In Indien haben Bauern nach einem Jahr Protest ein Landwirtschaftsgesetz verhindert

Triumphale Rückkehr

Nach über einem Jahr enden die Bauernproteste in Indien. Die hindunationalistische Regierung hat die wichtigsten Forderungen erfüllt, doch profitieren davon vor allem wohlhabende Bauern.

Am Sonntag herrschte in Kairana, einem Dorf im Westen des indischen Bundesstaats Uttar Pradesh, Feierstimmung. Eine Menschenmenge erwartete die Rückkehr Rakesh Tikaits, einer der führenden Persönlichkeiten der indischen Bauernproteste. Wie Tikait kehrten am Wochenende Tausende Bauern und Bäuerinnen in ihre Dörfer zurück. Hauptsächlich aus den nordindischen Staaten Punjab, Haryana, Uttar Pradesh und Rajasthan stammend, hatten sie über 380 Tage lang die Straßen Neu-Delhis blockiert.

Damit endet eine der größten Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte. In Uttar Pradesh, dem mit einer Einwohnerzahl von etwa 230 Millionen bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens, ist die Freude über die erzielten Erfolge groß, aber es gibt auch weitere politische Debatten. Im Februar soll in Uttar Pradesh ein neues Parlament gewählt werden. Das Ende der Proteste hat somit direkten Einfluss auf den Wahlkampf.

Landlose Arbeitskräfte, die oft niedrigeren Kasten angehören, dürften von den Zugeständnissen wie Preisgarantien und billigem Strom kaum profitieren.

Bis zu 715 Menschen haben nach Angaben der Bauernorganisationen bei den Protesten ihr Leben gelassen, weil sie in extremer Hitze und Kälte auf der Straße ausharrten, aller staatlichen Repression zum Trotz. Das Ende des Protests hatte die Samyukta Kisan Morcha, der zentrale Verband der protestierenden Bauernorganisationen, ausgerufen, nachdem Premierminister Narendra Modi sich am 19. November öffentlich bei den Bauern für das umstrittene neue Landwirtschaftsgesetz entschuldigt hatte.

Dieses Gesetz ist nun vom Tisch; die Regierung hat den Bauernverbänden schriftlich zugesichert, dass es weiterhin staatlich garantierte Mindestabnahmepreise auf Lebensmittelmärkten für Güter wie Reis, Getreide und Zuckerrohr geben werde. Außerdem soll das Gesetz zur Stromversorgung geändert werden, um landwirtschaftliche Betriebe stärker zu subventionieren. Die Verbrennung von Resten der Aussaaten auf den Feldern – eine der wichtigsten Ursachen für Luftverschmutzung in Neu-Delhi – bleibt erlaubt. Alle Strafverfahren gegen die protestierenden Bauern werden eingestellt. Somit haben die Bäuerinnen und Bauern einen großen Teil der Forderungen durchsetzen können, die sie im vorigen Jahr erhoben hatten).

Wie haben es die Protestierenden geschafft, sich so lange gegen die Regierung zu behaupten und Erfolge zu erzielen, während andere Bewegungen, wie etwa die Proteste gegen das neue Staatsbürgerschaftsgesetz (CAA-NRC), ein rasches Ende fanden? Es waren nicht nur Spenden reicher Sikhs aus dem Ausland, vor allem Kanada und Großbritannien, die den Bauernverbänden halfen und insbesondere den Betrieb von Gemeinschaftsküchen ermöglichten. Wie der Agrarökonom Jens Lerche in seinen Analysen gezeigt hat, haben vor allem reiche Landeigentümer, die bis in die achtziger Jahre eng in die Regierung Indiens eingebunden waren, die Bewegung getragen. Mit wirtschaftsliberalen Reformbemühungen veränderte sich dies und die landwirtschaftliche Führungsschicht verlor an Einfluss. Es ist gut möglich, dass die Proteste ein Anzeichen neuer Kräfteverschiebungen im indischen Staat sind.

Viele spekulieren darüber, warum sich Modi und seine hindunationalistische Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) gerade jetzt entschieden haben, die Reformen zurückzunehmen. Beobachter gehen davon aus, dass es vor allem ein Gewaltausbruch in Lakhimpur Kheri im Bundesstaat Uttar Pradesh war, der eine für die Regierung bedrohliche Lage geschaffen hat. Dort war im Oktober der Sohn des indischen Innenministers Ajay Mishra Teni (BJP) mit seinem Auto in die Menge der Protestierenden gerast, wobei er vier Protestierende und einen Journalisten tötete; bei anschließenden Krawallen wurden drei weitere Menschen gelyncht. Als die Angeklagten Ashish und Ajay Mishra zunächst nicht vor Gericht erschienen, warf der Fall viele Fragen über Vetternwirtschaft, Korruption und ein Zweiklassensystem in der Justiz auf. Mitten im Wahlkampf, in dem die BJP ihre führende Position im Bundesstaat verteidigen muss, trifft die Partei ein derartiger Skandal empfindlich.

