Der revolutionäre 1. Mai in Berlin hat ein Antisemitismusproblem

Neue Gruppen, alte Probleme

Das Berliner 1.-Mai-Bündnis will sich für migrantische Kämpfe öffnen. Gestärkt werden dadurch aber auch antizionististische und antisemitische Positionen.

Es soll ein Berliner 1. Mai werden, der nicht nur im Zeichen der Arbeit steht, sondern auch migrantische Kämpfe als Teil des Alltags in Kreuzberg und Neukölln abbildet. Das zumindest behauptet der Aufruf für den diesjährigen »revo­lutionären 1. Mai«. Dafür wurde die Organisationsstruktur des Bündnisses erneuert, das traditionell die große autonome Kreuzberger Demonstration vorbereitet. Mehrere migrantische Gruppen sind dazugekommen, die auch als erster Block die Demonstration anführen sollen.

Zwar loben viele Berliner Linke diese Entwicklung, allerdings stellt sich zum wiederholten Mal die Frage nach dem Antisemitismus im Bündnis und auf der Demonstration – angesichts der Teilnahme antiimperialistischer Gruppierungen an dem Bündnis, die in den vergangenen Jahren linken Antisemitismus geradezu zelebrierten.

Nachdem in sozialen Medien vorsichtige Kritik geäußert wurde, hat das Bündnis reagiert: Über Nacht wurden zwei jüdische Gruppen in das Bündnis aufgenommen, die Jewish Antifa Berlin und der Jüdische Antifaschistische Bund.

2016 eskalierte die Situation und es kam zu gewalttätigen Übergriffen aus dem antiimperialistischen Block gegen drei Personen, die am Rande der Demonstration mit einem Israelfähnchen symbolisch gegen den virulenten Antizionismus des Bündnisses protestierten. Die Veranstaltenden in diesem Jahr geben an, dass die Positionierung gegen Antisemitismus eine Selbstverständlichkeit sei. Das ist jedoch mit Blick auf die Gruppen anzuzweifeln, die für die Erneuerung des Bündnisses stehen: Young Struggle, Palästina spricht, Bloque Latinoamericano und Migrantifa Berlin. Diese Gruppen sind durch Hass auf Israel aufgefallen und unterstützen teilweise die BDS-Kampagne.

Die Gründung von »Palästina spricht« war eine unmittelbare Reaktion auf die parteiübergreifende Resolution des Bundestags gegen die BDS-Kampagne im Mai 2019, der diese als antisemitisch verurteilte. »Palästina spricht« sah dadurch die Meinungsfreiheit von Palästinensern bedroht und setzte die Resolution mit der Legitimierung von »Verbrechen gegen die Mensch­lichkeit« gleich, die Israel angeblich begehe.

An ihren Protesten war auch Bloque Latinoamericano mit eigenen Transparenten beteiligt. Diese Gruppe, die sich Ende 2018 gründete und sich insbesondere lateinamerikanischen und fe­ministischen Kämpfen widmet, unterstützte 2019 sogar eine Initiative, die sich zur Unterstützung der ehemaligen PFLP-Terroristin Rasmea Odeh gegründet hatte, die sich an einem tödlichen Bombenanschlag auf einen Jerusalemer Supermarkt beteiligt hatte.

Die Migrantifa Berlin hat sich im April 2020 gegründet. Ihre Position zu den verschiedenen innerlinken Konflikten ist noch nicht klar, allerdings haben auf Kundgebungen, die sie organisiert hat, bereits mehrfach Gruppen gesprochen, die Israel als Kolonial- und Apartheidstaat verurteilen. Zudem sind in diesen Gruppen Personen organisiert, die an dem Übergriff 2016 beteiligt waren.

Auch das Mobilisierungsplakat des Bündnisses spiegelt Ignoranz gegen Formen des linken Judenhasses wider. Das zentrale Motiv des gezeichneten Plakats ist eine woman of color mit geballter Faust, die sich aus einem Wimmelbild mit linken Ikonen wie Karl Marx, Michail Bakunin, Angela Davis und Rudi Dutschke erhebt. Nun wäre der Eklektizismus, der in der Aneinanderreihung sich teilweise widersprechender linker Strömungen liegt, ein unfreiwillig charmantes Bild für die Unterschiedlichkeit der am 1. Mai Protestierenden. Allerdings finden sich auf dem Plakat auch Zeichnungen, die die PFLP-Terroristin Leila Khaled und einen Pestdoktor darstellen. Khaled wurde als Kommandantin eines Kommandos, das eine Passagierflugzeug entführte, am 29. August 1969 bekannt. 2017 verglich sie bei einer Rede im EU-Parlament Handlungen Israels gegen Palästinenser mit dem Holocaust.

Weniger bekannt dürfte das Bild des Pestdoktors sein. Solche Doktoren waren in der frühen Neuzeit unterwegs, um Opfer der Pest zu behandeln. Neben bodenlangen Mänteln trugen sie häufig schnabelartige, spitz zulaufen­de Masken, mit denen sie sich vor der Krankheit schützen wollten. Im Rahmen der Coronaproteste tauchen bei verschwörungsideologischen Aufzügen von »Querdenkern« und anderen Pandemieleugnern immer wieder als Pestdoktoren Verkleidete auf.

In Berlin nimmt der ehemalige NPD-Kommunalpolitiker Maik Schneider öfter in einer derartigen Kostümierung an den Versammlungen teil, zuletzt am 10. April auf einer Demonstration durch Berlin-Spandau. Er wurde wegen eines Brandanschlags auf eine geplante Unterkunft für Geflüchtete im brandenburgischen Nauen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, befindet sich derzeit aber wegen Verfahrensfehlern und damit verbundenen Verzögerungen im Prozessablauf auf freien Fuß. Auch wenn die historische Figur des Pestdoktors an sich nicht antisemitisch ist, wirkt doch ihre Verwendung auf einem linken Plakat deplatziert und ignoriert die aktuellen Verwendungen ­in verschwörungsideologischen und rechten Bewegungen.

Nachdem in sozialen Medien vorsichtige Kritik geäußert wurde, hat das Bündnis reagiert: Über Nacht wurden zwei jüdische Gruppen in das Bündnis aufgenommen, die Jewish Antifa Berlin und der Jüdische Antifaschistische Bund. Ersteres ist eine Gruppe von radikal antizionistischen Juden, vor allem Israelis, die, wann und wo immer es gegen den jüdischen Staat geht, besonders lautstark mit dabei sind, wie die Jüdische Allgemeine die Gruppe charakterisierte. Bei dem Jüdischen Antifaschistischen Bund handelt es sich offenbar um eine Neugründung; zumindest ist die Gruppe auf Facebook und Twitter erst seit dem 9. April aktiv, eine Web­site gibt es nicht. Auch diese beiden Gruppen sollen im migrantischen Block an der Spitze der Demonstration laufen. Jüdische BDS-Unterstützer ­sollen das Bündnis damit gegen Kritik immunisieren.