Bei antiisraelischen Demonstrationen kam es zu Ausschreitungen

Antisemitische Ausschreitungen

Wie befürchtet fanden am vergangenen Wochenende zahlreiche antisemitische Demonstrationen in deutschen Städten statt. Israelfahnen brannten, es kam zu Ausschreitungen. In vielen Städten gab es aber auch Kundgebungen gegen Antisemitismus und für die Solidarität mit Israel.

Die Reaktionen in Deutschland ließen nicht lange auf sich warten. Als palästinensische Terroristen am Montagabend vergangener Woche damit begannen, Israel mit Raketen zu beschießen, versuchten Unbekannte noch am selben Abend in Düsseldorf, die Gedenktafel für eine ehemalige Synagoge in Brand zu setzen. Am nächsten Abend wurden vor den Synagogen in Bonn und Münster die ersten Israelflaggen angezündet. Eine Gruppe von etwa 180 Demonstrierenden versuchte am Mittwochabend in Gelsenkirchen unter »Scheißjuden«-Rufen, zur dortigen Synagoge vorzudringen, konnte aber von der Polizei aufgehalten werden. Bei einer angemeldeten Demonstration am selben Abend in Hannover hinderten die Beamtinnen und Beamten zwei Teilnehmende da­­ran, Israelflaggen anzuzünden. In Würzburg wurde eine vor dem Landratsamt gehisste israelische Fahne stark beschädigt.

Für Juden und Jüdinnen war es in den vergangenen Tagen noch gefähr­licher als ohnehin, sich öffentlich als solche zu erkennen zu geben.

Zu solchen Szenen konnte es in anderen Städten nicht einmal kommen: Hagen entfernte die zum Jahrestag der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen vor dem Rathaus aufgezogene Fahne mit dem Davidstern mit der Be­gründung, einer dringenden Aufforderung der Polizei zu folgen und für eine »Deeskalation in einer sich möglicherweise zuspitzenden Situation« zu sorgen. In Gladbeck lehnte Bürgermeisterin Bettina Weist (SPD) den Vorschlag der Jungen Union ab, die Israelfahne zu hissen, um »den Konflikt nicht in unsere Stadt hineinzutragen«.

Schon lange waren für den 15. Mai, den »Nakba-Tag«, bundesweit in verschiedenen Städten, darunter Stuttgart, Mannheim, Köln und Leipzig, Kundgebungen und Demonstrationen geplant. Der »Tag der Katastrophe« soll vordergründig an die Flucht und Vertreibungen der Palästinenser im Zusammenhang mit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 erinnern, zielt jedoch auf die Delegitimierung der israelischen Staatsgründung.

Der starke Beschuss Israels durch die palästinensischen Terrororganisationen Hamas und Islamischer Jihad hat in diesem Jahr pünktlich zum Gedenktag eine Eskalation ausgelöst, wie es sie seit 2014 nicht gegeben hatte. Damals reagierte Israel auf Angriffe der Terroristen mit einem Einmarsch in Gaza, um Raketenstellungen, Tunnelanlagen und militärische Infrastruktur zu zerstören.

Vor allem in Berlin war es im Laufe der Demonstrationen zu teils schweren Auseinandersetzungen und Straßenschlachten gekommen. An der größten von insgesamt fünf angemeldeten Demonstrationen nahmen der Polizei zufolge etwa 3500 Menschen teil, darunter auch viele Frauen, Kinder und Jugendliche. Unter den zahlreich wehenden Palästina- und Türkeiflaggen und zur Schau gestellten Kufiya-Tüchern brach sich der Antisemitismus offen Bahn: Teilnehmer der nach we­nigen Hundert Metern von der Polizei aufgelösten Demonstration begrüßten die Raketenangriffe auf Israel, forderten die »Beschießung Tel Avivs«, eine »Intifada« oder die »Befreiung« Palästinas »vom Jordan bis zum Mittelmeer«. Auch die Parole »Chaibar, Chaibar, ihr Juden, Mohammeds Heer kommt bald wieder« wurde auf Arabisch skandiert – sie erinnert in der islamischen Geschichtsschreibung an die gewaltsame Eroberung einer von Juden besiedelten Oase im Jahr 628.

Durch Stein-, Flaschen- und Böllerwürfe wurden Polizeiangaben zufolge knapp 100 Beamtinnen und Beamte verletzt; diese setzten Pfefferspray ein, es kam zu zahlreichen Festnahmen. Auch nicht wenige Demonstranten wurden durch die geworfenen Gegenstände verletzt. An teilweise heftigen Diskussionen unter den Teilnehmenden ließ sich erkennen, dass keineswegs alle eine Straßenschlacht für die beste Taktik im Kampf gegen den »Apartheidstaat« hielten.

