Die AfD wählt eine neue Parteispitze

Richtung NPD

Die AfD will einen neuen Vorstand wählen. Notizen aus Neuschwabenland, Teil 47
Notizen aus Neuschwabenland Von

Am 11. Dezember hätte in Wiesbaden der Bundesparteitag der AfD stattfinden sollen. Doch am vergangenen Freitag wurde er abgesagt – wegen der Infektionsgefahr. Noch ist unklar, wann und wie er nachgeholt wird, doch die grundsätzlichen Fragen bleiben erhalten. Bei der AfD stehen Vorstandswahlen an, besonders die beiden Posten als Parteisprecher sind diesmal umkämpft. Jörg Meuthen, der sich das Amt bisher mit Tino Chrupalla teilte, wird nicht mehr zur Ver­fügung stehen. Der Ökonom galt den Medien als »gemäßigt«, wobei dieses Attribut im Hinblick auf die AfD ohnehin stets fragwürdig war. Mit seinem Ausscheiden verblasst deren letzter Anschein von »Bürgerlichkeit«.

Der Verzicht war zu erwarten: Meuthen hatte an seine Gegner immer mehr Terrain verloren. Es ist daher fraglich, ob ein Kandidat aus seinem Gefolge wie Rüdiger Lucassen, derzeit Landesvorsitz­ender in Nordrhein-Westfalen, realistische Chancen auf Meuthens Posten hat. Lucassen hat schon seinen eigenen Landesverband kaum im Griff. Sein Stellvertreter Matthias Helferich musste nach dem Einzug in den Bundestag auf die Fraktionszugehörigkeit verzichten, da er zu offen mit NS-Bezügen kokettiert hatte.

Schon als die Partei im Sommer entschied, Alice Weidel und Chrupalla zum Spitzenduo des Wahlkampfs zu küren, scheiterte Meuthen mit dem Wunsch, verschiedene Strömungen in der Parteiführung zu repräsentieren. Chrupalla und Weidel waren im Bundestagswahlkampf die Talkshow-Gesichter der AfD, anschließend wurden die beiden an die Spitze der neuen AfD-Bundestagsfraktion gewählt, wobei Chrupalla Alexander Gauland ersetzte. Weidel hat sich längst der äußersten Parteirechten angepasst, ist dort jedoch noch immer unbeliebt. Es gab Versuche, die Doppelkandidatur zu verhindern und Chrupalla alleine an die Fraktionsspitze zu setzen. Ein ähnliches Manöver wäre auch auf dem Bundesparteitag möglich; es ist nicht sicher, dass die Parteiführung das Modell Doppelspitze beibehält. Das könnte Weidel das Amt der Parteisprecherin kosten.

Alexander Gauland bleibt indessen auch als AfD-Ehrenvorsitzender rege. In der Tageszeitung Die Welt betonte er erst kürzlich die Attraktivität der AfD für CDU und CSU in der Opposition. Sollte sich die Ampelkoalition als erfolgreich erweisen, habe »die Union für lange Zeit keine Regierungsoption mehr – es sei denn, sie fasst eine Kooperation mit uns ins Auge«. Allerdings seien zuvor einige Revisionen notwendig, man müsse »all dasjenige, was Frau Merkel in der CDU beiseite geräumt hat, klug in die Diskussion einbringen«. In CDU und CSU gebe es ja »viele, die denken, dass so etwas die Union früher selbst gesagt hat. Wir müssen also mit Anträgen, die auch ein bestimmter Kreis von CDU-Leuten stellen könnte, den Spaltpilz in die Union tragen.« Das klingt eher nach Erbstreit als nach Partnerschaft, und ob dieses Konzept ohne den Meuthen-Flügel erfolgreich sein kann, ist fraglich. Selbst Friedrich Merz, die ewige Rechtsaußenhoffnung der Union, ist als Transatlantiker für die AfD kein Traumpartner.

Eine »Mäßigung« seiner Partei wünscht sich auch Gauland nicht. Im Gegenteil, die »Zuspitzung« von Themen wie Einwanderung sei für ihren Erfolg unverzichtbar. Auf die Frage nach seinem Wunschkandidaten für Meuthens Nachfolge nannte er den bayerischen Bundestagsabgeordneten Peter Boehringer. Dieser hätte als Integrationsfigur tatsächlich Chancen. In seinem Landesverband hat der völkisch-nationale Parteiflügel großen Einfluss. Zugleich ist Boehringer in der Vergangenheit als Autor der rechtslibertären Zeitschrift Eigentümlich frei sowie des Kopp-Verlags und als Verbreiter von Verschwörungslegenden aufgefallen. Er ist Finanzpolitiker und wie Weidel Mitglied der rechtslibertären Hayek-Gesellschaft, ein scharfer EU-Gegner und gehört zur »Gold-Fraktion«, die das Edelmetall als einzig sichere Wertanlage sieht.

Boehringers Herkunft aus dem Westen ist Chance und Manko zugleich. Die altbundesrepublikanischen Landesverbände sind stark krisengebeutelt. Über die Maßen lähmen hier parteiinterne Querelen und Machtkämpfe die Arbeit; der Berliner Landesverband, der eher zu den westlichen zu rechnen ist, darf aufgrund von Unregelmäßigkeiten nicht mal Delegierte zum Parteitag entsenden. Angesichts der desolaten Zustände der Parteiverbände im Westen wird es möglicherweise Rufe nach einem noch größeren Einfluss der Ost-Verbände geben.

Bei diesem Thema fällt schnell der Name des thüringischen AfD-Landessprechers Björn Höcke. Im parteinahen Magazin Compact warb Hans-Christoph Berndt, der Vorsitzende der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion, schon für dessen Wahl in den Bundesvorstand. Allerdings musste sich Höcke noch nie außerhalb von Thüringen bewähren, ein Scheitern würde seinen Nimbus als Lichtgestalt der nationalen Wiedergeburt gefährden. Das macht den möglichen Sprung an die Bundesspitze riskant.

Bei der Zeitschrift Sezession und den »Identitären« würde man einen Aufstieg Höckes zwar begrüßen, schließlich ist er mit diesem Milieu eng verbunden, doch verfügt man dort auch jetzt schon über genug Kanäle zur AfD. Gerade erst wurde in Hessen Andreas Lichert zum Co-Landesvorsitzenden gewählt. Er kommt aus dem Kubitschek-Kreis, war am Aufbau der »Identitären Bewegung« beteiligt und als Mann von Höckes »Flügel« bekannt. Auch diese Wahl zeigt, dass Sorgen um das Image längst keine Rolle mehr spielen.

An der Entwicklung der Partei zu einer Art NPD im Großformat wird auch der nächste Parteitag nichts ändern. Die Formel, die AfD sei »zwei Parteien in einer«, trifft längst nicht mehr zu. Es geht nur um Nuancen – darum, welche ultrarechte Fraktion sich durchsetzt.