In Sachsen führen Rechtsextreme die Proteste gegen die Coronamaßnahmen an

Volk statt Impfung

Die Proteste gegen die Coronamaßnahmen in Sachsen sind eine ­völkische Mobilmachung.

Die Pandemie ist in Sachsen weiterhin außer Kontrolle. Die Siebentageinzidenz betrug in dem Bundesland am Montag 1 024,5 und die Krematorien sind im Dauerbetrieb. Während auf den Intensivstationen um das Leben von Covid-19-Patienten gekämpft wird, ziehen beispielsweise in Freiberg im Erzgebirge Coronaleugner am Krankenhaus vorbei und skandieren Parolen gegen die »Diktatur«. Proteste gegen die Coronamaßnahmen gibt es in Sachsen seit ­Beginn der Pandemie, mit der vierten Welle haben sie aber nochmals stark zugenommen. Am Montag vergangener Woche gab es an 82 Orten Versammlungen, nach Einschätzung des Demokratievereins Kulturbüro Sachsen nahmen an die 10 000 Menschen teil. Und kaum ein Ort, an dem nicht Neonazis mitlaufen oder gar die »Spaziergänge« anführen.

Zentraler Akteur der Protest­bewegung ist die Kleinstpartei »Freie Sachsen«, deren Führungsriege aus bekannten Rechtsextremen besteht.

Zentraler Akteur der Protestbewegung ist die Kleinstpartei »Freie Sachsen«, die erst im Februar im Erzgebirge gegründet wurde und sogar vom sächsischen Verfassungsschutz als »rechtsextremistisch« eingestuft wird. Ihre Führungsriege besteht aus bekannten Szenegrößen, darunter Martin Kohlmann, der Gründer der extrem rechten Wählervereinigung »Pro Chemnitz«, sowie der NPD-Stadtrat Stefan Hartung aus Aue.

Die Partei organisiere aber kaum eigene Demonstrationen, sondern diene vor allem als »Mobilisierungsplattform« für bereits bestehende lokale Proteststrukturen, sagt Steven Hummel vom antifaschistischen Leipziger Rechercheprojekt »Chronik LE« im Gespräch mit der Jungle World. Indem sie geplante Aktionen bewerbe und ihnen eine große Reichweite verschaffe, diene sie als politische Dachorganisation der diffusen Protestbewegung. Ihre Videos werden hundertfach geklickt und kommentiert, ihr Telegram-Kanal hat mittlerweile über 100 000 Abonnenten. Diese würden »auf einen drohenden Bürgerkrieg vorbereitet«, schrieb die Journalistin Kira Ayyadi in einem Beitrag auf Belltower News. Die Partei sei ein »Radikalisierungsbeschleuniger«.

Das stetig wachsende Aggressionspotential bei den Protesten scheint dieser Einschätzung recht zu geben. Der Erfolg der Partei »Freie Sachsen« in der Protestbewegung sei kaum verwunderlich, sagt Paul Zschocke von »Chronik LE« der Jungle World, denn »sie können an bereits vorhandene Verschwörungsmythen und Versatzstücke extrem rechter Ideologie anknüpfen«. Der einende Faktor ist eine sächsisch-ostdeutsche Identität, die sich gegen »die da oben«, den Westen und alles Fremde richtet.

Die Partei »Freie Sachsen« dockt an das völkische Mobilisierungspotential im Freistaat an. Viele Orte, die derzeit wegen den Coronaprotesten in den Schlagzeilen sind, waren bereits Zen­tren der rassistischen Protestwelle ­gegen Geflüchtete ab 2015, wie Freiberg, Schneeberg oder Bautzen. Damals wie heute ist der Protest in einen rechten Konsens eingebettet, der weit in das bürgerliche Lager hinein reicht: Gastronomen und Einzelhändler verkünden offen, die Coronamaßnahmen nicht einzuhalten; Bürgermeister schreiben Brandbriefe gegen die Absage der Weihnachtsmärkte an die Landesregierung; dazu kommen Politiker wie Holger Reuter (CDU), Vizeoberbürgermeister von Freiberg, der in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Verständnis dafür äußerte, »dass die Ungeimpften sich fühlen wie die Armenier damals in der Türkei, wo dann zum Teil eine Ausrottung stattfand«.

