In Griechenland sind ­Antifaschisten verurteilt worden, die einen Antisemiten angezeigt hatten

Freie Meinungsäußerung für Antisemiten

In Griechenland sind zwei Menschenrechtler, die den Metropoliten von Piräus wegen antisemitischer Aussagen angezeigt hatten, wegen Falschbeschuldigung verurteilt worden.

Das Urteil hat bei einigen sicher Entsetzen ausgelöst. Am 15. Februar befand ein Athener Gericht Panayote Dimitras und Andrea Gilbert der Falschbeschuldigung für schuldig und verurteilte die beiden zu jeweils zwölf Monaten Haft auf Bewährung. Ihr Vergehen: Sie hatten einen notorischen Antisemiten als solchen benannt und wegen eines antisemitischen Pamphlets 2017 Anzeige gegen ihn erstattet – gegen keinen Geringeren als den Metropoliten von Piräus, Seraphim.

Nachdem die Staatsanwaltschaft im Dezember 2019 die Ermittlungen gegen Seraphim eingestellt hatte, zeigte dieser Dimitras und Gilbert 2020 wegen Falschbeschuldigung an. Beide engagieren sich seit Jahrzehnten in der Menschenrechts-NGO Greek Helsinki Monitor (GHM). Gilbert ist deren Antisemitismusbeauftragte, Dimitras seit knapp 30 Jahren Sprecher der NGO. GHM ist eine der Organisationen, die 2021 die EU-Grenzschutzagentur Frontex wegen illegaler Pushbacks angezeigt hat, und sie betreibt das Blog Racist Crimes Watch, in dem rassistisch motivierte Übergriffe dokumentiert werden.

Im Prozess gegen Gilbert und Dimitras überzeugte Seraphim das Gericht davon, dass die angezeigten Aussagen »lediglich die Lehre der christlich-orthodoxen Kirche verkünden und nicht antisemitisch oder rassistisch sind«.

Einen solchen Übergriff sahen Gilbert und Dimitras in einem Hirtenbrief des Metropoliten vom 28. April 2017 mit dem Titel »Über das Verbot der Teilnahme eines Vertreters der Kirche von Griechenland an der Zeremonie des Empfangs des Heiligen Lichts«, der noch immer auf der offiziellen Website des Bistums von Piräus abrufbar ist. Seraphim hatte von der griechischen Regierung einen Diplomatenpass erhalten und sollte zusammen mit einer Delegation von Geistlichen nach Jerusalem in die Grabeskirche reisen, um dort am Ostersamstag der Entzündung des Heiligen Lichts beizuwohnen. Alljährlich wird dieses Licht mit Sonderflügen in alle griechisch-orthodoxen Bistümer gebracht und dort in der Ostermesse an die Gläubigen verteilt. Doch Seraphim konnte die Ehre, an der Delegation teilzunehmen, nicht wahrnehmen, denn die israelische Regierung hatte ihn zur persona non grata erklärt.

Im erwähnten Brief legte der Bischof diesen Sachverhalt dar, rief zu Protest gegen »die illegale Intervention Israels im Land und in der Kirche Griechenlands« auf und schrieb weiter: »Wir Orthodoxen sind keine Rassisten und deshalb auch keine Antisemiten (…) Wir Orthodoxen sind Antizionisten, das heißt, wir sind entschieden gegen den schrecklichen internationalen Zionismus, der den Theismus des Alten Tes­taments und der Propheten in einen abscheulichen Luziferismus und Satanskult verwandelte.« Seraphim gab sich in dem Brief keine Mühe, seinen Antisemitismus zu verschleiern: »Unsere orthodoxe Kirche ist gegen den Zionismus im Sinne des Imperialismus, einer Weltdiktatur (Pan-Zionismus), die auf die globale Beherrschung durch eine bestimmte Gruppe jüdischer Kapita­listen abzielt.« Als Beleg dafür zitierte er die seit mehr als einem Jahrhundert als Fälschung entlarvten und bei antisemitischen Verschwörungstheoretikern beliebten »Protokolle der Weisen von Zion«. »Der Zweck des internationalen Zionismus ist es, sich eines Tages auf der ganzen Welt politisch und religiös durchsetzen zu können. Er strebt danach, ein globales Judentum zu schaffen«, behauptete er und griff die übrigen christlichen Konfessionen an, weil sie die Aussöhnung mit dem Judentum suchten.

