Die Bundesregierung plant die Einführung einer sogenannten Aktienrente

Die Aktien sind sicher

Die Bundesregierung plant, eine sogenannte Aktienrente einzuführen. Unklar ist noch, ob oder in welcher Höhe die Beitrags­zahler Geld in Fonds stecken müssen.

Immer mehr Senioren arbeiten. Im Sommer vergangenen Jahres waren etwa 300 000 Menschen im Rentenalter in einem sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis tätig, nach Recherchen des MDR waren das 30 Prozent mehr als 2017. Rund eine Million Rentner hatten einen sogenannten Minijob, dies entspricht einem Anstieg von fünf Prozent im gleichen Zeitraum. Auch wenn nicht alle von ihnen aus Geldmangel arbeiten: Altersarmut ist ein Massenphänomen. Einer aktuellen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und ­Jugend zufolge leidet fast ein Viertel der über 80jährigen unter Altersarmut.

In der vergangenen Legislaturperiode hat die Große Koalition mit der Einführung der Grundrente den Versuch unternommen, der Altersarmut entgegenzuwirken. Der Kreis der Bezugsberechtigten ist bei der Grundrente allerdings sehr begrenzt, unter anderem weil dafür 35 Erwerbsjahre erforderlich sind. Die neue Bundesregierung plant hier keine Verbesserungen, sondern verfolgt ein höchst fragwürdiges Projekt: die sogenannte Aktienrente, die ein Einstieg in die kapitalgedeckte Altersvorsorge sein soll. Heutzutage wird die Rente als Umlagesystem organisiert: Erwerbstätige und Arbeitgeber finanzieren zu gleichen Teilen die Auszahlungen für die, die im Ruhestand sind. Hinzu kommen staatliche Zuschüsse, auch weil die Rentenkassen gesellschaftliche Aufgaben finanzieren, etwa Waisenversorgung oder Reha-Leistungen. Das größte Problem bilden die immer weiter verbreiteten prekären Arbeitsverhältnisse, die keine oder nur geringfügige Einzahlungen für die Altersvorsorge zulassen.

Insbesondere in linken Medien wird die »Aktienrente« gerne als Projekt der FDP kritisiert, dabei stand sie auch in den Programmen zur Bundestagswahl von SPD und Grünen.

Das Umlagesystem wurde in den fünfziger Jahren unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) eingeführt. Damit verbunden war der Anspruch, dass die gesetzliche Rente zum Leben reichen soll. Mit der Rentenreform der rot-grünen Bundesregierung von 2002 wurde dieser Anspruch aufgegeben. Die Rentenansprüche wurden gekürzt. Bürger sollten private Altersvorsorge betreiben, um die Rentenabsenkung auszugleichen. Dazu wurde die staat­liche Förderung von betrieblicher Altersversorgung und die sogenannte Riester-Rente eingeführt. Gefreut hat sich darüber in erster Linie die Finanzwirtschaft, die kräftig verdient hat. Für ärmere Bürger ist es kaum möglich, die entstandenen Lücken mit privater Vorsorge auszugleichen. Denn sichere Geldanlagen an Kapitalmärkten verursachen nicht unerhebliche Kosten, die Anbieter von Verträgen ziehen von den Einzahlungen einen erheblichen Anteil für Provisionen und Verwaltungskosten ab.

Mit der Riester-Rente sollten die Bürger an den einst boomenden Kapitalmärkten beteiligt werden – kurz nach der Einführung war es mit dem Boom allerdings erst mal vorbei. Nach einigen Schwankungen sind die Börsenkurse derzeit auf einem Höhepunkt. Wohl auch deshalb baut die Ampelkoalition erneut auf die Kapitalmärkte. Dieses Mal wohl immerhin ohne Senkung der Renten. »Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben. Um diese Zusage genera­tionengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen«, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Dazu soll ein Fonds aufgelegt werden, der von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Einrichtung verwaltet werden und das Kapital global anlegen soll.

Insbesondere in linken Medien wird die »Aktienrente« dieser Tage gerne als Projekt der FDP kritisiert, allerdings stand sie auch in den Programmen zur Bundestagswahl von SPD und Grünen – genau wie in dem der Unionsparteien. SPD und FDP verwiesen dabei auf das Vorbild Schweden. Dort fließen seit einer Rentenreform Ende der neunziger Jahre 16 Prozent der Beiträge in eine gesetzliche Rente, 2,5 Prozent werden am Kapitalmarkt angelegt. Die Beschäftigten können selbst bestimmen, in welchen Fonds das Geld fließen soll. Die Hälfte der Arbeitnehmer investiert in den staatlichen Aktienfonds. Der legt bis zum 55. Lebensjahr das Geld der Versicherten in Aktien an, danach geht es Zug um Zug in festverzinsliche Papiere, weil die sicher seien. Einem Forschungsbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales von 2017 zufolge war die Rendite für die schwedischen Versicherten aus der staatlich organisierten kapitalgedeckten Rente höher als die der deutschen Riester-Rente, die zu einem erheblichen Teil staatlich gefördert, aber von privaten Finanzunternehmen betrieben wird. Einen wichtigen Punkt des schwedischen Modells übergeht die Bundesregierung allerdings, weil sie ihn nicht auf Deutschland übertragen will: In Schweden werden die Beiträge zur Rentenversicherung nicht wie hierzulande gleichenteils von Beschäftigten und Arbeitgebern gezahlt, vielmehr entrichten die Arbeitnehmer nur 40 Prozent der Beiträge und die Arbeitgeber 60 Prozent.

Die Ampelkoalition orientiert sich nur in der Frage der Geldanlage an Schweden. Sie hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Staat als ersten Schritt zehn Milliarden Euro an die Deutsche Rentenversicherung zahlt, die das Geld am Kapitalmarkt anlegen soll. Unklar ist, ob oder in welcher Höhe die Beitragszahler Geld in diesen Fonds stecken müssen. Auch weitere Details der »Aktienrente« sind noch unklar. Anders als das Umlageverfahren ist das Kapitaldeckungsprinzip riskant. Nach einem Börsenkrach etwa ist eine Menge Geld einfach weg. Wird Geld aber vergleichsweise sicher und mit Garantien angelegt, ist die Rendite gering, die Kosten fressen sie womöglich ganz auf.

Doch das Rentenkapitel im Koalitionsvertrag ist durchzogen von möglichen Neuerungen, die »Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen« versprechen; diese sollen auch der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge zugutekommen, also Betriebs- und Riester-Renten. Angesichts der hohen Notierungen des Deutschen Aktienindex und anderer Börsen scheint das verlockend, aber der nächste Crash kommt bestimmt. Einen wichtigen Punkt hat sich die neue Bundesregierung nicht vorgenommen, mit dem sie privat ­Altersvorsorgende hätte schützen können: ein Verbot von provisionsbasierter Beratung bei Geldanlageverträgen. Denn oft schwatzen sich als »Berater« ausgebende Verkäufer vor allem Ver­träge auf, an denen sie selbst viel verdienen, die aber für die Kunden nach­teilig sind – was die aber nicht oder erst zu spät durchschauen.