Wohl auch wegen dieses gesellschaftlichen Rückhalts ließ das von Roland Wöller (CDU) geführte Innenministerium die Demonstrationen weitestgehend gewähren – obwohl mehrfach die Polizei und in Zwickau auch ein Fernsehteam des MDR angegriffen wurden, Demonstranten in Zwönitz Mordauf­rufe gegen den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) skandierten und wegen der Pandemielage eigentlich nur Kundgebungen mit maximal zehn Personen erlaubt sind. Mit steigender Inzidenz und fortschreitender rechts­extremer Radikalisierung der Proteste wächst auch die Kritik am untätigen Innenminister Wöller; die Sächsische Zeitung bezeichnete ihn gar selbst als »Sicherheitsrisiko«.

Wie zum Beweis setzte Wöller bei der Innenministerkonferenz Anfang Dezember nicht die rechte Mobilmachung, sondern den »Linksextremismus« in Leipzig auf die Tagesordnung. »Die zunehmende Enthemmtheit, Gewaltbereitschaft und Entmenschlichung von politischen Gegnern der autonomen Szene ist besorgniserregend«, warnte er in einer Pressemitteilung – am Abend desselben Tags marschierten 30 Rechte mit Fackeln vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma auf. Kurz darauf deckten Journalisten des ZDF-Magazins »Frontal« auf, dass eine Gruppe aus dem Milieu der rechten Coronaleugner plante, Minister­präsident Kretschmer zu ermorden.

Seit dem Fackelmarsch bei Gesundheitsministerin Köpping ist deutlich mehr Polizeipräsenz bei den Protesten zu verzeichnen, mancherorts wurden die Aufzüge gar unterbunden. Trotzdem gingen am Montag wieder Tausende auf die Straße. Und statt Repression erwartet die rechten Protestler weiterhin Verständnis. Man müsse »jetzt erst recht sehr genau differenzieren zwischen Rechtsextremen, die unsere Demokratie zerstören wollen, und Menschen, die Sorgen haben, Kritik äußern oder den Dingen ablehnend gegenüberstehen«, sagte Kretschmer in der vorigen Woche dem Internetportal Web.de. Die gleiche verharmlosende Taktik bemühte die sächsische CDU schon bei den rassistischen Protesten ab 2015 (wofür der sächsische Ver­fassungsschutz eigens die Unterscheidung »asylfeindlich« und »asylkritisch« einführte). Das hierdurch beförderte Selbstbewusstsein im extrem rechten Milieu zeigt sich nun auf den Straßen.

Dass die rechtsextreme Ideologie nicht nur eine Gefahr für Menschen darstellt, die anders denken oder aussehen, lässt sich eindrucksvoll an einer Statistik ablesen: Während Sachsen nur 4,8 Prozent der bundesweiten Bevölkerung stellt, verzeichnete der Freistaat vergangene Woche 18 Prozent der Covid-19-Toten hierzulande. Eine Studie des Forschungsinstituts Gesellschaft­licher Zusammenhalt hatte bereits zuvor einen Zusammenhang zwischen hohen Infektionszahlen und hohen Wahlergebnissen für die AfD festgestellt. In Sachsen war die AfD bei der Bundestagswahl im September mit 24,6 Prozent stärkste Kraft geworden, zugleich sind hier laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Think Tanks »D-Part – Forschung für politische ­Partizipation« 28 Prozent der Meinung, dass die Pandemie ein einziger großer Schwindel sei. »Brücken zu bauen«, was Ministerpräsident Kretschmer nun als Antwort auf den rechten Wahn präsentiert, bedeutet daher, Nazis ein ­weiteres Mal die Hand zu reichen. Dabei ist es gerade die Brücke zwischen der sogenannten Mitte und der extremen Rechten, die dem Erfolg der völ­kischen Mobilmachung zugrunde liegt.