeit besonders von der Hitze betroffen. Ernteausfälle dürften in diesem Jahr nach der Dürre hoch ausfallen, und die Bedingungen für die Landwirtschaft könnten sich in den nächsten Jahrzehnten sogar noch verschlechtern.