Die britische Regierung will die Rechte von Asylsuchenden weiter einschränken

Abschieben und ausbürgern

Die britische Regierung will das Asyl- und Einwanderungsgesetz verschärfen. Kritiker warnen vor Menschenrechtsverstößen.

Mehr als 25 000 Menschen sind dieses Jahr über den Ärmelkanal nach Großbritannien eingereist. Allein an einem Tag im November kamen mehr als 1 000 Menschen an. Im selben Monat kamen 27 Menschen bei einer Ärmelkanalüberquerung in einem Boot ums Leben. Die britische Regierung will die Flüchtenden in Zukunft abschrecken und es ihnen schwerer machen, auf der Insel Asyl zu beantragen.

Vorige Woche wurden im Unterhaus Änderungen der Nationality and Borders Bill debattiert; sie sind Teil der neuen Einwanderungspolitik der Regierung und sollen helfen, »das kaputte Asylsystem« zu reparieren, so das Innenministerium. Eine Analyse zeigt jedoch: Was die Regierung als »fair und effektiv« anpreist, erschwert Familienzusammenführungen und das Stellen von Asylanträgen.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren deswegen die Änderungen und warnen vor Menschenrechtsverletzungen. Amnesty International urteilte, dass das Gesetz »signifikante Hindernisse für Asylsuchende schafft und ihnen schadet«. Rechtsanwälte und Einbürgerungsrechtsexperten wiesen darauf hin, dass die Gesetzesänderungen gegen internationales Recht verstießen.

Eine Überfahrt Asylsuchender mit dem Boot könnte nach dem neuen Gesetz eine Gefängnisstrafe bis zu vier Jahren sowie eine Geldstrafe nach sich ziehen.

Die Gesetzesänderung sieht ein neues Asylsystem vor, in dem Asyl nur noch dann beantragt werden kann, wenn ein Flüchtender legal nach Großbritannien reist. Allen anderen Ankommenden sollen die in der UN-Flüchtlingskonvention festgeschriebenen Rechte nicht zugestanden werden. Wenn Migrantinnen und Migranten aus einem »sicheren Drittstaat« einreisen, können sie kein Asyl beantragen, sondern werden nach Möglichkeit in diesen Drittstaat deportiert. Diese Regel ist bereits seit Januar 2021 in Kraft und ersetzt die vorher geltende EU-Richtlinie, die dasselbe innerhalb der EU regelt.

Mit den geplanten Gesetzesänderungen sollen die Regeln aber weiter verschärft werden: Bis Migranten in den Drittstaat ausreisen können, sollen sie nach den Plänen der Regierung in Heimen verwahrt werden. Noch einschneidender ist, dass es kriminalisiert wird, ohne Erlaubnis ins Vereinigte Königreich einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Eine Überfahrt mit dem Boot könnte dann eine Gefängnisstrafe bis zu vier Jahren sowie eine Geldstrafe nach sich ziehen. Ein Asylantrag wäre in diesem Fall von vornherein unzulässig. Gleichzeitig sieht das neue Gesetz aber vor, dass Asylanträge nicht mehr von einem anderen Land aus gestellt werden können.

Geplant war zunächst auch, Asyl­suchende nach Albanien zu verbringen. Die britische Regierung hat erwogen, Ankommende innerhalb von sieben Tagen dorthin zu schaffen, um ihren Asylantrag dort zu bearbeiten. Die albanische Regierung sagt allerdings, ihr Land stehe für die Errichtung solcher »offshore centres« nicht zur Verfügung. Medienberichten zufolge sind auch Marokko, die Türkei, Ruanda und britische Überseeterritorien als Standorte für solche Zentren im Gespräch.

Tritt das neue Gesetz in Kraft, würde die britische Regierung außerdem dazu ermächtigt, Boote mit Flüchtenden im Ärmelkanal zur Umkehr zu zwingen. Falls die Grenzbeamten bei solchen »Pushbacks« gegen Gesetze verstoßen, soll dies nicht geahndet werden.

Die Änderungen der Nationality and Borders Bill betreffen aber nicht nur Asylsuchende, sondern auch britische Staatsbürgerinnen und -bürger. Denn die britische Regierung soll in Zukunft die Möglichkeit haben, bestimmten Personen ohne Vorwarnung die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Schon seit 2006 kann die britische Regierung jeder und jedem mit dualer Staatsbürgerschaft den Pass entziehen, wenn es »dem Gemeinwohl dient«. Und bei der Frage, worin dieses Gemeinwohl besteht, hat das Innenministerium einen erheblichen Ermessensspielraum. Möglich ist der Entzug der Staatsbürgerschaft unter anderem wegen Spionage, Terrorismus, Kriegsverbrechen und organisiertem Verbrechen; schon Terrorismus verherrlichende Reden können reichen. Das Vereinigte Königreich machte vom Recht auf Ausbürgerung Gebrauch: Durchschnittlich verlieren 19 Briten pro Jahr auf diese Weise ihre Staatsbürgerschaft. Die Zahl der Fälle stieg markant, als die spätere Premierministerin Theresa May Innenministerin war (2010–2016). Bis 2013 verloren insgesamt 17 Menschen die britische Staatsbürgerschaft, danach wurden es wesentlich mehr.

Bekannt ist der Fall von Shamima Begum, einer jungen Britin, die sich als Schulmädchen dem »Islamischen Staat« (IS) in Syrien anschloss. Sie wandte sich nach eigenen Angaben vom IS ab und wollte 2019 nach Großbritannien zurückkehren, durfte es aber nicht, obwohl sie dort geboren ist und nur die britische Staatsbürgerschaft hatte; diese wurde ihr vom Innenministerium entzogen. Seit 2014 können eingebürgerte Britinnen und Briten ausgebürgert werden, wenn sie nach Ansicht der britischen Regierung eine andere Staatsbürgerschaft erwerben können. Bangladesh, das Herkunftsland der Eltern Begums, verweigerte ihr ­jedoch die Einreise. Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs befand das Vorgehen der Innenministeriums im Februar 2021 für legal.

Das neue Gesetz sieht vor, dass die Staatsbürgerschaft auch ohne Vorwarnung entzogen werden kann. Wenn die britische Regierung die betroffene Person nicht erreichen kann, weil sie sich im Ausland oder in einem Kriegsgebiet befindet, oder wenn es im In­teresse der nationalen Sicherheit ist, müsste diese Person nicht über die bevorstehende Maßnahme informiert werden. Damit würde den betroffenen Personen ihr Recht vorenthalten, innerhalb von 28 Tagen Einspruch einzulegen.

Dem Innenministerium zufolge ist die britische Staatsbürgerschaft »ein Privileg und kein Recht«. Knapp sechs Millionen Menschen in England und Wales seien potentiell von dem neuen Gesetz betroffen, schreibt der New Statesman in einer Analyse. Nach der dritten Lesung im Unterhaus wurde das neue Gesetz mit 298 zu 231 Stimmen angenommen. Es muss nun noch im Oberhaus debattiert werden, die zweite Lesung soll Anfang Januar stattfinden.