China will die russische Invasion nicht verurteilen

Gefahr für den Giganten

China verurteilt die russische Invasion in der Ukraine nicht und wendet sich gegen Sanktionen. Das Bündnis mit Russland birgt jedoch Risiken.

Als der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag voriger Woche die »militärische Sonderoperation« in der Ukraine ankündigte, saßen in New York City die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats bereits in einer Krisensitzung zusammen. Eine friedliche Lösung der Ukraine-Frage sei noch möglich, sagte der UN-Botschafter der Volksrepublik China, Zhang Jun, zu seinen Kollegen. Dass er sein Redemanuskript nicht mehr rechtzeitig anpassen konnte, mag der Schwerfälligkeit des chinesischen Einparteienstaats geschuldet sein. Es fällt jedenfalls schwer zu glauben, dass China nichts von den russischen Angriffsplänen gewusst haben soll.

Während Chinas Staatsführung auf diplomatischer Ebene versucht, neutral zu wirken, nimmt sie im Inland eine sehr viel weniger ambivalente Haltung ein.

Nach Informationen der New York Times hatten die USA seit November vorigen Jahres versucht, China in eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise einzubinden. Mit Geheimdienst­erkenntnissen über Russlands Angriffspläne im Gepäck hätten US-Diplomaten mehrfach versucht, ihre chinesischen Gesprächspartner, darunter Außenminister Wang Yi, dazu zu bewegen, Russland von einem Angriff abzubringen. Der New York Times zufolge beharrten die chinesischen Diplomaten darauf, dass Russland kein militärisches Vorgehen plane. Im Dezember hätten US-Geheimdienste dann er­fahren, dass China den Inhalt dieser Gespräche an Russland weitergegeben habe – mit dem Hinweis, dass die USA versuchten, Zwietracht zu säen, und der Versicherung, man werde Putin nicht behindern.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten Chinas seit dem Beginn des russischen Angriffs womöglich besser nachzuvollziehen. Sowohl in den Pressekonferenzen des chinesischen Außenministeriums als auch in den staatlichen Medien wird der Begriff »Invasion« bisher bewusst vermieden und die Schuld für die Eskalation allein den USA und der Nato zugeschoben. »Haben sie jemals darüber nachgedacht, welche Konsequenzen es haben könnte, ein großes Land in die Ecke zu drängen?« fragte Hua Chunying, eine Sprecherin des Außenministeriums, noch am Mittwoch ­voriger Woche mit Verweis auf die Osterweiterung der Nato. Es überrascht daher nicht, dass sich China zwei Tage später im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über eine Resolu­tion, die die russische Invasion verurteilt hätte, der Stimme enthielt.

Doch die Volksrepublik bewegt sich auf einem schmalen Grat. Einerseits will man Russland nicht als Partner verlieren, andererseits stellt die russische Invasion zwei der für China wichtigsten Grundsätze internationaler Politik in Frage: territoriale Integrität und staatliche Souveränität. Zudem ­besteht die Gefahr, dass chinesische Unternehmen, die Geschäfte mit Russland machen, von den nun verhängten Sanktionen betroffen sind. Dementsprechend sprach sich Außenminister Wang in einem Telefonat mit seiner Amtskollegin Annalena Baerbock am Samstag gegen »unilaterale Sanktionen« gegen Russland aus. Diese schüfen nur neue Probleme und stünden einer politischen Lösung des Konflikts im Wege.

Während Chinas Staatsführung auf diplomatischer Ebene versucht, neutral zu wirken, nimmt sie im Inland eine sehr viel weniger ambivalente Haltung ein. Staatlich kontrollierte Medien verbreiten bereitwillig Desinformation aus russischen Quellen, die Internetzensur löscht kritische Beiträge wie den Aufruf einer Gruppe renommierter chinesischer Hochschulprofessoren, den Krieg zu beenden, und der Pro­pagandaapparat läuft auf Hochtouren, um die Krise in der Ukraine für die ­eigenen Zwecke auszuschlachten.

So hatte die chinesische Botschaft in Kiew in einer Meldung die Evakuierung chinesischer Staatsbürger angekündigt und explizit auch »taiwanische Landsleute« angesprochen. Wenig später griff ein chinesischer Influencer diese Meldung auf und bekundete, wie ergriffen er von dieser Hilfsbereitschaft sei. »Selbst wenn du nicht gehorchst, bist du doch trotzdem unser Kind«, sagte er mit Verweis auf die demokratische Inselrepublik Taiwan, die China als Teil seines Territoriums betrachtet. »Ihr solltet eure Mutter immer lieben«, so der Influencer weiter. Sein Video wurde rasant von mehreren staatlichen Medien weiterverbreitet. Schließlich sah sich Taiwans Regierung dazu veranlasst, die Berichte als fake news zurückzuweisen. Taiwan arbeite bereits mit Hochdruck daran, seine Bürger aus der Ukraine zu evakuieren. Tatsächlich konnten am Samstag bereits 18 Taiwaner sicher per Bus nach Polen ausreisen. Die chinesische Botschaft in Kiew hatte zunächst noch auf die Wiedereröffnung des ukrainischen Luftraums gewartet, erst am Montag begann die Evakuierung auf dem Landweg.

Zweifellos wurde China von der Geschwindigkeit und Schlagkraft der weltweiten Sanktionen gegen Russland überrascht, dessen Regierung nun hofft, deren Wirkung durch die vermehrte Rohstoff- und Agrarexporte nach ­China zu mildern. Russland habe noch Freunde in der Welt, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums Marija Sacharowa am Montag: »Schauen Sie sich die Reaktion der ­Giganten der Welt an. Nicht die, die ­vorgeben, Giganten zu sein, sondern die wahren Giganten. Vor allem China.« Für Präsident Xi Jinping könnte die Nähe zu Putin noch zum Problem werden.