Dimitras und Gilbert stellten ihre Anzeige gegen Seraphim am 29. April 2017 bei der Abteilung zur Bekämpfung rassistischer Gewalt der Kriminaldirektion Attika, sie warfen ihm unter anderem öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass vor (gemäß Artikel 1 des Gesetzes 927/1979) und den Missbrauch eines kirchlichen Amts (Artikel 196 des griechischen Strafgesetzbuchs).

Der Zentralrat der Juden in Griechenland kritisierte in einer Protestnote vom Mai 2017 Seraphims Hirtenbrief: »Trotz aller Bemühungen, die Vorwürfe des Antisemitismus zu wider­legen, hat er in seinem langen Text den Antisemitismus zu Antizionismus umgetauft und dabei auf bekannte antisemitische Stereotype, Verschwörungstheorien und traditionellen Judenhass zurückgegriffen.«

Im Prozess gegen Gilbert und Dimitras überzeugte Seraphim als Haupt­belastungszeuge und Nebenkläger das Gericht davon, dass die angezeigten Aussagen »lediglich die Lehre der christlich-orthodoxen Kirche verkünden und nicht antisemitisch oder rassistisch sind«.

Die Verurteilten wollen in Revision gehen. Vor und während der Verhandlung hatten beide auf zahlreiche Verfahrensfehler hingewiesen. So hatte Gilbert als Nebenklägerin nichts von der Einstellung der Ermittlungen gegen Seraphim im Dezember 2019 erfahren. Dies geschah erst, als sie Ende Dezember 2021 Akteneinsicht für das gegen sie selbst gerichtete Verfahren erhielt. Damit hatte sie im Verfahren gegen Seraphim rechtswidrig keine Gelegenheit, Rechtsmittel einzulegen, da die Einspruchsfrist ohne ihre Kenntnis schon abgelaufen war. Dimitras bemängelte zudem, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Begründung, gegen Seraphim nicht weiter strafrechtlich vorzugehen, sich auf angebliche kirchliche Lehren berief, während Seraphim als Quelle seiner antisemitischen Aussagen die »Protokolle der Weisen von Zion« bemüht hatte.

Für beide Menschenrechtler sind solche Abenteuer mit der griechischen Justiz keine Premiere. Bereits 2010 standen sie vor Gericht, weil sie es zusammen mit Vertretern des Zentralrats der Juden in Griechenland gewagt hatten, 2006 Anzeige gegen den Politiker und Juristen Konstantinos Plevris wegen seines antisemitischen Pamphlets »Juden, die ganze Wahrheit« zu erstatten, in dem er sich unter anderem als Nazi und Antisemiten bezeichnete. Plevris wurde damals von seinem Sohn, dem derzeitigen Gesundheitsminister Athanasios Plevris, verteidigt und schließlich 2009 in einem Berufungsverfahren freigesprochen. Sein Sohn feierte dies damals als Sieg der Meinungsfreiheit, was er heutzutage in öffentlichen Stellungnahmen jedoch bedauert. Kon­stantinos Plevris zeigte damals diejenigen an, die Anzeige gegen ihn erstattet hatten, sie wurden jedoch freige­sprochen.

Seraphim, ein studierter Jurist mit Anwaltszulassung und Theologe, ist international für seine antisemitischen und rassistischen Äußerungen bekannt. Der Report des US-Außenministeriums zur Internationalen Religionsfreiheit vom 15. August 2017 führte Seraphim namentlich als Beispiel für antisemitische Kirchenfürsten in Griechenland auf und verwies auf die Anzeige des GHM gegen ihn. In einem Bericht der EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz vom 24. Februar 2015 heißt es, Seraphim sei für seine homophoben Ansichten bekannt und habe 2013 damit gedroht, »jeden Parlamentsabgeord­neten zu exkommunizieren, der für die Ausweitung der Lebenspartnerschaft auf Homosexuelle stimmen würde«. Seraphim bezeichnete die neue Gesetz­gebung über die gleichgeschlechtliche Ehe damals als Werk des »internatio­nalen zionistischen Monsters«. 2010 beschuldigte Seraphim live im Fernsehen das »Weltjudentum«, die damalige Finanzkrise in Griechenland verursacht zu haben. Dafür kritisierten ihn unter anderem der Jüdische Weltkongress und die griechische Regierung.