Der mutmaßliche Mord an dem belarusischen Antirassisten Schischow

Ein ungeklärter Tod in Kiew

Der Tod eines belarussischen Flüchtlings in Kiew schürt die Angst vor Repression des Lukaschenko-Regimes im Ausland. Doch Spuren führen auch ins Neonazimilieu.

Weltweit protestierten am Montag Menschen gegen die belarussische Regierung. Vor einem Jahr hatte die Fälschung der Präsidentschaftswahlen landesweite Unruhen ausgelöst, auf die der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko mit brutaler Repression reagierte. Hunderte forderten nun in Warschau seinen Rücktritt und freie Wahlen. Auch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gab es am Sonntag eine Protestkundgebung. Doch diese wurde überschattet von dem nur wenige Tage zurückliegenden Tod eines jungen Belarussen.

Der 26jährige Witalij Schischow war im vergangenen Jahr nach Kiew gezogen, nachdem er sich in Belarus an Protesten beteiligt hatte. In Kiew war er einer der Leiter der Organisation Belarussisches Haus, die Hilfe für Flüchtlinge und Exilanten aus Belarus organisierte. Am Dienstag vergangener Woche fand man ihn erhängt in einem Wald nahe seiner Kiewer Wohnung. Die Polizei teilte mit, sie ermittele auch wegen der Möglichkeit eines Mordes. Sie seien »immer wieder vor allen Arten von Provokationen bis hin zu Entführungen und Liquidierungen gewarnt worden«, schrieb das Belarussische Haus auf Telegram.

Bei dem Solidaritätsmarsch für die Opposition in Belarus am Sonntag in Kiew kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Anarchisten.

In der belarussischen Diaspora sorgte Schischows Tod für Besorgnis. Im Mai hatte die Verhaftung des oppositionellen Bloggers Roman Protasewitsch, der sich in einem Flugzeug nach Litauen befand, das in Minsk zur Landung gezwungen wurde, gezeigt, dass die belarussische Regierung auch im Ausland lebende Oppositionelle bedroht. Viele wiesen jetzt darauf hin, dass die Propaganda des belarussischen Regimes im Fernsehen Bilder von Oppositionellen und anderen »Verrätern« neben einem Strick zeigt, um zu suggerieren, diese verdienten den Tod. »Es ist besorgniserregend, dass die Menschen, die aus Belarus fliehen, immer noch nicht ­sicher sind«, schrieb Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja auf Twitter.

Schischow hatte wie Tausende andere Belarussen im vergangenen Jahr das Land verlassen. Viele gingen in die Ukraine, wo sich, unterstützt von der belarussischen Diaspora, Organisationen zu ihrer Unterstützung bildeten (Raus aus Belarus). Eine solche Organisation ist auch das Belarussische Haus, das Schischow mitbegründete und leitete.

Die Hintergründe seines Todes sind bisher unklar. Christo Grozev von der Recherchegruppe Bellingcat sagte am Dienstag voriger Woche im Interview mit dem russischen Radio Echo Moskwy, er habe Hinweise, dass Agenten des russischen Geheimdiensts FSB die belarussische Diaspora in Kiew infiltriert hätten. Bellingcat werde versuchen, die Hintergründe von Schischows Tod aufzuklären.

Schischows Tod warf auch ein Schlaglicht auf Neonazistrukturen im Belarussischen Haus. Schischow trat selbst öffentlich wenig in Erscheinung. Der andere Leiter und das öffentliche ­Gesicht des Belarussischen Hauses war Rodion Batulin, ein gebürtiger Belarusse und MMA-Kämpfer mit Verbindungen zum rechtsextremen Regiment  Asow, einem militärischen Freiwilligenverband, der derzeit der ukrainischen Nationalgarde untersteht. Batulin hielt sich zum Zeitpunkt von Schischows Tod in der EU auf. Der Inlandsgeheimdienst der Ukraine, SBU, hatte ihm bereits im Juli ein Rückreiseverbot erteilt, weil er eine »Gefahr für die nationale Sicherheit« darstelle.

Wie die ukrainische Online-Zeitung Zaborona berichtete, nahm im November der belarussische Neonazi Sergej Korotkich an einem öffentlichen Protest des Belarussischen Hauses teil. ­Korotkich hat keine offizielle Verbindung zu der Organisation, doch wie Batulin ist er Veteran des Regiment Asow, beide arbeiteten seitdem eng ­zusammen. Verschiedenen Medienberichten zufolge unterstützte Korotkich die Arbeit des Belarussischen Hauses. Er war in Russland einer der Mitbegründer der 2010 verbotenen National-Sozialistischen Gesellschaft, aus deren Reihen 13  Mitglieder wegen zahlreicher Morde verurteilt wurden. 2014 wurde er ukrainischer Staatsbürger, ein Foto zeigt ihn dabei mit dem lächelnden ­damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Er hatte Verbindungen zum im Juli zurückgetretenen Innenminister Arsen Awakow, arbeitete bis 2017 für die Polizei und war ein führender Kopf des Nationalkorps, der Partei der Asow-Bewegung.

Zaborona zufolge war auch Batulin in der Vergangenheit an zahlreichen gewalttätigen Aktionen rechtsextremer Gruppen beteiligt. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Belarussischen Hauses und verschiedenen rechtsex­tremen Organisationen hatte er im Juli gegen den belarussischen Anarchisten Aleksej Bolenkow demonstriert, für den, weil ihm die Abschiebung nach Belarus drohte, insbesondere die linke Szene Kiews Solidaritätsproteste organisiert hatte.

Am Sonntag veröffentlichte das oppositionelle belarussische Online-Medium Reformation eine Recherche über die Arbeit des Belarussischen Hauses in Kiew. Demnach hätten Korotkich und Batulin die Organisation kontrolliert. »Viele Menschen versuchen jetzt in der Ukraine, sich mit dem Thema Belarus zu profilieren, Einfluss und Verbindungen zu erhalten und Geld zu verdienen«, warnt Reformation. Aus Angst hätten sich viele lange mit öffentlicher Kritik zurückgehalten, auch weil Korotkich sowohl in seiner Zeit in Russland als auch in der Ukraine verschiedene Mordtaten vorgeworfen wurden. Die russische Zeitung Nowaja Gaseta veröffentlichte unterdessen Hinweise, dass Korotkich zumindest als Informant für russische Geheimdienste ­gearbeitet habe.

Bei dem Solidaritätsmarsch für die Opposition in Belarus am Sonntag in Kiew gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Anarchisten. Wie die belarussische anarchistische Organisation Pramen später auf ihrem Telegram-Kanal schrieb, sei sie von Getreuen Korotkichs und Mitgliedern verschiedener Nazigruppen angegriffen worden. »Den Nazis missfiel die Anwesenheit eines Banners von Pramen, weil wir über unsere Kanäle Untersuchungen über Sergej Korotkich und seine Verbindungen zum Belarussischen Haus veröffentlicht haben«, so Pramen auf Telegram.