Der Film »Death of a Ladies’ Man« blickt zurück auf eine Generation von Männern

Der Knacks ist zeitlos

Der Film »Death of a Ladies’ Man« ist eine Hommage nicht nur an Leonard Cohen, sondern an viele Männer, deren Lebensstil mit seiner Musik verschmolz. Er zeigt dabei, dass Zerrissenheit und Schmerz generationsübergreifend sind.

Gerade noch outet sich der Sohn beim Vater als vielleicht verliebt und definitiv schwul, schon halluziniert der Alte in der nächsten Sequenz ein Männerballett von Eishockeyspielern, die an der Stelle, an der eigentlich die Nationalhymne spielen sollte, zu Leonard Cohens »Bird on the Wire« Hebefiguren vorführen. Ein Mann unter Männern gerät hier plötzlich mental ins Wanken – und das, obwohl er doch eigentlich nur Sohnemann beim Spiel anfeuern wollte.

Das ist eine Szene aus dem Film »Death of a Ladies’ Man« des kanadischen Regisseurs Matthew Bissonnette – nach seinem Debüt »Looking for Leonard« (2002) bereits der zweite Film des 56jährigen, der stark von seiner Liebe zu Leonard Cohens Werk beeinflusst ist. Entsprechend beginnt der Film mit einem Blick auf eine Hauswand, die ein riesiges Portrait des in Montreal geborenen Autors und Folksängers mit der markanten tiefen Stimme ziert, der 2016 im Alter von 82 Jahren starb. Doch man muss kein Kenner der lyrischen Welt des unnachahmlichen Hippie-Gentlemans sein, die so voll ist mit Sex, Einsichten über die dunklen Gefilde der Liebe und spiritueller Metaphorik, um diesen Film zu mögen – ja, nicht einmal ein Fan Cohens.

Samuel O’Sheas Tumor ist ein geschickter Erzähltrick, der die wunderlichen Visionen des Professors zwar körperlich begründet, aber in ihrer Rätselhaftigkeit belässt.

Samuel O’Shea (Gabriel Byrne) ist ein Literaturprofessor mit einem gehörigen Alkoholproblem, dessen zweite Ehe gerade in die Brüche geht und der wegen eines Hirntumors von unerwartet auftretenden Trugbildern heimgesucht wird. Die Diagnose lässt ihn innehalten und zurückschauen auf ein wenig gehaltvolles Privatleben voller Frauen und irischem Whisky. Seinen beiden Kindern aus erster Ehe, Layton (Antoine Olivier Pilon) und Josée (Karelle Tremblay), hat der abwesende Vater mit der Scheidung jeweils eigene seelische Bürden auferlegt. Entsprechend schwer geht die familiäre Annäherung voran.

Zudem lockt viele Filmfiguren die Flucht in alte Gewohnheiten, Abhängigkeiten und Aggressionen unterschiedlicher Couleur, um sich nicht mit dem Haufen Elend, der der frisch getrennte Samuel gerade ist, übermäßig befassen zu müssen. Schließlich ist Vater O’Shea jetzt so verkorkst, dass er nicht nur Bodybuilderinnen mit Tigerkopf, sondern auch seinen toten alleinerziehenden Vater (Brian Gleeson) herbeiimaginiert, mit dem er dann im Zwiegespräch an der rau­en Küste Irlands seine mommy issues zu ergründen versucht. Und so überlässt man ihn erst einmal sich selbst.

Im Delirium schwingt Samuel sich in einer irischen Hütte, die einem zuvor zitierten Gedicht von William Yeats zu entstammen scheint, dazu auf, nicht weniger als den neuen großen nordamerikanischen Roman zu schreiben. Währenddessen entdeckt Tochter Josée bei ihrem drogenabhängigen Freund, einem Möchtegernpoeten, Heroin. Auf ihre Frage, wie das Suchtmittel wirke, frohlockt der, es fühle sich an, als lecke Gott einen mit einer riesigen Samtzunge ab.

Was hier auf den Rausch bezogen ist, passt ebenso auf die seelischen Zustände und Bedürfnisse der Figuren: etwa die wohlige Hingabe an ein im Grunde narzisstisches Selbstmitleid, aber auch gnadenlose manische Selbstüberschätzung oder den wohligen Anteil von Selbstgerechtigkeit in einer Depression. Vielgestaltig sind die göttlichen Samtzungen. Bei Sohn Layton ist es schwuler Selbsthass, der ihn zum härtesten Prügler seiner Hockeymannschaft macht. Er scheint sich an dem Ruf, den ihm sein gewaltvolles Verhalten einbringt, zu laben, um sich nicht minderwertig fühlen zu müssen.

