Die nach den Kommunal­wahlen neu gebildete französische Regierung steht weiter rechts als die alte

Ein Schritt nach rechts

Nach dem schlechten Ergebnis der in Frankreich regierenden Partei La République en Marche bei den Kommunalwahlen wurde vergangene Woche eine neue Regierung vorgestellt. Feministinnen protestieren gegen den neuen Innenminister, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird.

Eigentlich hat der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy sich ins Privatleben zurückgezogen, nachdem sein Comeback 2016 gescheitert war. Nun erlebt er so etwas wie eine politische Auferstehung. Zahlreiche Kommentatoren machten darauf aufmerksam, dass sowohl der neue Premier­minister der am Montag voriger Woche umgebildeten französischen Regierung, Jean Castex, als auch deren Innenminister, Gérald Darmanin, Sarkozy nahestehen. Castex trat unmittelbar vor seiner Ernennung aus der konservativen Partei Les Républicains (LR, vormals UMP) aus. Darmanin ist Mitglied der regierenden Partei La République en Marche (LREM). Nach deren schlechtem Ergebnis bei den Kommunalwahlen am 28. Juni war das Kabinett am vorvergangenen Freitag zurückgetreten.

Castex diente unter Sarkozys Präsidentschaft (2007–2012) unter anderem als stellvertretender Generalsekretär des Elysée-Palasts; diesem Amt entspricht in Deutschland etwa das eines stellvertretenden Kanzleramtsministers. Der Öffentlichkeit war Castex bis vor kurzem weitgehend unbekannt. Das änderte sich erst, als Präsident Emmanuel Macron (LREM) ihn Anfang April zum Sonderbeauftragten für die angestrebte Lockerung der Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie ernannte.

Darmanin, der ab 2017 Haushaltsminister war, ist etwas bekannter. So fiel auf, dass viele seiner Auftritte frappierend an die Sarkozys in dessen Jahren als Innenminister erinnern. Sarkozy hatte dieses Amt mit einer Unterbrechung von 2002 bis 2007 inne. Damals war er um maximale öffentliche Aufmerksamkeit bemüht. Medienwirksam gab er den Hardliner in Sachen law and order und bereitete seine Präsidentschaftskandidatur vor. Ähnliches traut man nun Darmanin zu. Dieser begab sich in der Nacht zum 9. Juli vor laufenden Kameras zu Polizeikräften im Pariser Stadtteil La Chapelle. Sarkozy verbrachte im Jahr seiner erstmaligen Ernennung zum Innenminister seinen Urlaub mit Frontbesuchen bei Polizeieinheiten.

Es ist nicht schwer, in Darmanin einen Wiedergänger Sarkozys zu erkennen. Doch es geht schlimmer. Sarkozy wurde der illegalen Wahlkampffinanzierung beschuldigt, eines gewissermaßen branchenüblichen Vergehens. Gegen Darmanin gibt es wesentlich schwerwiegendere Anschuldigungen. Feministinnen protestierten vorige Woche mehrere Tage hintereinander zu Tausenden in Paris und anderen Städten gegen Darmanins Ernennung. Ein Slogan lautete: »Ihr wischt euch mit ­unseren Strafanzeigen den Hintern ab!« Zwei Frauen erheben seit mehreren Jahren Vergewaltigungsvorwürfe gegen Darmanin.

Beide hatten sich mit einem Anliegen an ihn gewandt. Der einen Frau sollte er 2015 in seiner Funktion als Bürgermeister im nordfranzösischen Tourcoing helfen, eine Wohnung zu finden und im kommunalen Öffentlichen Dienst angestellt zu werden. Ein Ermittlungsverfahren gegen Darmanin wurde 2018 eingestellt. Die andere Frau bat den Juristen 2009 um Hilfe. Damals arbeitete Darmanin in der Rechts­abteilung der konservativen UMP, die damals die Regierung führte. Die Frau war fünf Jahre zuvor wegen Gewalttaten und Stalking gegen ihren ehemaligen Partner verurteilt worden und wollte den entsprechenden Eintrag aus dem Strafregister tilgen lassen. Darmanin behauptet, er habe einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt. Im Juni wurde diesbezüglich ein zuvor eingestelltes Ermittlungsverfahren wiederaufgenommen.

Macron wollte bislang den Eindruck erwecken, seit der »Me too«-Bewegung genieße die Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt hohe Priorität. Die linke Feministin Caroline De Haas kritisierte, dies sei nur Rhetorik. Die dafür benötigten Mittel im Justiz- oder im Bildungswesen seien dieses Jahr noch nicht aufgestockt worden. Seit der Ernennung Darmanins äußern De Haas und viele ihrer Mitstreiterinnen schärfere Kritik: Jetzt werde deutlich, dass es überhaupt keinen politischen Willen gebe, ernsthaft etwas zu unternehmen.

Darmanin macht auch dadurch von sich reden, dass er zu Beginn seiner politischen Karriere im rechtskonservativen Milieu aktiv war. Der heute 37jährige war im Alter von 16 Jahren der rechten Partei RPR beigetreten, die später in der UMP aufging. Darmanin war zunächst Mitarbeiter des nordfranzösischen Abgeordneten Christian Vanneste. Dieser sprach sich 2010 für ein Bündnis der UMP mit dem rechtsextremen Front National aus. 2012 wurde er aus der UMP ausgeschlossen, nachdem er wiederholt mit homophoben Äußerungen aufgefallen war. Er hatte unter anderem behauptet, im Zweiten Weltkrieg habe es keine Deportationen von Homosexuellen gegeben.

Darmanin mag eher seiner Karriere wegen als aus ideologischer Überzeugung für Vanneste gearbeitet haben, doch trat er selbst noch 2014 mit einer heftigen Ablehnung der ein Jahr zuvor von der sozialdemokratischen Regierung unter Präsident François Hollande eingeführten »Ehe für alle« hervor. Die Regierung unter dem wirtschaftsliberalen Macron ist mit Darmanins Ernennung zum Innenminister nach rechts gerückt, auch wenn mit der Karrieristin Barbara Pompili eine frühere Grüne zur Umwelt­ministerin ernannt wurde.

Die erste wichtige Auf­gabe des neuen Premierministers Castex ist es, den Konflikt mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen beizulegen. Zeitweilig war eine allgemeine Lohner­höhung in diesem Bereich um monatlich 300 Euro diskutiert worden. Die Regierung und die Gewerkschaftsverbände CFDT, FO und UNSA einigten sich Ende voriger Woche auf 90 Euro mehr pro Monat ab September und ­zusätzliche 90 Euro mehr ab März 2021. Die linken Gewerkschaften CGT und SUD lehnen dies ab. Sie sind zwar viel aktiver, kamen aber bei den jüngsten Personalvertretungswahlen zusammen auf knapp unter 50 Prozent der Stimmen. Am Freitag wurde bekannt, dass längere Wochenarbeitszeiten im ­Gesundheitswesen gesetzlich erleichtert werden sollen. Am Dienstag, dem ­Nationalfeiertag, fanden erneut ­Demonstrationen von Gesundheitsbeschäftigten statt.