Auch deshalb war der Auftritt Tikaits in Kairana bedeutend. In dieser Region wird vor allem Zuckerrohr angebaut. Viele der anwesenden Bauern und Bäuerinnen wollten von Tikait wissen, wen er wählen werde. Aber Tikait hielt sich in seiner Rede bedeckt. »Niemand kann irgendjemandem vorschreiben, wie man zu wählen hat. Die Wählerinnen und Wähler sollten sich für die Partei mit dem besten Angebot entscheiden. Wenn die BJP bessere Marktpreise für Zuckerrohr und billigere Elektrizität anbieten kann, dann sollte sich jeder überlegen, ob er dafür stimmen würde«, sagte er am Sonntag.

Tatsächlich gilt Tikaits Rolle im Wahlkampf als entscheidend. Er ist gehört der dominanten und mehrheitlich konservativen Bevölkerungsgruppe der Jat an und hat als Anführer während der Bauernproteste an Einfluss in dieser Kastengruppe gewonnen. Allerdings hat nicht nur er sich vage über seine politischen Ziele bei dieser Wahl geäußert. Bis zur umstrittenen Agrarreform 2019 standen die meisten Jats der BJP sehr nahe. Nun aber tritt Tikait als Direktkandidat gegen Sanjeev Balyan, einen altgedienten Vertreter der BJP, an. Es ist also unwahrscheinlich, dass er sich eng mit der BJP ­verbünden wird; allerdings hat er sich auch nicht der Opposition angeschlossen.

Im multireligiösen, in viele Kasten unterteilten und sozial fragmentiertem Bundesstaat Uttar Pradesh müssen Kandidaten Allianzen mit anderen Gruppen schließen, um Wahlen zu gewinnen. Die BJP hat dies bei der vorigen Wahl 2017 geschafft und eine Allianz aus mehreren Gruppen geschaffen, darunter die Gujjars, Kashyaps und andere sogenannte OBCs (Other Backward Classes) sowie Dalits (Kastenlose). Dieser Zusammenschluss ist vor allem im Westen von Uttar Pradesh effektiv und beruht auf der kastenübergreifenden Hindutva-Ideologie, die unter anderem postuliert, dass Hindus Muslimen überlegen seien.

Es ist schwer, gegen diese Ideologie zu opponieren. Die BJP hat in den vergangenen Jahren ihre lokale Mobilisierung noch verstärkt. Aber gegen deren Dominanz treten nun zwei Parteien an – die Samajwadi Party unter der Führung des ehemaligen Chief Ministers von Uttar Pradesh, Akhilesh Yadav, und die Rashtriya Lok Dal unter Jayant Chaudhary, der selbst an den Bauernprotesten beteiligt war. Diese beiden Parteien hoffen auf die Stimmen der muslimischen Bevölkerung – und der Jats, denen damit eine Schlüsselrolle zukommt.

Die große Frage ist, ob Modi mit seiner Entschuldigung und den Zugeständnissen seine ehemaligen Anhängerinnen und Anhänger unter den Jats zurückgewinnen kann. Andere soziale Probleme scheinen hingegen derzeit eher zweitrangig zu sein. Akram Akhtar Choudhary, ein Gründungsmitglied der Nichtregierungsorganisation Afkar India, die sich vor allem für Belange marginalisierter Bevölkerungsgruppen einsetzt, bemängelt im Gespräch mit der Jungle World, dass Probleme der Muslime in dieser Auseinandersetzung kaum beachtet worden seien. Zudem weist er darauf hin, dass die Anführer der Bauernproteste sehr schnell bereit gewesen seien, die Forderungen nach der Freilassung politischer Gefangener anderer Proteste in den Verhandlungen mit der Regierung zurückzustellen. Dabei geht es vor allem um einen großen Teil derjenigen, die während der Proteste gegen das neue Staatsbürgerschaftsgesetz festgenommen wurden, sowie um 16 politische Gefangene, die sogenannte Gruppe BK-16, die sich in der Stadt Bhima Koregaon im Bundesstaat Maharashtra zur Jahreswende 2017/2018 auf einer Kundgebung für Dalits eingesetzt hatten.

Es lohnt sich also ein genauer Blick darauf, welche Forderungen im Abkommen zwischen Regierung und der ­Samyukta Kisan Morcha tatsächlich erfüllt sind und welche nicht; einige haben die beteiligten Gruppen selbst schnell fallengelassen. Diskussionen über eine Landreform, die innerhalb der Protestbewegung vor allem von Dalit-Aktivistinnen wie Nodeep Kaur vorangetrieben worden waren, haben nun ein abruptes Ende gefunden. Das ist vor allem für diejenigen ein herber Schlag, die bei den Protesten vielleicht nicht in erster Reihe standen, aber als landlose Arbeitskräfte in den Betrieben von Jats und Angehörigen anderer dominanter Gruppen beschäftigt sind. Angestellte, die oft niedrigeren Kasten angehören, dürften von Zugeständnissen wie Preisgarantien und billigem Strom kaum profitieren.

Es ist also noch unklar, wie das neue Gesetz zur Reform des Agrarsektors aussehen wird, und es ist derzeit unmöglich vorauszusagen, wie die Wahlen in Uttar Pradesh ausgehen und sich auf die neue Gesetzgebung auswirken werden. Aber bisher spricht alles dafür, dass sich für die Ärmsten der Bevölkerung wenig verbessern wird.