Wer Lieder und Leben Leonard Cohens kennt, wird merken, wie das von Bissonnette selbst verfasste Drehbuch einzelne biographische Aspekte und lyrische Motive aus Cohens Werk auf die Figuren des Films verteilt oder in besonderen Szenen und Anordnungen aufgehen lässt. So findet Cohens feminine Seite, die sich in seinem mild spöttischen Blick auf die Figur des Liebhabers in seinen Liedern stets zeigte, ihren Niederschlag in von Männern ausgeführten zarten Choreographien, etwa zu seinem Song »Did I Ever Love You«. So wie hier lockern mokante Regieeinfälle – neben den schrägen Visionen – auch an anderen Stellen im Film die ernste Schwermut auf, mit der Cohen seine lyrischen Alter Egos stets ausstattete – was die Hauptfigur sympathisch macht und dem Film insgesamt sehr zugute kommt.

Samuel O’Sheas Tumor ist ein geschickter Erzähltrick, der die wunderlichen Visionen des Professors zwar körperlich begründet, aber verrätselt lässt. Damit zieht etwas Märchenhaftes ein, das wiederum an Cohens Bildwelt angelehnt ist und daran erinnert, die Fiktion nicht überzudramatisieren oder psychologisch auszudeuten. Damit gelingt es dem Regisseur obendrein, Missverständnissen vorzubeugen und deutlich zu machen, dass sein Film gerade nicht die skurril verpackte Abrechnung mit dem überforderten alten weißen Mann sein will – und erst recht nicht ein an Leonard Cohens Werk statuiertes Exempel, das eine ganze Generation Männertypen mit anderen Wertevorstellungen der Belustigung preisgibt.

Auch mit der Figur des geisterhaften Vaters enthebt der Regisseur seinen Protagonisten der Rolle des Sündenbocks und zeigt, dass seine Geschichte über Sucht und Selbsterkenntnis auch eine über Vererbung und auch Pflege von Charakterschwächen und schädlichen Verhaltensmustern ist; und damit über etwas Universelles und Zeitloses.

Bissonnette beschäftigt sich mit Cohen zwar als einem Mann, der der Generation seines Vaters angehört, verpackt das jedoch in eine Geschichte, die eher der Lebenswelt seiner eigenen Generation entspricht. So wird »Death of a Ladies‘ Man« zu einer schelmischen Verneigung vor dem künstlerischen Idol, aber auch jenen Vätern, die einst aus dem Holz der Cohens, Cashs und Claptons geschnitzt sein wollten. Samuel O’Shea ist nur eine von vielen verkrachten Existenzen, die aus dieser Zeit hervorgingen. Bissonnette wahrt ihre Würde, indem er den suchtbedingten Realitätsverlust Samuels visuell so phantasievoll gestaltet, dass die Bilder, die der Innenwelt des Protagonisten entstammen, auch immer dessen Überwältigung durch kaum artikulierte Gefühle und eine Offenheit für das Schöne vermitteln – auch wenn dies, mit einem Augenzwinkern, manchmal in Verklärung seines Typs abdriftet.

Das Verdienst Cohens ist schließlich nicht zuletzt, dass er dem LSD-durchtränkten Rock ’n’ Roller einst eine Nische gegeben hat, in der er hemmungslos fühlen oder sich gar die Welt verzaubern konnte. Samuel O’Shea muss erkennen, dass jene Lieder, die er und die Seinen einst wie akustische Monstranzen vor sich her trugen, nun wie Prophezeiungen nachhallen. Mit dem Weltschmerz und Liebestaumel, der in Cohens Musik erklingt, konnte er in Jugendjahren noch Exzesse, Zerrissenheit und seine Bindungsunfähigkeit selbstmitleidig romantisieren. Doch erst in der Rückschau im Alter von 64 Jahren offenbart sich ihm in Zeilen wie diesen aus »Bird on the Wire« (1969) der eigene Charakter: »Like a baby, stillborn/Like a beast with his horn/I have torn everyone who reached out for me«. Von dieser Selbsterkenntnis als bedürftiges Baby und rücksichtsloser Bock erzählt der Film jedoch mit zarter Leichtigkeit.

Statt sex, drugs and rock ’n’ roll findet man in der popkulturellen Gegenwart eher verhandlungsbasierte Polyamorie und emotionslosen Techno, zu dem Getränke mit Felgenreiniger konsumiert werden. Heute wie damals aber führen die Lebensentwürfe selbsterklärter Hedonisten oft zu Einsamkeit, der selbige gerne mit trostspendenden playlists begegnen. Wer beim Hören wie Samuel O’Shea übers Leben reflektiert, wird vielleicht wie die Filmfigur zu der Erkenntnis kommen, dass auch die Kinder der jüngeren Generation mal auf ihre Eltern zurückschauen und ihnen für den eigenen Knacks danken werden. Samuel O’Shea ist als aus der Zeit Gefallener eben im Umkehrschluss auch eine zeitlose Figur.

Das zeigt auch eine Szene gegen Ende des Films: Der Vater wagt sich zu dem Sohn aufs Eis. Wackelig sind der gemeinsame Lauf über die Fläche und die Annäherung – und umso schöner ist die filmische Klammer, die zum imaginierten Männerballett zurückführt.

Death of a Ladies’ Man (Kanada 2020). Buch und Regie: Matthew Bissonnette. Mit Gabriel Byrne, Antoine Olivier Pilon, ­Karelle Tremblay. Kinostart: 7. April