Auch anderswo bestimmten antisemitischen Parolen und vollkommenes Fehlen von Kritik am palästinensischen Terror das Bild. »Kindermörder Israel« und Genozidvorwürfe waren auf den meisten Demonstrationen ebenso zu hören wie »Allahu Akbar«. Die Vernichtung Israels wurde auf allen Veranstaltungen mehr oder weniger direkt gefordert, was zum Teil mit der treuherzigen Beteuerung einherging, man ha­be nichts gegen Juden und sei auch nicht antisemitisch. Eine Mitteilung der BDS-affinen Gruppe »Palästina spricht«, die sich gegen Antisemitismus, aber gegen den »zionistischen Apartheidstaat Israel« und für ein »freies Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss« aussprach, teilten auf Twitter viele linke und Antifagruppen zustimmend.

Neonazis schlossen sich, anders als 2014, den antiisraelischen Demonstrationen offenbar nicht an. Mit wenigen Ausnahmen bestimmten Muslime und migrantische Rechtsextreme wie Anhänger der Grauen Wölfe oder Sympathisanten von Terrorgruppen wie der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« die Aufmärsche. Unterstützung erhielten die antiisraelischen Demonstrationen in einigen Städten in überschaubarem Maße von Antiimperialisten; vertreten waren zum Beispiel die MLPD und der Jugendverband Solid der nordrhein-westfälischen Linkspartei, der damit seine langjährige Agitation gegen den »israelischen Staatsterror« fortsetzte. Anders der Leipziger Ableger des Jugendverbands der Partei »Die Linke«: Dieser verurteilte den Terror der Hamas und solidarisierte sich auf einer Gegendemonstration mit Israel.

Weil auf vielen Demonstrationen gegen die Coronaregeln verstoßen wurde, löste die Polizei unter anderem in Hamburg, Köln und Berlin die Versammlungen nach kurzer Zeit auf. Anders in Bochum, wo eine heillos überforderte Einsatzleitung nicht einmal den ernsthaften Versuch unternahm, auf die Einhaltung von Abstandsregeln zu dringen.

Für Juden und Jüdinnen war es in den vergangenen Tagen noch gefährlicher als ohnehin, sich öffentlich als solche zu erkennen zu geben. Es musste damit gerechnet werden, dass jüdische Einrichtungen Ziel von Angriffen werden.

Aber auch wenn am Wochenende, wie bereits 2014, in den Städten widerwärtigste antisemitische Ausfälle zu erleben waren, unterscheidet sich die Situation von der damaligen. 2014 gab es anfangs als Reaktion auf die antisemitischen Aufmärsche nur wenige und sehr schlecht besuchte israelsolidarische Kundgebungen. Nicht selten versammelten sich gerade einmal ein Dutzend Menschen aus der israelsolidarischen linken Szene in einer Fußgängerzone und protestierten mit ein paar Israelfahnen gegen Antisemitismus. Das hat sich geändert: In Gelsenkirchen demonstrierte schon am Freitag voriger Woche das Bündnis gegen Antisemitismus vor der Synagoge. Fast 200 Menschen kamen, geschützt von einem großen Polizeiaufgebot, um gegen den nur knapp verhinderten Angriff auf die Synagoge zu protestieren. In Bonn organisierten Bürger eine Stuhlwache vor der Synagoge: Rund um die Uhr nahm dort jemand auf einem Stuhl platz, um sie symbolisch zu beschützen.

In Berlin, Trier, Leipzig, München, Frankfurt, Mannheim, Bochum, Münster, Hannover, Kassel, Osnabrück, Flensburg und anderen Städten gab es Kundgebungen gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel, an denen zum Teil mehrere Hundert Menschen teilnahmen. Die Bereitschaft, sich gegen Juden- und Israelhass zu stellen, ist in den vergangenen sieben Jahren offenbar deutlich gestiegen, bleibt aber leider noch immer vergleichsweise gering. Die Zahl derjenigen, die gegen Israel demonstrierten und ihren Antisemitismus offen auf die Straße trugen, war um ein Vielfaches höher.

Was ausblieb, war der große Aufschrei, die Solidarisierung mit Israel und den Juden in der Bundesrepublik. Es ist unwahrscheinlich, dass die Welle antisemitischer Proteste und Aktionen ihren Höhepunkt schon überschritten hat. Sollte der Terror gegen Israel weitergehen, wird sich das Land auch weiter militärisch wehren. Die unausweichlichen zivilen Opfer dieses von der Hamas angezettelten Konflikts auf palästinensischer Seite werden gegen Israel instrumentalisiert. Und dies bedeutet für die Juden in Europa und Deutschland, dass es für sie immer gefährlicher wird.