Small Talk mit Lisa Schmidtke über das Gedenken zu Rostock-Lichtenhagen

»Die Ritualisierung findet schon statt«

Im Gedenken an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren hat sich in der Hansestadt ein Bündnis von linken Gruppen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammengefunden. Der Zusammenschluss will in den nächsten Monaten an die rassistischen Kontinuitäten erinnern. Für den 27. August sind bundesweite Demonstrationen geplant. Die Bündnissprecherin Lisa Schmidtke sprach mit der »Jungle World«.
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Sie fordern »eine Verstetigung und langfristige Absicherung von Forschung, Aufarbeitung, Bildungsarbeit und Gedenken zum Pogrom in Lichtenhagen und darauffolgenden Ausgrenzungen und Gewalthandlungen«. Dies wäre »auch über die Region hinaus ein Leuchtturm-Projekt zur Transformation nach 1990«. Wie wollen Sie verhindern, dass solch ein Leuchtturm-Gedenken mit der Zeit zu einem routiniert abgehandelten Ritual mutiert?

Die Ritualisierung findet leider schon statt. Das zeigt sich nicht zuletzt in den Konjunkturen der Aufmerksamkeit anlässlich der (runden) Jahrestage. Die letzten Artikel zum Thema sind in der Jungle World zu den 20. Jahrestagen erschienen. Gegen diese Ritualisierung fordern wir eine institutionalisierte Beschäftigung mit dem Pogrom auch abseits der Jahrestage. Dabei sollen zivilgesellschaftliche und aktivistische Akteurinnen, die in den vergangenen 30 Jahren den Großteil der Arbeit zum Pogrom geleistet haben, mitbestimmen und mitgestalten. Das kann der Vereinnahmung im Rahmen eines routinierten Gedenkens entgegenwirken.

Ein Beispiel ist das 2015 eingerichtete Dokumentationszentrum »Lichtenhagen im Gedächtnis«, das städtisch gefördert wird. Das Dokumentationszentrum leistet auch abseits der Aufmerksamkeitsspitzen kontinuierlich Bildungsarbeit, es ist als Archiv Ausgangspunkt vieler Recherche- und Forschungsprojekte und setzt inhaltliche Impulse für Gedenkarbeit.

Ritualisiertes Gedenken kann als Ablasshandel für die Mehrheitsgesellschaft dienen. Allein die Forderung nach materieller Entschädigung trifft wirklich ins Mark. Sind Reparationszahlungen in Ihrem Bündnis ein Thema?

Das Positionspapier ist ein erstes Papier zur inhaltlichen Verständigung im Bündnis. Wir arbeiten derzeit an konkreten Forderungen und diskutieren dabei auch das Thema Entschädigungen. Es braucht neben symbolischen Zahlungen aber auch den Kampf gegen Rassismus als gesellschaftliches Machtsystem, um die Kontinuität der Gewalt zu brechen. Auch Entschädigungszahlungen können Teil des dominanzgesellschaftlichen Ablasshandels sein und sind von den Betroffenen zudem nicht immer gewollt. Es ist unklar, wie die Betroffenen des Pogroms zu Forderungen nach Entschädigungszahlungen stehen.

Ihr Aufruf endet mit der Aussage, 2022 möge ein »verantwortungsvolles, konstruktives, solidarisches Gedenkjahr werden«. Aber die von Ihnen im Aufruf erwähnte »Abschottung, Ausgrenzung und psychische Gewalt gegen Asylsuchende« ist seit Jahrzehnten in der BRD institutionell. Kann Gedenken da konstruktiv und verantwortungsvoll gestaltet werden?

Die Verantwortung für die politische Aufarbeitung und ein angemessenes Gedenken liegt bei den Akteurinnen, die im Sommer 1992 systematisch versagt haben. Damit einher geht auch der politische Kampf gegen »Abschottung, Ausgrenzung und psychische Gewalt gegen Asylsuchende«, für welche das unmittelbar nach dem Pogrom errichtete Aufnahmelager Nostorf-Horst als Symbol steht.